Prolog | Valentina

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Ich fürchte mich nicht vor dem Dichtungs-Klebeband, das meine Lippen gewaltsam versiegelt. Oder davor, wie mir das unnachgiebige Material des Kabelbinders um meine Handgelenke die Blutzufuhr abschneidet.

Ich zittere auch nicht deshalb wie Espenlaub, weil mich der Mann, der in den vergangenen Monaten zu einem engen Freund geworden ist, auf Befehl seines Vorgesetzten hin im Kofferraum abgelegt hat wie einen stinkenden Müllsack.

Vielmehr jagt mir das Ziel unserer kurzen Fahrt eine Heidenangst ein.

John drosselt das Tempo seiner lackschwarzen Limousine und schon knirscht Kies unter unseren Reifen. Wahrscheinlich sind wir abseits der grölenden Großstadt gerade in die Einfahrt zum Anwesen meines Mannes eingebogen - Matteo Angelini, dem Unterboss des Chicago Outfits der Cosa Nostra.

Mein Herz hämmert wild.

John wird mich direkt vor seine Füße werfen, mich ausliefern - da mache ich mir keine Illusionen.

Die brüllende Mittagshitze prasselt auf den dunklen Lack des Wagens nieder und treibt die Temperaturen im Inneren auf gefühlte siebzig Grad hoch. Ich bekomme kaum Luft, und wenn doch, durchströmt sie meinen Körper garantiert nicht zum ersten Mal.

Wir kommen zum Halten. Der Kofferraum geht auf und ich muss heftig blinzeln, als die einfallenden Sonnenstrahlen mit der Intensität eines Bunsenbrenners auf mich nieder ballern.

Ein überlebensgroßer Schatten schiebt sich zwischen mich und den Todesstern da oben am Himmel, bevor ich zur Rosine verschrumpeln kann.

Die dunkle Silhouette wird langsam klarer, füllt sich mit Konturen, mit Details und ich begegne der tiefen Furche zwischen Johns Brauen. Seinen glasigen Augen.

Ohne meinen Blick zu erwidern, schlingt mir der glatzköpfige Muskelberg einen Arm um den Oberkörper und den anderen um die Kniekehlen. Einen Wimpernschlag später werde ich aus dem Wagen gehoben.

»Mh«, stöhne ich gegen das Klebeband, als endlich wieder Blut durch meine Beine zirkuliert.

Mein kurzes schwarzes Shirtkleid ist zerknittert, meine BH-Träger verrutscht und ich habe meine Ballerinas verloren, als mich John aus dem Bus nach Maine in seinen Wagen gezerrt hat.

Er ringt sich ein müdes Lächeln ab. Mit den Augen fahre ich die längliche, schlecht verheilte Narbe nach, die seine linke Wange in zwei Hälften zerteilt.

Ob ihm dasselbe Monster, das für ebendiese Narbe verantwortlich ist, auch die Zunge herausgeschnitten und sie in einen wulstigen, zuckenden Stumpf verwandelt hat, habe ich mich nie zu fragen gewagt. Oder wie viele seiner neun Leben er bereits aufgebraucht hat.

Die meisten Menschen sehen einen fleischgewordenen Albtraum, den Sensenmann.

Aber - und bitte verratet ihm das auch dann nicht, wenn ich längst als Madenfutter unter der Erde vor mich hin gammle - für mich ist John binnen weniger Wochen zum Brandungspfeiler geworden, einem Vertrauten - weit bevor Matteo und ich tiefere Gefühle füreinander entwickelt haben.

Als hätte ich meine Gedanken laut ausgesprochen, verformt sich sein Mund erneut zum Hauch eines Lächelns.

John lässt mich auf die Füße sinken, so sachte, als wäre ich aus Porzellan.

Mit unserer Ankunft ist auch das Klebeband überflüssig geworden. Am Arsch der Welt hört mich ohnehin keiner schreien.

John bekommt eine lose Ecke des silbergrauen Klebestreifens zwischen Daumen und Zeigefinger zu fassen und entfernt ihn mit einem geräuschvollen Ratschen.

Crushing Rose PetalsWhere stories live. Discover now