Kapitel 4 | Serafina

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Nach zweiundzwanzig Jahren zum ersten Mal das Mare Di Stelle zu betreten, kommt einer Zeitreise in die Vergangenheit gleich. Sofort beginnt mein Herz im selben Crescendo zu pochen, das immer dann einsetzt, wenn sich Nicolo Bianchi in meine Gedanken stiehlt.

Meine High Heels klacken auf den spiegelglatten Marmorfliesen, als ich den Empfang ansteuere.

»Benvenuto, Signora Fiorelli.«

Quiekend werfe ich mir eine Hand über die Brust.

Merda.

Ein ergrauender Mittfünfziger im schicken schwarzen Anzug ragt aus dem Nichts vor mir auf. Die Arme hat er fest hinter dem Rücken verschränkt.

»Wenn Sie mir bitte folgen würden.«

Mir hätte klar sein müssen, dass Bruce Wayne mich bereits erwartet.

Eine antik anmutende Holztreppe mit verziertem Treppenlauf führt zum privaten Teil des Restaurants. Wie früher lasse ich meine Fingerspitzen über die Schnitzereien unzähliger Teufel tanzen, die einen einzigen Engel jagen.

Mit Erreichen der obersten Stufe, erhasche ich den ersten Blick auf Nicolos Hinterkopf. Sein dickes schwarzes Haar reicht ihm noch immer zu den Schultern, auch, wenn er es heutzutage in einem halb-offenen Manbun anstelle eines lockeren Knotens im Nacken trägt.

Meine Augen huschen auf Zehenspitzen über den Rest seiner Erscheinung, was in diesem Fall nur die breiten Schultern und den sich darüber spannenden Stoff seines maßgeschneiderten dunkelgrauen Anzugs umfasst.

»Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs«, werde ich vom Erzfeind meines verstorbenen Mannes begrüßt, »Tesoro?«

Ich blinzle benommen.

Muskeln arbeiten unter dem Stoff seines Jacketts, als er etwas in der Mitte des runden Tisches platziert.

Eine Karte.

Spielt er Poker, während ich mich nur mit Mühe davon abhalten kann, das Teegebäck von vorhin auf meine knallroten Jimmy Choo's zu erbrechen?

Nicolo schiebt seinen Stuhl zurück, der kreischend protestiert. In einer anmutigen Bewegung kommt er auf die Füße und fährt ohne Umschweife zu mir herum.

Braune Augen verdunkeln sich, bis nur noch pechschwarze Murmeln übrig bleiben. Ein Tritt in die Magengrube hätte es auch getan.

Grundgütiger, die Zeit war gut zu ihm.

Ein paar silberne Strähnen blitzen vereinzelt in pechschwarzem Haar auf, um die Augen und auf seiner Stirn haben sich Mimikfältchen gebildet. Ansonsten unterscheidet er sich kaum vom Mann, den ich einst kannte.

Von Kopf bis Fuß durchleuchtet er mich mit seinem Röntgenblick wie einen Glasmenschen. Ich tue, was ich am besten kann, und zwinge meine Mundwinkel nach oben, als würde ich einen Schieberegler betätigen. Die Nachwirkungen einer Ehe, in der ich kaum etwas anderes getan habe.

»So hat mich seit Ewigkeiten keiner mehr genannt«, gestehe ich, ohne den Grund für meine falsch platzierte Offenheit zu verstehen. »Kosenamen waren nicht Alexanders Stil, das weißt du, Micione.« Miezekater.

Der Mann neben ihm verschluckt sich an seinem Rotwein und bedeckt seinen Mund mit dem Handrücken, während die anderen zwei sichtlich um Fassung ringen.

Nicolos Mund verzieht sich zu einem schiefen Grinsen, das mich zwingt, mir vor Nervosität eine hellblonde Strähne hinters Ohr zu streichen.

Er schüttelt den Kopf – noch immer der Inbegriff völliger Gelassenheit – während ich innerlich in eine Million Scherben zerspringe wie die Kristall-Ballerina auf meinem Kaminsims, die letzte Woche dem Spieltrieb meiner Katze zum Opfer fiel.

Crushing Rose PetalsWhere stories live. Discover now