Nachdem meine Eltern uns über Alexa kontaktiert hatten und stolz verkündeten, dass sie Deutsche Meister geworden waren, gingen wir nach oben in mein Zimmer. Es dauerte nicht lange, bis Liam das noch vollständig verschlossene Paket mit den Klopfern auf meinem Schreibtisch entdeckte. Es war ursprünglich ein Überbleibsel von meiner Geburtstagsparty vor zwei Wochen, aber ich hatte noch keine Zeit gehabt, sie richtig wegzuräumen.

Es kam, wie es kommen musste, und wir forderten uns gegenseitig zu einem Trinkwettbewerb heraus. Theo beschloss, als Schiedsrichter zu fungieren und deshalb nur einen Shot mit uns zu trinken. Hatte ich schon erwähnt, dass ich Alkohol absolut nicht vertrug und deshalb sehr schnell Anzeichen von mir gab?

Ich fing an, immer lauter und öfter selbst über die unlustigsten Dinge zu lachen und als sich schließlich alles um mich herum zu drehen begann, setzte ich mich auf den Teppich vor dem Fernseher. "Gibst du schon auf?", fragte Liam und grinste schon siegessicher.

Aber diese Genugtuung würde ich ihm nicht gönnen. Zumindest jetzt noch nicht. Wir vernichteten die erste Packung, aber zum Glück war noch eine zweite übrig, die wir dann öffneten. Zwischendurch hatte ich schon ordentlich Wasser getrunken, damit es nicht ganz so schlimm werden würde. Streng genommen hielt Theo das für einen Regelverstoß, aber da es für alle klar war, wer gewinnen würde, ließ er es durchgehen.

Schließlich wollte er sich nicht mit meinem ersten Kater herumschlagen. Irgendwann später, ich saß inzwischen schon auf der Couch, verlangte ich eine Pause. Ich war viel zu naiv, um einfach aufzugeben.

Doch nun trat eine andere Phase ein, die ich immer hatte, wenn ich zu trinken begann. Ich wurde anhänglich, total anhänglich. Wie ein kleines Kind. Weil ich mich allein fühlte und nur noch Umarmungen wollte. Das letzte Mal, bei meiner Geburtstagsfeier, war es so halbwegs gut ausgegangen. Am Anfang hatte ich mich an meinen besten Freund gehängt.

So sehr, dass er so genervt von mir war, dass er mich einfach auf einen Stuhl verbannt hatte und sich zu meiner besten Freundin auf die Bank gesetzt hat. Im Nachhinein konnte ich total verstehen, dass er genervt und auch überfordert war.

Er wusste nicht, wie man mit betrunkenen Menschen umgeht. Das war aber nicht das Schlimme daran. Das Schlimme daran war, dass er nicht wusste, wie er mit mir umgehen sollte. Nicht mehr. Und das brach mir das Herz. Vor allem, weil es eine Zeit gab, in der er der einzige Junge für mich gewesen war. Eigentlich war er das auch jetzt noch, aber das sollte sich schon bald ändern!

Damals war es auch Liam gewesen, der für mich da gewesen war. Als Finn mich also von ihm weggestoßen hatte, was mehr Schaden anrichtete, als er in diesem Moment begreifen konnte, war Liam derjenige gewesen, der mich in den Arm genommen hatte.

Auch wenn es eher unfreiwillig gewesen war. Immerhin war ich auf ihn zugegangen und hatte ihn zehn Minuten lang umarmt. Aber er hatte mich nicht weggestoßen, genau das was ich gebraucht hatte. Eine Person die mich einfach festhielt. Später, nachdem er für mich Gitarre gespielt hatte, hatte ich sogar mit ihm gekuschelt und es fühlte sich gut an.

Genau das tat ich jetzt auch. Nur dass ich ihn fürs erste nur wieder deutlich zu lange umarmte. "Hey hey hey, wir sollten eigentlich Gegner sein. Das ist gegen die Regeln. Es sei denn natürlich, du gibst auf." Ich wollte nicht aufgeben, ich wollte ihn zwar noch weniger los lassen, aber ich war überzeugt, dass ich schon bald gewinnen würde.

Überraschung. Das tat ich natürlich nicht. Nur ein paar Klopfer später, als ich den Deckel gerade so noch abbekommen hatte, wurde mir klar, dass ich definitiv keinen weiteren Schluck mehr runterbekommen würde. Obwohl ich mich weigerte dies zu glauben, und darauf bestand, dass es sofort wieder gehen würde, wusste ich doch, dass ich verloren hatte.

Eigentlich hatte ich es die ganze Zeit gewusst. Aber das Positive war, dass ich mich wieder in Liams Arme begeben konnte. Er musste allerdings erst einmal auf die Toilette und ließ Theo, mich und meine Grübeleien allein. "Ist alles in Ordnung mit ihm?" fragte ich Theo frei heraus.

Schließlich waren sie wie beste Freunde, und wenn er nicht wusste, was mit ihm los war, dann wusste es niemand. "Wenn ich er wäre, wäre ich auch verwirrt. Sobald du betrunken bist, tut ihr so, als wärt ihr schon seit drei Jahren zusammen."

Diese Worte spukten mir im Kopf herum und lösten ein noch größeres Schwindelgefühl aus. Meine Lunge fühlte sich leer an. Ich musste sofort an die frische Luft. Stolpernd stand ich von der Couch auf und rannte wie in Trance die Wendeltreppe hinunter. Theo, weil ich ihn einfach so zurückgelassen hatte, fragte, ob alles in Ordnung sei, aber ich antwortete ihm nicht.

Seine Worte hatten mehr in mir ausgelöst, als sie vielleicht hätten tun sollen. Es war wie ein Schalter in mir, etwas, das ich in diesem Moment nicht beschreiben konnte. War es möglich, dass ... - NEIN, das war es nicht. Definitiv nicht.

Meine Füße führten mich automatisch zu unserer Balkontür. Blindlings öffnete ich sie und trat hinaus in die Dunkelheit. Die kalte, aber dennoch angenehme Luft schlug mir um die Ohren und ließ mein blondes Haar herumwirbeln. Eine weitere Treppe führte mich in unseren Hinterhof, wo ich mich auf eine Couch plumpsen ließ, die mein Vater selbst aus Paletten gebaut hatte.

Meine Gedanken kreisten um Finn, wie schon das ganze letzte Jahr, aber jetzt war da auch noch jemand anderes in meinen Gedanken. Während Finn mir die meiste Zeit nur Schmerz gebracht hatte und niemand es geschafft hatte, mich aufzuheitern, gab es eine Ausnahme.

Eine Person, die mich den ganzen Schmerz des letzten Jahres vergessen ließ. Dieser Mensch war zu einem Zeitpunkt in mein Leben getreten, der für meinen Geschmack viel zu spät war, aber vielleicht war er genau richtig. Vielleicht war er gekommen, um mich endlich zu retten, weil ich es nicht ganz allein schaffen konnte, wie ich es geplant hatte.

Vielleicht war ich ja doch nicht auf mich allein gestellt.

All too wellWhere stories live. Discover now