Kapitel 30

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Marc saß an seinem Schreibtisch gebeugt über eine handvoll Kartenstapel. In seiner Hand hielt er noch welche und besah jede Einzelne davon. Er wollte ein neues Deck bauen, ohne dem Wissen der anderen und sie dann damit überraschen und ihnen zeigen, wie gut er mittlerweile war. Doch er war sich immer wieder unsicher, ob gewisse Karten einen Sinn hatten oder sogar eher kontraproduktiv waren.

Das Klopfen an der Tür riss ihn aus seiner Überlegung heraus und vor Schreck ließ er sogar die Karten in seiner Hand fallen. „Fuck, ja, herein." Er bückte sich und sammelte sie auf, sodass er nicht erkannte, wer gerade sein Zimmer betrat. Denn dann hätte er ihn sofort wieder weggeschickt, doch so offenbarte erst die Stimme, wer sein Besucher war: „Hi, ich hoffe, ich störe nicht. Aber ich glaube, dass wir dringend reden müssen."

Wie ein Schwall eiskalten Wassers prallte die Erkenntnis gegen seinen Geist und lähmte ihn für wenige Sekunden in denen er in Panik verfiel. Was will er hier? Ich hatte doch mit allen Mitteln versucht, dass wir nicht alleine sind. Wieso kommt er her? Kann er nicht einfach akzeptieren, dass ich darüber nicht reden will? Quatsch, ich will nicht, sondern da gibt es nichts zu reden. Ich werde meine Maske nicht fallen lassen. Egal, wie sicher es angeblich sein mag.

„Du gehst mir ganz offensichtlich aus dem Weg. Das ist sogar schon Hugo und Klaus aufgefallen, dass du versuchst nicht mit mir alleine zu sein." Tom traf den Nagel auf den Kopf und Marc verfluchte sich innerlich, dass es scheinbar so offensichtlich war, doch er hatte keine andere Wahl. Er durfte sich nicht mit Tom über diesesThema unterhalten. Der andere war ihm schon viel zu nahe.

Langsam stoppte er das Aufheben der Karten und richtete sich wieder auf, um dann in die braunen Augen zu sehen, die ihn fixierten und kein Entkommen zuließen. Marc kam sich wie ein Kaninchen vor einer Schlange vor, das weglaufen wollte, doch die hypnotische Wirkung verhinderte jede noch so kleine Bewegung in seinem Körper.

„Das ist Quatsch. Es hat sich einfach nicht ergeben." Er winkte ab, versteckte seine Angst hinter einem unsicheren Lachen, das ihn Tom nicht abnahm, denn die kurze Trauer, die durch das Schokoladenmeer huschte, versteckte den Schmerz, den er mit dieser Tat in dem Herzen des anderen verursacht hatte.

„Lüg uns nicht an", flüsterte Tom bedrohlich und mit so viel Nachdruck, dass sich Marc von ihm niedergedrückt fühlte und ihn nur mit großen Augen ansehen konnte. Er wollte diese Scharade doch auch nicht, aber es war besser. Tom wusste das doch selbst. Zu viel Sicherheit führte zu Leid und zu bodenlosen Hass, den man nicht mehr entkam.

„Ich lüge nicht. Es -" Sofort wurde er unterbrochen. „Doch, tust du. Du gehst mir aus dem Weg und ich würde gerne wissen wieso? Ist es weil ich vermute, dass du auch schwul bist? Liegt es daran, dass ich wissen will, warum du dich versteckst?"

Marc schwieg. Was sollte er darauf schon antworten? Alles war sinnlos. Jedes Leugnen, jede Lüge und die Wahrheit. Sie steckte ihn wie eine Gräte schmerzhaft und unbeweglich in der Kehle fest. Er hatte sich geschworen nie wieder in der Öffentlichkeit zu seiner Neigung zu stehen. Niemanden mehr etwas davon zu sagen. Solange er abhängig war von anderen und das war er. Von den Wagners, die zwar seinen Hintergrund kannten, aber dennoch das Thema nie ansprachen. Darum schwieg auch er dazu.

Tom seufzte schwer und ließ sich dann auf dem Bett nieder. Er ließ Marc nicht aus den Augen. Dessen Blick brannte förmlich auf seiner Haut und er wünschte sich, dass sein Freund verschwand. Er fixierte einen Punkt auf dem Boden, den nur er sah, nur um nicht in das Gesicht des anderen sehen zu müssen und unterdrückte den Impuls sich wie ein kleines Kind die Ohren zu zu halten.

„Marc, bitte, versteh mich nicht falsch. Ich kann dich verstehen, wenn du es verheimlichen willst. Niemand von uns dreien kapiert das mehr als ich. Schließlich bin ich in einer ähnlichen Situation. Oh Gott." Tom lachte kurz schmerzhaft auf und erst jetzt wagte es Marc ihn anzusehen. Dieses Flackern in dessen Augen und das nervöse Zucken der Mundwinkel kamen ihm so vertraut vor, dass er eine Verbindung zu Tom spürte, die er all die Zeit verzweifelt gekappt hatte. Doch jetzt verfestigte sie sich ohne dass er etwas daran ändern konnte.

Verhasst - Einzig seinen Weg finden zu lebenWhere stories live. Discover now