Kapitel 5 - Spuren

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„Seht euch das mal an“ Arabella winkte Nox zur Werkbank hinüber und deutete auf eine Spur aus kleinen Brandlöchern. „Der Abdruck hier sieht seltsam aus, gar nicht wie von einem Werkzeug, eher von einem Schmuckstück.“
„Oder einem Talisman?“ fragte Nox und schob seine Nase weiter vor. Neben einem leichten Geruch nach verkohltem Holz lag noch etwas anderes in der Luft, schwer zu erfassen und nicht natürlichen Ursprungs.
„Ihr meint, er hat einen Talisman verwendet und die Sache ging schief? Eine interessante Theorie ...“
„Was würde dagegen sprechen?“ erkundigte sich der Eulendämon und zog sich ein Stück zurück, um die Szene in ihrer Gänze zu erfassen. Brandlöcher auf der Werkbank, Tropfen aus geschmolzenem schwarzen Fleisch auf dem Boden, in Richtung Tür.
„Talismane haben normalerweise eine Schutzfunktion. Sie funktionieren nicht, wenn man sie gegen Menschen richtet, es sei denn ... er war beschädigt.“ Arabella strich vorsichtig über die Werkbank, aber es waren keine Splitter zu finden.
„Oder er wurde absichtlich manipuliert ...“,
„HERR ENGEL!“
„Was denn? Ich teile meine Gedanken mit euch. Ist das wirklich so abwegig?“
„Ihr sprecht da einen schweren Verdacht gegen unsere Zauberwirkerin aus, ist euch das bewusst?“ Arabella strafte ihn mit einem strengen Blick, aber ein Funke Zweifel glomm darin.
Nox entging nicht, welch hohen Stand sie bei der Wirtstochter hatte. Vermutlich sah sie in ihr ein Vorbild, eine Frau die etwas erreicht hatte. John hatte ihn gelehrt, dass Menschen es überhaupt nicht schätzen, wenn man ihre Helden oder Götter verunglimpfte. Er überlegte ein paar Sekunden und sprach dann: „Wer sagt, dass der Talisman von hier stammt?“
„Auch wieder wahr.“ Arabellas Zweifel wurde zu Akzeptanz. Der Förster hatte einen Talisman benutzt und war daran gestorben, auf ziemlich gruselige Art und Weise. Sie wollte Marianne, die Zauberwirkerin nicht verdächtigen. Vielleicht hatte der Engel ja recht und der Talisman kam von woanders. Aber warum sollte Gustav sich einen Talisman außerhalb des Dorfes besorgt haben? Und wofür? Er war immer ziemlich reserviert gewesen, wenn es um Magie ging.
„Jetzt sind wir jedenfalls schlauer. Wir sollten dem Dorfvorsteher davon berichten und es damit bewenden lassen“ schlug Nox vor, der die Verantwortung für die ganze Geschichte gerne abgeben wollte.
„Auf gar keinen Fall. Der schickt mich nur zurück hinter den Tresen. Wir lösen den Fall gemeinsam!“ Sie reichte ihm die Hand und als Nox sie zögerlich ergriff, kribbelte es in seinen krallenbewehrten Fingern. Wie weich sich ihre Haut anfühlte. Er hatte Zeit seines Lebens noch nie einen Menschen auf diese Weise berührt. Die Federn standen ihm zu Berge und ein Hauch von Hitze stieg in sein Gesicht. Es war ein eigenartiges Gefühl, mit dem er absolut nichts anfangen konnte. Er wollte sie verschlingen, hier und jetzt, aber gleichzeitig wollte er, dass sie nie wieder seine Hand losließ. Das war so verwirrend, dass ihm eine Sekunde lang schwindelig wurde.
„Oh, ist alles in Ordnung mit euch?“ fragte Arabella besorgt, der dies nicht entgangen war.
„BESTENS!“ schnappte Nox und räusperte sich umständlich „Verzeiht, es geht mir gut, Danke der Nachfrage.“ Er ließ ihre Hand los und wischte sie aus einem Reflex heraus an seinem Gewand ab. Arabellas Blick wurde etwas reservierter, was ihm einen Stich versetzte, den er sich nicht erklären konnte. Schnell hörte er auf damit auf. Er würde spätestens heute Abend John fragen, ob er unhöflich gewesen war und sie verärgert hatte. Arabella musterte ihn kurz, als er sich nicht weiter rührte und schien ganz kurz mit den Schultern zu zucken und sagte: „Dann kommt, wir suchen Erwald. Vielleicht hat er es ja tatsächlich geschafft, mit den anderen Dörflern zu sprechen. Wer weiß, vielleicht hat jemand ja sogar ein krummes Geschäft beobachtet, zwischen Gustav und einem Unbekannten, der defekte oder manipulierte Talismane verkauft.“
„Vielleicht solltet ihr lieber die Fragen stellen“ meinte Nox trocken.
„Jaaah, ihr habt vermutlich recht.“ Sie lächelte schief.

John mochte diesen Wald nicht. Die Bäume standen zu dicht beieinander und es war einfach zu schwer hier halbwegs elegant entlang zuschreiten. Dafür war es unter dem herbstlichen Blätterdach zumindest dunkel. Die Sonne konnte ihm nicht schaden, aber er hatte sich in den letzten zwanzig Jahren so sehr daran gewöhnt, in den Schatten zu schreiten, dass ihm die Umstellung schwer fiel. Er kniff die Augen zusammen und blinzelte hinüber zu der Hütte des Holzfällers, aus der gerade Nox und eine junge Frau mit leuchtend rotem Haar kamen. Was hatten sie da gewollt? Als beide außer Sichtweite waren, schritt John voran, umrandete die Hütte und öffnete schließlich die angelehnte Tür um einen Blick ins Innere zu werfen. Der Gestank, der ihm entgegenschlug war grauenhaft, verbranntes Holz und etwas ganz Eigenartiges, ein Hauch roher Magie, aber nicht strahlend und rein sondern verfault wie zu lange gelagertes Fallobst. War Nox Nase so schlecht, dass er es hier drin länger als zehn Sekunden ausgehalten hatte? Johns Blick fiel auf die verbrannten Fetzen auf dem Boden und ihm entfuhr ein unerfreutes: „Igitt.“ Nur rohes Fleisch war gutes Fleisch.
Er zog sich hastig zwischen die Bäume zurück und trabte grob in die Richtung, in die Nox und Arabella verschwunden waren. Sein Schützling sollte nicht wissen, dass er ihn beobachtete. Nox mochte erwachsen sein, aber zumindest aus Johns Sicht war er noch längst nicht so weit, alleine irgendwo bestehen zu können. Und dann war da noch etwas anders, was er am liebsten verdrängt hätte. Zwanzig Jahre waren eine ordentliche Gnadenfrist gewesen. Genau so lang hatte John Nox an die verschiedenste Orte geführt und nun hatte er den Plan gefasst, ausgerechnet hierher zu kommen. Ob er sich wohl an etwas erinnert hatte? John hatte ihn hier gefunden, gleich nachdem diese schreckliche Sache passiert war. Er schnaubte und schüttelte den Kopf. Ein paar dünne kalte Schweißperlen liefen ihm über den Rücken und sickerten in sein dunkles Fell. Er hatte ein schlechtes Gewissen, es nagte an ihm wie die Zähne eines Hundes an einem blanken Knochen. Er wollte nur noch eines, diese ganze Angelegenheit beenden. Er schnaubte erneut und wieherte verärgert über sich selbst, wobei es ein wenig kläglich klang. Vielleicht sollte er den direkten Weg gehen? Wollte er sich selbst dafür opfern? Das würde wohl passieren, da war sich John ziemlich sicher. Was wurde dann aus Nox?
„John! Hör auf damit im Wald zu stehen und die Bäume nicht mehr sehen!“ scholl er sich selbst und fügte hinzu: „Du weißt, wo sie ist! Sie kann dir nicht entkommen! Warte auf eine passende Gelegenheit!“ Er stob los und wirbelte dabei zahlreiche Blätter auf, die noch unheimlich im Nebel tanzten, als der schwarze Einhornhengst schon längst verschwunden war.

Das Auge von NoxWhere stories live. Discover now