Kapitel 10 - Die Hauptstadt

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In den letzten Tagen hatten sie die herbstlich gefärbten Wälder hinter sich gelassen, ein gepflasterter breiter Weg lagen nun vor Ihnen und zogen zahlreiche Menschen an. Händler waren mit ihren Pferdekarren auf dem Weg zum Markt, alte Väter zogen ihre Töchter mit sich um sie in der Stadt zu verheiraten, Abenteurer, Magier, Diebe und Gaukler bevölkerten die Straßen. Arthur hatte sein Schwert in die Scheide zu seiner linken gesteckt und hielt seinen Arm quer über dem Körper gekreuzt. Er tat es notgedrungen, da er der Griff der Waffe seit dem unglücklichen Unfall mit seiner Hand verschmolzen war. Er klagte nicht darüber, doch Dodo, der Magier der Gruppe, fühlte mit jedem verstreichenden Tag die Last von Schuld schwerer auf seinen mageren Schultern. Doch wann immer er das Thema zur Sprache bringen wollte, wiegelte Arthur ab.

Urgh, wir haben die Hauptstadt jetzt fast erreicht. Ich hab die letzten drei Jahre zu hoffen gewagt, niemals wieder einen Fuß in diese schäbigen Gassen setzten zu müssen“ murrte Jane, die unmotiviert hinter der Gruppe hertrottete und immer langsamer zu werden schien, je näher sie den Stadtmauern kamen.
„Wir könnten die Stadt auch umgehen, aber das würde uns einige Tage Zeit kosten“ gab Arthur zu bedenken. Dodo, der neben ihm herschritt, schüttelte energisch den Kopf: „Auf gar keinen Fall! I...Innerhalb dieser Mauern wird sich doch sicher jemand finden lassen, der sich deine H...Hand mal ansehen kann. Es muss doch möglich s...sein, sie vom Schwertgriff zu lösen!“
„Mit verbotener Magie!“ säuselte Martha neben ihm und kaute auf ein paar verdächtig aussehenden Blättern herum.
„Nein, mit m...medizinischen und ch...chirurgischen Kenntnissen! Wenn nicht hier, wo dann? Alles Wissen b...ballt sich in dieser Stadt“ war sich Dodo sicher, doch Jane stöhnte nur: „Das meiste, was sich hier findet lässt ist Syphilis. Und vielleicht der ein oder andere Dieb, der unsere hart erarbeiteten Schätze stehlen will.“
„Wir haben Schätze?“ fragte Arthur erstaunt und Jane wedelte unwillig mit der Hand.
„Sowas ähnliches. Ich denke, wir könnten uns zumindest für ein paar Nächte ein Zimmer in einer Gaststädte leisten.“ Sie deutete auf den Esel, der noch immer die Beute des letzten Kampfes trug.
Arthur war irritiert und erwiderte: „Ich hatte eigentlich nicht vor hier länger zu verbleiben. Die Hauptstadt liegt nur zufällig auf dem Weg nach Nebelschleich und wir sollten Dodos Talisman dort reparieren lassen, bevor er weiteres Unheil anrichtet.“ Der Magier schrumpfte bei den Worten ein paar Zentimeter in sich ein. Arthur entging es nicht. Schnell fügte er hinzu: „Tut mir leid mein Freund, so meinte ich das nicht. Aber besser wir bleiben auf den Wegen, wo wir weniger Monstern begegnen, bis ihr damit wieder arbeiten könnt, ohne in Gefahr zu sein.“ Er deutete auf Dodos Stab mit dem zerbrochenen Edelstein.
„Hier gibt’s auch Monster. Meist in menschlicher Gestalt“ gab Jane zu bedenken, stimmte Dodo aber im gleichen Atemzug zu: „So ungern ich hier sein will, so hat unser magischer Wunderknabe doch recht. Wenn es Jemanden gibt, der euch mit eurer verletzten Hand helfen kann, dann hier.“
„Ich brauche aber keine Hilfe, es ist doch alles in Ordnung mit mir“ argumentierte der blonde Hühne, doch seine Begleiter schüttelten alle gleichzeitig den Kopf. Jane fasste ihren gemeinsamen Widerspruch zusammen: „Nehmt es mir nicht übel, aber ihr seht ständig so aus, als würdet ihr gleich das Schwert ziehen um ein paar unschuldige Bauern niederzumähen.“
„WAS? Das würde ich niemals ..!“
„Eben. Aber mit der Hand am Griff sieht es nun mal verflixt danach aus.“
Arthur betrachtete seine Hand und seufzte: „Also gut, ich vertraue eurem Urteil. Wenn Gerechtigkeit und ich getrennt werden müssen, dann soll es so sein. Habt ihr eine Idee, wo wir unterkommen könnten, Lady Jane?“
„Ich kenne eine angenehme Herberge in der Rand-Stadt. Dort stellt man keine dummen Fragen und die Leute sind insgesamt auch klüger. Nennt mich nicht Lady!“ Jane stiefelte voraus: „Folgt mir.“

Die Gruppe passierte wenig später das Haupttor, zusammen mit zahllosen anderen Reisenden. Arthur, Dodo und Martha blickten erstaunt zu dem gewaltigen geflügelten Löwen empor, der in Stein gehauen alle Neu-Ankömmlinge bedrohlich zu begutachten schien. Der Weg dahinter führte steil bergab, die ganze Stadt lag in einem tiefen Krater, so dass sie, entgegen der üblichen Bauweise einer Burg oder Festung nicht auf einem Hügel errichtet worden war, sondern ganz im Gegenteil viel niedriger lag, als die restliche Umgebung. Im Zentrum, wo der Krater am tiefsten war, befand sich der Palast der Königin, geschützt von einer weiteren hohen Mauer und abgeschottet vom Pöbel und Lärm der restlichen Welt. Die Rand-Stadt, durch die sie sich nun bewegten, war in mehrere Viertel unterteilt, deren Häuser und enge Gassen sich allesamt an die Stadtmauern zu schmiegen schienen, als hätten sie Sorge, haltlos umzukippen. Alles wirkte windschief, als hätte man es auf die Schnelle errichtet und sich wenig um Statik oder Ästhetik gekümmert. Auf den massiven Stein-Mauern und in den Straßen patrouillierten zahlreiche Soldaten mit Schwertern bewaffnet und in schimmernde Rüstungen gehüllt. Die Hauptstadt war nicht nur der Regierungssitz der 9 Reiche, sondern verwaltete auch das Militär. Von hier aus wurden Truppen noch in die entlegensten Winkel entsendet, meist um irgendeinen kleinen Aufstand niederzuschlagen oder eine arme Seele, die sich roher Magie bedient hatte, aufzuknüpfen. Jane war stets überrascht, dass keine Köpfe auf Pflöcken zur Demonstration der mächtigen Monarchie angebracht worden waren. Insgesamt wirkte alles zwar, als wäre nicht viel Gold investiert worden, aber die Gassen waren frei von Unrat und es stank nur in vereinzelten Ecken. Die Kanalisation war gut ausgebaut und bot so manchem Schurken sicher ein ordentliches Versteck. Dieses System ließ die Städter oft die Nase über die Dörfer rümpfen, wo man so manches Mal mit beiden Beinen im Morast versank, wenn man nicht aufpasste.
„Und? Wohin gehen wir genau?“ fragte Martha und hielt ihre kleine Nase in die Luft. Es roch nach Menschen, aber auch nach Gewürzen und seltenen Kräutern und sie war durchaus versucht, ein paar Einkäufe zu tätigen, aber Jane hockte wie eine Glucke auf ihrem verfügbaren Gold. Vielleicht würden ja ein paar Kupfermünzen übrig bleiben, wenn die Herberge bezahlt war.
„Ich sehe wie ihr schnuppert! Vergesst es, wir brauchen alles Gold was wir haben für die Unterkunft und ich bin mir sicher, wenn wir Jemanden finden, der Arthur und die Gerechtigkeit voneinander trennen kann, wird er das ebenfalls nicht umsonst tun.“
„I … Ich könnte versuchen ein paar Tricks aufzuführen, um die Leute zu u …unterhalten. Für … G…Gold. Oh bei den Göttern, h...habe ich das gerade wirklich vorgeschlagen?“ Dodo schlug sich die Hände vors Gesicht, aber Janes Mund verzog sich zu einem bitterbösen Grinsen.
„Eine großartige Idee, mächtiger Magier! Holt aus euren Ärmeln ein Kaninchen hervor und lasst Schauer von Gold über euch regnen.“
„I… Ich versuche mich nur nützlich zu machen.“
„Dann hört euch um, schaut ob ihr einen Heiler findest. Das wäre viel wichtiger.“
„Und was macht Ihr?“ fragte Arthur seine Begleiterin mit den dunklen Locken.
„Ich sorge dafür, dass keiner von uns heute Nacht auf Stroh schlafen muss.“ Sie nahm die Zügel des kleinen grauen Esels, beladen mit der riesigen Hasenpfote: „Ich denke, dieses Ding kann ich hier am Besten zu Gold machen.“ Damit ging sie davon und rief: „Wir treffen uns spätestens bei Sonnenuntergang hier. Tut nichts, was ich nicht auch tun würde.“
„Arthur… wer ist n...nochmal der Anführer unserer Gruppe?“ fragte Dodo und legte den Kopf schräg, während er Jane und dem Esel hinterher blickte.
Der Angesprochene lächelte: „Ich denke, diese Frage müsst ihr alle für euch selbst beantworten.“
„Ich möchte doch nur ein Bündel Kräuter kaufen…“seufzte Martha.
„Ich hätte wohl noch ein paar Münzen übrig…“ Arthur deutete auf den ledernen Beutel an seiner Rechten „Aber verratet es Lady Jane nicht“
„Oh vielen Dank! Was würden wir nur ohne euch tun?“
„Vermutlich weniger oft in Schwierigkeiten stecken“ gab Arthur zurück und fuhr sich mit der linken Hand durch den kurzen Bart, den er sich seit einer Woche wachsen ließ. Er war bereits einundfünfzig Jahre alt, wirkte aber deutlich jünger. In den letzten Tagen hatte er viel Zeit zum Nachdenken gehabt und war zu einen Entschluss gekommen. Er erhoffte sich mit der Gesichtsbehaarung auch ein wenig mehr … Respektabilität zu gewinnen. Er wollte kein alternder Held sein, der vergangenen Erfolgen hinterher trauerte, dafür hatte er seiner Ansicht nach noch zu viel vor sich. Aber wenn ihm der ein oder andere Bürger mehr Vertrauen und Respekt entgegenbringen würde, dann könnten sie mehr Gold verdienen und Lady Jane müsste sich weniger darum bemühen.
„Ich werde t...tun, was Jane vorgeschlagen hat. Ich höre m...mich um. Bis später.“ Dodo rückte seine Brillengläser zurecht, straffte die Schultern und eilte tiefer den Krater hinunter, in Richtung der besseren Gassen und Häuser und damit der Hoffnung auf Heilung für Arthur.
„Ich werde die Münzen gut anlegen, versprochen!“ rief Martha und erkundigte sich: „Was habt ihr jetzt vor?“
„Ich weiß nicht, vielleicht mache ich einfach einen Spaziergang runter zur inneren Mauer. Ich war so lange nicht hier, ich würde mir den Palast gerne näher ansehen.“
„Oh, das klingt gut. Ich begleite euch“ rief Martha.
„Aber ihr wolltet doch einkaufen?“
„Das schließt sich doch nicht aus, wartet ein paar Minuten auf mich, dann komme ich zurück und begleite euch. Kurz vor der inneren Mauer liegt das Haus meines alten Freundes Jorck. Ich würde ihm einen Besuch abstatten wollen, da haben wir den gleichen Weg.“ Martha eilte davon.

Sie war kaum eine Minute fort, als Arthur hinter sich eine tiefe, bellende Stimme vernahm: „Nehmt die Hand runter!“
Der Abenteuer drehte sich um, die Hand gezwungenermaßen weiter auf dem Schwertgriff.
„Ich sagte, Hand runter!“ Die Stimme kam von einem der fünf Soldaten, die Arthur taktisch umkreist hatten.
„Es tut mir leid, das kann ich nicht tun“ meinte der blonde Hühne und die Soldaten zogen ihrer Schwerter.
„Ihr habt davon gesprochen, euch den Palast näher ansehen zu wollen. Ihr wolltet wohl unsere Königin ermorden!“
„WAS?? Nein, das ist Unsinn, ich wollte nur …“
„Spielt nicht den armen Tölpel! Wir beobachten euch, seit ihr in die Stadt gekommen seid. Ihr nehmt nie die Hand vom Schwertgriff. Ihr seht aus, als würdet ihr jede Sekunde ein Blutbad anrichten wollen.“
*Jane hatte wohl wirklich recht* dachte Arthur und senkte den Kopf: „Verzeiht, meine Hand, sie ist mit dem Schw…“ Weiter kam er nicht. Einer der Soldaten preschte ohne weitere Vorwarnung los und schlug ihm mit dem metallenen Knauf seiner eigenen Waffe fest gegen den Schädel. Ein dumpfes Knirschen erklang, als Arthur in sich zusammensackte.
„Was ist nur los in diesen Zeiten? In den letzten Wochen hatten wir so viele Vorfälle wie noch nie“ echauffierte sich der Soldat, der Arthur zuerst angesprochen hatte.
„Dieser hier hat zumindest nicht versucht, euch in ein Schwein zu verwandeln!“, gab einer der anderen bewaffneten Männer zurück. Gemeinsam zogen Sie den Abenteurer auf die Füße und verschwanden mit ihm zwischen den Häusern.

„So, da bin ich wieder! Ich habe filettierten Fliegenpilz und frementierten Fingerhut und … Arthur?“ Martha schaute sich suchend um. Die Gasse war verdächtig menschenleer und der kalte Wind pfiff unheilvoll um die Ecken. Der Blick der kleinen Frau fiel zu Boden, wo sie ein paar rote Tropfen auf dem hellen Stein ausmachen konnte. Sie kniete sich nieder und zog die Fingerspitzen durch. Konzentriert hielt sie sich die Finger vors Gesicht, schüffelte und flüsterte: „Blut … ganz frisch.“ Ein hölzernes Knarzen erklang, gefolgt von einem lauten Ruf:
„Macht das ihr wegkommt!“
Martha blickte auf. Über ihr hatte sich ein Fenster geöffnet und eine ältere Frau mit Falten so tief wie Schluchten und Haaren wie Spinnenfäden starrte zu ihr herunter. Sie sah aus, als hätte sie schon allzu viel erlebt, um das Leben noch zu genießen.
„Habt ihr gesehen, was mit meinem Freund geschehen ist? Groß, viele Muskeln, blond?“
„Nein, ich habe nichts gesehen!“ murrte die Frau und war daran die Fenster zu schließen.
„Wirklich? Warum sollte ich dann verschwinden?“ hakte Martha nach und die ältere Dame zuckte zusammen.
„Lasst mich eurem Gedächtnis vielleicht mit einem berauschenden Trank auf die Sprünge helfen, ja? Ich habe etwas bei mir, was euch fliegen lässt, so hoch wie ein Drache und so leicht wie eine Feder.“
Die ältere Frau schien es ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Martha war sehr geduldig und wartete minutenlang, bis sie eine Antwort erhielt.
„Nun gut, alles was mich, zumindest für eine Weile, von hier fortbringt, soll mir recht sein. Stellt es hin, ich hole es mir, wenn ihr gegangen seid“ erklärte die Alte mit brüchiger Stimme.
„Also, was ist mit meinem Freund?“
„Die Soldaten haben ihn geholt. Er hat ausgesehen, als wolle er sein Schwert ziehen. Sie sind recht empfindlich geworden, in der letzten Zeit. Das Unheil hat Einzug gehalten in die Stadt.“
„Oh nein …“ murmelte Martha „Wo bringen Sie ihn hin?“
„Das weiß niemand so genau, bedaure“ Die Alte schloss die Fensterläden. Martha stellte das Fläschchen ihres selbst gebrauten „Flugtraum-Saftes“ ab und beschloss zu ihrem Freund Jorck zu gehen. Vielleicht konnte sie ein paar Informationen sammeln, bevor der Rest ihrer Gruppe zurück kehrte. Jorck war, genau wie sie ein Kräuterkundiger und seine Kunst hatte die Menschen schon Riesen sehen lassen... oder Feen ohne Unterwäsche. Seine Tränke erfreuten sich großer Beliebtheit, bei den einfachen Bürgern ebenso wie bei den Soldaten. Vielleicht wusste er ja, wohin man Arthur gebracht hatte. Martha eilte davon.

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