Kapitel 9

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Das warme Gefühl zitterte immer noch im Bauch von Marc, als er die Wohnungstür hinter sich ins Schloss zog. Er hätte nicht gedacht, dass Alles so gut laufen würde und er das wohl beste Wochenende in seinem Leben hatte. Seine Lippen kribbelten noch unter dem letzten Kuss und er spürte, wie sich seine Finger nach der weichen Haut von Oliver sehnten. Er wollte diesen Geruch noch einmal wahrnehmen und die salzige Haut schmecken.

Das Lächeln auf seinen Lippen wurde sehnsüchtig und er stellte schließlich mit einem wehmütigen Seufzen seine Tasche im Gang ab. „Ich bin wieder da." Seine Stimme verhallte in der unheilvollen Stille und plötzlich verschmolzen die leichten Schmetterlinge zu einem eisigen Klumpen, der sich schmerzhaft in seine Magengrube fallen ließ.

Das Lächeln erstarb und seine Hände zitterten aus einem anderen Grund, wodurch er sie zu Fäusten ballte. Er hörte das ruhige Arbeiten seiner Mutter in der Küche und dann war dort das leise Geräusch des Fernsehers, das schließlich verstummte. Leise hob er seine Tasche wieder auf und wollte sich in sein Zimmer schleichen, doch als er am Wohnzimmer vorbeikam, stand dort sein Vater im Türrahmen.

„Hattest du ein schönes Wochenende?" Eisig schnitt die Frage durch die zähe Stille und Marc spürte, wie in ihm der Wunsch stärker wurde wieder bei Oliver zu sein. Diese Frage gefiel ihm nicht. Nicht mit diesem lauernden Unterton. Diesem wissenden Unterton.

„Ja, es hat sehr viel Spaß gemacht." Er hoffte, dass er sich das nur einbildete. Dass ihm seine Paranoia einen Streich spielte, doch als sein Vater plötzlich schmerzhaft seinen Oberarm packte, wurde aus der Vermutung Gewissheit.

„Sag mir, dass es nicht so ist! Sag mir, dass ich nicht gesehen habe, wie du diesen Jungen geküsst hast! Mein Sohn ist keine verdammte Schwuchtel!" Marc knickte unter dem schmerzhaften Griff seines Vaters ein und ging langsam in die Knie. Er versuchte zu verstehen, warum dies gerade geschah. Es war doch gar nicht möglich, dass er den Kuss gesehen hatte. Er hatte doch extra geschaut, ob wirklich niemand da war. Das war nicht möglich!

„Sag es sofort!" Sein Vater stieß ihn grob zu Boden und Marc konnte sich gerade noch auffangen. Sofort stand er wieder auf und nahm Abstand, krallte sich verzweifelt in den Tragegurt seiner Tasche und spürte, wie die bodenlose Panik seinen Hals zuschnürte.

„Du musst dich irren. Ich habe keinen Jungen geküsst. Wir haben uns nur zum Abschied umarmt." Es war die pure Verzweiflung, die ihn dies sagen ließ, doch er wusste, in dem Moment als die Worte seinen Mund verließen, dass es umsonst war. Seine Tarnung war aufgeflogen und das würde ihn sein Vater niemals verzeihen.

„LÜG MICH NICHT AN!" Dieser Schlag ging gegen den Türrahmen. Ein letzter Rest hielt ihn noch davon ab auf seinen eigenen Sohn loszugehen, doch Marc war sich nicht sicher, wie groß und stabil diese Mauer war. Er wollte sie nicht einreißen und dennoch wusste er nicht, was er sonst tun sollte.

„Ich hab es gesehen. Warum tust du mir so etwas an? Wieso bringst du solch eine Schande über deine Familie? Ist dir denn nicht bewusst, wie abartig euer Tun ist?" Die Mauer stand noch, doch diese Worte taten unfassbar weh. Es war nicht ekelhaft, sondern wunderschön. Dieses warme Gefühl und das Glück, dass er jedes Mal spürte, wenn er Zeit mit Oliver verbrachte. Sie konnten nicht schlecht oder gar verboten sein.

„Ich... ich liebe ihn." Mehr konnte Marc nicht sagen, denn plötzlich packte ihn sein Vater hart im Nacken und stieß ihn in Richtung seines Zimmers. „Du redest im Wahnsinn! Niemals kannst du einen Jungen so lieben wie du eine Frau liebst! Das ist abartig und das wirst du auch noch verstehen. Du hast Hausarrest bis du wieder zur Vernunft kommst und dein Handy bekommst du auch dann erst wieder zurück!"

„Was?! Nein! Das kannst du nichttun!"

„Und wie ich das kann! Ich bin dein Vater und ich weiß, was das Beste für dich ist! Glaub mir, mein Junge, ich will nur, dass es dir gut geht."

Marc konnte gar nicht so schnell reagieren, wie ihm sein Vater das Handy aus der Hosentasche riss und ihn in sein Zimmer stieß, um dann die Tür abzusperren. Eine unfassbare Leere befiel sein Denken und verschluckte alles, was dort jemals existiert hatte.

Dort war die verschlossene Tür, seine Tasche auf dem Boden und die Hosentasche, die sich schmerzhaft leer anfühlte. Es war ein Fehler gewesen. Er hätte das Wochenende nicht bei Oliver verbringen dürfen. Sie hätten sich nicht zum Abschied küssen dürfen, aber er war so beflügelt gewesen von diesen zwei Tagen, dass er die Gefahr nicht mehr gesehen hatte.

Was soll ich nur tun, Oliver? Oh Gott, ich liebe dich. Ich werde dich immer lieben und wenn das mein Vater erkennt, dann ist alles vorbei. Einfach alles...


Verhasst - Einzig seinen Weg finden zu lebenOnde histórias criam vida. Descubra agora