Kapitel 21

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Die Stille der Nacht hatte sich über das große Herrenhaus der Familie Bierselig gesenkt. Die Korridore waren wie ausgestorben, die verbliebenen Lichter glommen verloren vor sich hin. Die Herrin des Hauses hatte sich zur Ruhe begeben und so auch ihre Kinder und die Dienerschaft. Einzig in einem der Zimmer, ganz oben am Ende des Flurs, waren noch Geräusche zu vernehmen. Ein lautes Krachen, als würde Jemand einen Stuhl gegen die Türe schmettern, ein lautes Fluchen, als der Stuhl in mehrere Teile zerbrach, ohne dass sich die Tür geöffnet hätte. Zudem ein ganzer Regenschauer aus Schimpfworten, gefolgt von einem entnervten Seufzen.

Jane lies sich auf die Bettkante fallen. Das fluffige Kleid, dass sie notgedrungen übergestreift hatte, um nicht völlig nackt zu sein, kruschelte leise. Sie machte sich selbstverständlich nicht die Mühe, es glatt zu streichen. Die Tür mit dem Stuhl aufzuschlagen, hatte schon mal nicht funktioniert. Jane schaute sich aufmerksam um, gab es noch eine weitere Fluchtmöglichkeit? Das Zimmer war nicht allzu pompös eingerichtet und entgegen des sonstigen Schlosses ein wenig langweilig gestaltet. Den Schreibtisch aus dunklem, lackiertem Holze würde sie nicht bewegen können. Das Bett ebenso wenig. Der Stuhl war hinüber. Der Spiegel über dem Tisch würde ihr in Scherben höchstens die Haut zerschneiden. Der dunkelrote Teppich mit dem geschmacklosen Muster (Tanzende Bierkrüge) war zu absolut gar nichts gut. Sie stand auf und blickte aus dem kleinen Fenster. Probeweise zerrte sie an den Scharnieren, aber es ließ sich nicht öffnen. Und selbst wenn es ihr gelungen wäre, sie hätte sich niemals hindurch quetschen können. Missmutig wandte sie sich wieder der Tür zu und spähte durch das dicken Messingschloss. Hätte sie bloß noch ihre eigene Kleidung. In den Taschen hatte sie immer ein bis zwei Dietriche. Natürlich nur zur Sicherheit.

„Was bin ich bloß für eine Überlebenskünstlerin, die jetzt an einer dämlichen Tür scheitert?" fragte sie niemand bestimmtes. Sie ließ sich im Schneidersitz vor der Tür nieder und starrte sie so intensiv an, dass sie schon langsam Kopfschmerzen bekam. Warum war sie hierhergekommen? Hatte sie wirklich geglaubt, ihre Mutter würde ihr helfen? Die Mutter, die Jane schon im zarten Alter von zwölf an den vierzigjährigen Kartoffel-Lord aus der Nachbarprovinz hatte verscherbeln wollen, um ihren Einfluss auszuweiten? Jane schimpfte sich selbst eine Närrin. Sie war damals aus gutem Grund von zu Hause ausgerissen und nun hatte sie sich freiwillig zurück in den biergelben Käfig begeben. Ihr Oberkörper kippte nach vorne, die Stirn kollidierte mit einem leisen Tock mit der Tür. Eine ganze Weile war es still und so sank sie in einen leichten, traumlosen Schlaf.


„Lady Jane? Seid ihr wach?" hörte sie unvermittelt eine bekannte Stimme von draußen. Wie viel Zeit mochte vergangen sein?

„Lord Jock?" fragte sie leise.

„Ja, ich bin es. Wie ist es mit eurer Mutter gelaufen?"

„Wollt ihr mich verarschen? Ich bin in einem Zimmer eingesperrt, meine Kleider sind weg und ich soll an einen hornalten Hans-Wurst verheiratet werden, damit meine Schwester sich endlich schwängern lassen kann!" Jane war aufgesprungen und hatte mit den Fäusten gegen die Tür geschlagen.

„Ah ja. Ich hatte so etwas in dieser Art erwartet" bekam sie als Antwort.

„Ihr habt das ERWARTET und mich trotzdem überredet HIERHER zu kommen???" Janes Gesicht hatte nun die gleiche Farbe wie Teppich angenommen. Nur ohne die tanzenden Bierkrüge.

„Es tut mir leid, dass ich euch das zumuten musste. Aber es ging nicht anders. Ich musste einfach sicher gehen, dass sich euer Wesen nicht gewandelt hat."

„Was zur Hölle soll das heißen?" keifte Jane.

„Bitte seid ein bisschen leiser, wir wollen doch niemanden wecken." Jock hob beschwichtigend die Hände, was die Gefangene in ihrem Zimmer aber natürlich nicht sehen konnte. Dann kramte er in seiner Westentasche.

Das Auge von NoxWo Geschichten leben. Entdecke jetzt