4.5 Warnung aus der Dunkelheit

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»Von mir aus«, versuchte Akin sich möglichst gleichgültig zu geben, um nicht den Anschein zu erwecken, dass Henrys Worte ihm irgendwie nahegingen.

Als sie in den stockdusteren Flur hinaustraten, sahen ihnen zwei leuchtende Augen entgegen. Mosaik saß vor dem Fell an der Wand und leckte genüsslich seine Pfoten ab. Ein Geräusch, das sich verdächtig nach Schritten anhörte, erklang über ihnen. Akin zuckte so heftig zusammen, dass er seinen Ellenbogen gegen den Türrahmen stieß. Summen und Prickeln durchzog seinen Arm. Ein schmerzgeplagtes Stöhnen entwich seiner Kehle. Die Schritte verhallten in ein Schaben, als würde Holz über Holz geschliffen werden.

»Was ist das?« fragte Henry. Er betätigte den Lichtschalter an der Wand. Die Lampe zuckte auf, einen Wimpernschlag blendend hell, ehe sie unter einem elektrischen Röcheln erlosch. Zurück blieb tiefschwarze Nacht.

Das Nachbild des Flurs tanzte wie leuchtende Punkte durch Akins Blickfeld. Ein Schauder senkte sich über seinen Rücken hinab. Sein Verstand erwartete, zu hören, zu fühlen, wie Henry sich schräg vor ihm wieder verkrampfte, sich röchelnd und gluckernd ein Husten aus der Kehle rang. Die Erinnerungen an das entstellte Mädchen aus seinen Träumen waren ihm lebhaft im Gedächtnis geblieben und schlugen in seine Gedanken ein wie Schrapnellen.

»Vielleicht gibt's aktuell doch Stromschwankungen? Kann ja nicht sein, dass alle Lampen gleichzeitig schwächeln«, fuhr Henry fort. Er zückte sein Mobiltelefon aus der Hosentasche, mithilfe dessen Taschenlampe er den Flur in einen grellen Lichtkegel tauchte. »Vielleicht ist das ein Mader? Wir sollten besser nachsehen.«

»Bist du verrückt?«, platzte es aus Akin hervor. »Man schaut nicht einfach irgendwo nach.«

»Wir sind doch nicht«, begann Henry, verstummte dann jedoch mitten im Satz. In der Schwärze des Flures zeichnete sich auf seinem Gesicht ein milder Ausdruck ab. »Es ist wegen der defekten Lampe, oder? Du musst dich wirklich nicht fürchten, immerhin sind wir zu zweit.«

Würde ihm nicht jeden Moment das Herz bis in die Fußsohlen rutschen, hätte er Henry für dessen Aussage mit dem Ellenbogen in die Seite gestoßen – er war immerhin kein Kleinkind, das sich in die Hosen nässte. Sein mitfühlender Blick war wie Flammen auf Akins Haut.

»Marder können großen Schäden an der Dämmung machen. Wir sollten wirklich einmal nachsehen«, versuchte Henry es erneut mit realistischen Argumenten. »Keine Sorge. Was soll denn schlimmsten Falls passieren? Zur Not beschütze ich dich natürlich.«

Die zweifelnden Worte blieben Akin im Hals stecken. Ein empörter Laut war seine Antwort. Dass Henry über seine berechtigten Befürchtungen Scherze riss, senkte sich auf seine Schultern hinab wie ein Vorhang der Erniedrigung. Er hatte keine Angst! Sämtliche Dunkelheit war vergessen, als Akin entschlossen tiefer in den Flur trat, an dem Schlafzimmer von Viktor und zwei weiteren, abgesperrten Türen vorbei, wo sich vor ihm an der Decke eine altmodische Dachluke im unnatürlich grellen Licht von Henrys Taschenlampe abzeichnete. Stille. Akins Kiefer mahlte. Mit der linken Hand nestelte er an dem Metallring hoch über ihm, bis er ihn zwischen seinen Fingern fest gepackt kriegte. Die Muskeln seines Oberarms spannten sich an, als er kräftig an dem Griff zog, bis die Luke senkrecht zum Fußboden stand und den Blick in einen schwarzen Schlund freigab. Er zog die Leiter aus, bis ihre Füße fest auf dem Boden standen. Um sich keine Blöße zu geben, setzte er demonstrativ einen Fuß auf die erste Sprosse, hielt sich an dem massiven Holz des Rahmens fest und drückte sich der Decke entgegen.

Die Treppe quietschte bei jedem Schritt, den er sich höher wagte. Seine Beine zitterten. Als er seinen Kopf langsam durch die Luke schob, empfing ihn ein modriger Geruch. Eine kühle Brise umspielte sein Gesicht. Akin hatte das Gefühl, sein Herz verkroch sich tiefer in seinen Körper. Sein Puls ebbte ab, dröhnte zunehmend lauter bei jedem kräftigen Schlag. Ein Stein lag ihm im Magen. Hitze wallte in ihm hoch, während seine Hände schweißnass und kühl zugleich die oberste Sprosse der Leiter umklammerten wie einen Anker zwischen Himmel und Hölle.

Komm mit mir nach gesternWhere stories live. Discover now