Kapitel 7 - Gastfreund- und feindschaft

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Als Nox die Gaststube betrat, war das gesellige Dorfleben bereits in vollem Gange. Kerzen brannten und tauchten alles in ein warmes gelbes Licht. Fast alle Plätze an den Tischen und der Bar waren belegt mit lauten, lachenden und grölenden Männern, die Holzmöbel bogen sich bedenklich unter ihrem Gewicht. Sein Auftauchen schien dem Trubel keinen Abbruch zu tun. Er schaute sich unbewusst nach einem bekannten Gesicht um, als plötzlich eine laute Stimme zu ihm hinüber wehte: „Herr Engel! Hierher! Ich habe euch einen Platz freigehalten!“ Es war Erwald, der mit einem irgendwie dümmlichen Grinsen auf einen leeren Hocker neben sich patschte, direkt vorne an der Bar. *Was für ein eigenartiges Gefühl*, dachte Nox, als sich ein Kribbeln in seinem Brustkorb breit machte. Das kannte er nicht, was mochte das sein? Es fühlte sich warm an, als wäre er … willkommen. Fühlten sich Menschen so, wenn Sie bei anderen Menschen waren? Er schüttelte unwillig den Kopf, atmete tief durch und ließ sich neben Erwald auf den Hocker sinken. Der schob ihm einen vollen Krug Ale rüber. Ein kleiner See aus Schaum entstand auf dem Tresen. Nox nickte dem jungen Burschen zu, hob den schweren Krug hoch und versenkte das Gesicht in seinem Getränk, bevor er weiter darüber nachdenken musste, was ihn da geritten haben könnte, überhaupt in Erwägung zu ziehen, jetzt in diesem Moment im Gasthaus zu sein, mit all diesen potentiellen Feinden. Vielleicht hatte John ja doch recht gehabt. Wenn Sie erkannten, was er wirklich war … Gegen diese Übermacht würde er keine Chance haben. Warum also wollte er hier sein? Diese Diskrepanz seiner Instinkte versenkte er in einem weiteren tiefen Schluck.
„Ich hoffe, ihr habt euch bereits gut eingelebt“ hörte er eine Stimme vor sich. Als Nox aufschaute, sah er dem Wirt in die Augen, der ihn neugierig, ein wenig skeptisch aber durchaus freundlich betrachtete. In der Hand hielt er einen leeren Krug, den er unablässig mit einem Handtuch poliere und in dem Nox sein eigenes Eulengesicht spiegeln sah. Er senkte den Blick und erwiderte:
„Dank der freundlichen Unterstützung eurer Toch... Ehrm ... der Dorfbewohner. Dies ist ein sehr gastfreundlicher Ort.“ Er wiederholte Worte, die ihn John einst gelehrt hatte und hoffte, dass sie passend waren. Der Wirt schien jedenfalls zufrieden. Er wandte sich mit einem Nicken einem anderen Gast zu, der nach ihm rief. Als Nox Anspannung gerade etwas nachließ, kam der Wirt noch einmal zu ihm zurück: „Ich weiß, dass ihr heute mit meiner Tochter unterwegs wart.“
Nox wurde bleich unter seinem Federgesicht. Der Wirt schaute streng und begann dann schallend zu lachen. Der Eulendämon musterte ihn unentschlossen und irritiert. Wurde nun etwas von ihm erwartet? Was genau? Darüber hatte John nie ein Wort verloren.
„Sie hat mir berichtet, dass der Engel, der nun unser Dorf beschützen wird, ihr bei den Ermittlungen im Falle des tragischen Ablebens unseres Försters unterstützt hat.“
Nox murmelte leise:„... So ist es...“
„Nur nicht so schüchtern, sie sagte, ihr ward eine große Hilfe!“ Der Wirt ließ von seinem blankpolierten Krug ab und klopfte seinem Gast auf den Rücken, so dass seine Schwingen leise raschelten.
„Das ... ehrt mich. Aber eure Tochter, sie hat einen ausgesprochen klugen Kopf.“ Der Eulendämon rückte ein wenig nach ab, die Situation war ihm nicht geheuer. Der Wirt bemerkte es und zog seine Hand rücksichtsvoll weg.
„Ja, das muss sie von ihrer Mutter haben!“ lachte er und wandte sich erneut einem anderen Gast zu, der die Hand erhoben hatte. Nox atmete leise aus und spähte über den Tresen. Arabella war nicht zu sehen, vielleicht ruhte sie sich nach dem anstrengenden Tag noch aus.
„Sucht ihr nach Arabella?“ fragte plötzlich Erwald neben ihm und schielte ihn neugierig an. Nox rutschte unwillkürlich ein Stückchen von ihm weg „Nein, natürlich ni...“
„Sie kommt sicher gleich. Sie bereitet immer erst die Zimmer vor und hilft dann ihrem Vater die Gäste zu bewirten.“ Erwald schob Nox einen weiteren vollen Krug zu.
„Ich habe kein Gold, um ihn zu bezahlen.“
„Das macht nichts, ich auch nicht.“ Er lachte laut und bierselig „Ich lasse immer anschreiben und wenn es dem Wirt zu viel wird, arbeite ich ein paar Tage hier. Ich poliere Gläser, wasche die Laken, putze den Gastraum …“
„Ihr seid wirklich überall zur Stelle, nicht wahr?“
„Ich mache mich gerne nützlich. Ich glaube, ich bin nicht besonders klug, aber ich kann anpacken und ich helfe damit dem Dorf.“ Erwald nahm einen tiefen Schluck seines schaumgekrönten Getränks. Nox spürte wieder ein eigenartiges Gefühl in sich aufsteigen, eine Art Bewunderung oder gar Sympathie für den jungen Burschen, den er heute Morgen noch als lästiges Übel gesehen hatte. Über den Trubel hinweg hörte er eine Tür aufschwingen. Er blickte zu den Treppen hinüber, die Arabella gerade herunter kam. Ihre Holzschuhe klapperten auf den Stufen. Sie warf einen Blick über den Gastraum und dann zum Tresen. Ihr Schritt schien sich etwas zu beschleunigen. Ihr Vater wechselte drei freundliche Worte mit ihr und Arabella schenkte drei Bier aus, bevor sie sich Erwald und Nox widmete.
„Es freut mich euch zu sehen! Ich hatte irgendwie Sorge, ihr würdet nicht kommen.“
„Ich bin doch immer hier!“ rief Erwald lachend und Arabella verzog das Gesicht in gespielter Missbilligung: „Du doch nicht. Ich meine unseren Engel.“
„Es … freut mich hier zu sein …“ druckste er zur Antwort und nahm mehrere kräftige Schlucke seines Getränks. Arabella grinste und schob ihm einen weiteren vollen Krug hin. Nox hob abwehrend die Hände:
„Wie ich schon Erwald sagte, ich habe kein Gold … nur das hier“ Er kramte die Münze hervor, die er in der ersten Nacht im Schloss gefunden hatte. Sie schimmerte im Kerzenlicht auf magische Art und Weise und Arabella zog zischend die Luft zwischen den Zähnen hindurch.
„Ein Talisman, aber ein ziemlich ungewöhnlicher. So einen habe ich hier noch nie gesehen, nicht mal im Laden von Marianne. Darf ich?“ Sie hielt die offene Hand hin und Nox zögerte. Er schimpfte kurz innerlich, dass er die Münze überhaupt hervorgeholt hatte. Was wenn das Ding gefährlich war und Arabella verletzte?
„Oh, keine Sorge, ich bin sehr vorsichtig damit. Wo habt ihr es gefunden?“
Etwas widerwillig reichte er ihr den Talisman und sie betrachtete ihn von aufmerksam allen Seiten. Ein blauer Lichtschimmer huschte darüber.
„Oben im Schloss, er lag auf dem Boden. Vielleicht hat ihn der frühere Schloss-Herr vergessen.“
„Vielleicht auch einer der Abenteurer, die nicht für unsere Zimmer zahlen wollen und dort oben ihr Lager aufschlagen“ Arabella gab Nox den Talisman zurück „Wer etwas findet, darf es behalten, so heißt es doch. Das Ale geht auf’s Haus.“
Nox schob den Talisman zurück in eine der zahlreichen kleinen Taschen, die in sein Gewand eingenäht waren.
„Ich möchte mich zudem noch gebührend bei euch bedanken.“
„Wofür?“ fragte Nox überrascht.
„Für eure Hilfe. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein höheres Wesen wie ihr es seid, einer einfachen Sterblichen dabei helft, einen Todesfall aufzuklären.“
„Ich nehme an, das kommt auch nicht so oft vor?“
„Überhaupt nicht“ Arabella lächelte.
„Leider haben wir die ganze Angelegenheit ja noch gar nicht zum Abschluss gebracht“ Nox zuckte mit den Schultern, doch Arabellas Miene hellte sich noch weiter auf.
„Heißt das, ihr werdet mich auch weiter unterstützten? Bis wir herausgefunden haben, wer für Gustavs Tod verantwortlich ist und wohin seine Leiche verschwand?“
„… Ja?“ antwortete Nox zögerlich und Arabella lehnte sich plötzlich über den Tresen, ganz nah zu ihm hin. Noch eher er richtig begriff, was passierte, hatte sie ihm einen Kuss auf die federbedeckte Stirn gedrückt. Sie zog sich zurück und ihre Wangen glühten ein wenig „Verzeiht, das war wohl ein wenig übergriffig. Ich wollte euch nur meine Dankbarkeit ausdrücken.“
Nox sagte gar nichts. Eine nie-gekannte Hitze stieg von seinen Lenden hoch in sein Gesicht. Seine krallenbewehrten Finger zitterten, als er den Krug hob und einen weiteren kräftigen Schluck nahm, der das ganze Ding leerte. Mit einem lauten „Klonk“ stellte er es zurück auf den Tresen.
„I … Ich danke euch für … für das Ale … ehrm … für euer Vertrauen … und ich helfe euch … gern. H … Habt noch einen schönen Abend … ich muss nun … gehen … denke ich … es ist spät … und so.“ Er stand abrupt auf, nickte Erwald und Arabella zu und eilte zur Tür, bevor beide auch nur noch ein Wort verlieren konnten.

Nox verließ die Gaststube wie ein dunkler Blitz. Er wankte leicht, doch die kühle Luft klärte seinen Verstand und stimmte ihn auf sonderbare Weise wehmütig. Er schimpfte sich selbst einen Narren, als er langsam erkannte, was da in sein Herz Einzug gehalten hatte. Solche Gefühle mussten dem Alkohol geschuldet sein, anders konnte es gar nicht sein! Er lenkte seine Schritte durch die leeren, nebeldurchzogenen Gassen, ließ die letzten Häuser hinter sich und betrat den kleinen, ungepflegten Trampelpfad der hinauf zu dem alten Herrenhaus führte, in dem er sich mit John niedergelassen hatte. Einst musste es hier einen richtigen Weg gegeben haben, doch davon war kaum etwas übrig. Unter seinen Krallen knirschte leise das Gras, dass sich seinen Weg zwischen dem krümeligen Erdreich hindurch gebahnt hatte. Der Wind fegte kräftig den Hügel hinab und zerrte an seiner Robe und den dunklen Schwingen. Würde er sie ausstrecken, so könne er sicher fliegen, doch das schien ihm plötzlich nicht mehr angemessen zu sein. Was würden die Dorfbewohner wohl denken, wenn sie ihn fliegen sahen? Nox blieb abrupt stehen. Was für ein unsinniger Gedanke! Er war ein Engel, Gesandter eines Gottes, er war kein Mensch! So jedenfalls seine Tarnung. Er ertappte sich dabei, wie ein kleiner Teil von ihm dachte: *Ach, würde ich doch menschlicher aussehen. * Er schlug sich beide Hände ins Gesicht und rief zu Niemandem: „NEIN NEIN NEIN!!!“ Sein einziger Zeuge war der dünne Halb-Mond, der wie ein bösartiges Grinsen im Himmel hing. Nox stöhnte leise und ärgerte sich über sich selbst. Warum war jetzt alles so kompliziert? Er wollte das alles nicht. Er war hier um sein Auge zurück zu erlangen und Rache an jenem Abenteurer zu nehmen, der es ihm gestohlen hatte. Und mit seinem Auge würde er auch seine Magie zurück gewinnen. Er würde mächtig genug sein, um allein gegen die Menschen zu bestehen und er müsste sich nicht mehr auf John verlassen. Der Einhornhengst wäre frei seiner Wege zu gehen und nicht gezwungen sich um einen so hoffnungslosen Fall wie ihn zu kümmern. Gerade als Nox sich nicht zum ersten Mal in seinem Leben fragte, warum John das überhaupt tat, hörte er hinter sich Schritte. Erschrocken drehte er sich um und ein gleißend heller Schlag traf ihn mitten in die Brust. Er strauchelte und hielt das Gleichgewicht, nur um ein weiteres Mal getroffen zu werden. Er konnte nicht erkennen wer oder was ihm gegenüber stand, doch er hörte wie ein leiser Befehl gemurmelt wurde. Erneut löste sich ein gleißendes Licht, doch Nox warf sich herum und rollte sich zur Seite, bevor er ein drittes Mal getroffen wurde. Seine Rippen schmerzen furchtbar und in seinem Gewandt klaffte bereits ein großes Brandloch.
„Wer bist du? Warum tust du das?“ rief er und war sich sicher, keine Antwort zu erhalten, denn wer Andere hinterrücks angriff, wollte meist unerkannt bleiben. Das Licht, dass sein Angreifer auf ihn geschleudert hatte, änderte seine Farbe von weiß zu rot. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Nox machte sich erneut bereit auszuweichen, in der Hoffnung schnell genug zu sein, als über ihm auf dem Hügel ein schauerliches Wiehern ertönte, gefolgt von einem goldenen Leuchten. Er hörte wie sich Hufgetrappel näherte und sein Angreifer schien zurück zu weichen. Er hob den Arm in die Höhe und das rote Licht begann zu pulsieren, wie ein Herzschlag. John aber blieb nicht stehen, er senkte den Kopf, sprang über Nox hinweg und griff an. Sein Horn durchschnitt die Luft wie eine Lanze und sein Gegner schien überrumpelt zu sein. Nox hörte ihn einige Worte murmeln und sah, wie der Angreifer den Arm mit Schwung herunter zog. Mit einem kraftvollen Bewegung zertrümmerte er das rote Licht dem Boden. Splitter schossen in alle Richtungen, zerschnitten Johns Schnauze und hinterließen Risse in Nox Gewand. Ein paar Sekunden lang waren beide blind und als sich die Dunkelheit erneut über sie legte, war der Angreifer verschwunden.

Das Auge von NoxWhere stories live. Discover now