3.3 Im Wunderland

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Auf dem Weg zum nächsten Klassenraum stoppte Akin bei den Süßigkeiten-Automaten im Obergeschoss. Er hatte sie heute Morgen entdeckt, als er versehentlich falsch abgebogen und bei den Matheräumen gelandet war. Die Rucksäcke der anderen versperrten ständig die Gänge, doch hier oben war es überwiegend leer. Er war nur noch wenige Meter vom ersten Unterrichtsraum entfernt. An der Tür zum Büro des Hausmeisters, genau gegenüber der Automaten, lehnte Jonah mit einem rothaarigen Jungen. Akin seufzte innerlich auf. Bisher schienen sie ihn noch nicht bemerkt zu haben.

Jonah starrte auf das Buch in seinen Händen, welches er konzentriert bekritzelte. Als er aufblickte, schlich sich ein Grinsen auf seine Lippen. »Fit für nachher, Kleiner?«

»Du hoffentlich auch, Großer«, stieg Akin auf Jonahs Provokation ein.

Über Jonahs Gesicht flackerte eine Mischung aus Wut und Perplexität. »Es ist seltsam. Du weckst in mir das Bedürfnis, dich einerseits zu verhauen und andererseits in Welpenschutz zu nehmen. Komisch. Vielleicht sollte ich erst das eine und dann das andere ausprobieren, was meinst du?«

Akin öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, musste ihn jedoch letztendlich schließen, weil er nicht wusste, was er sagen sollte. Sie schauten sich an, abwartend und unnachgiebig gleichermaßen, während Akin spürte, dass das Blut in seinen Ohren zunehmend lauter rauschte.

Um die Verärgerung aus seiner Stimme zu halten, atmete er einmal tief ein und aus. »Wir müssen wohl kaum beste Freunde werden, um zusammen einem Ball hinterherzujagen. Oder fühlst du dich auf die Eier getreten, weil du immer nur auf der Ersatzbank spielen darfst?«

Ein ähnliches Drama wie in seinem alten Verein wollte er sich gerne ersparen. Er verstand nicht, warum Jonah ihm gegenüber so voreingenommen war und sich verhielt wie das größte Arschloch. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er meinen, sie wären sich früher einmal unter einem schlechten Stern begegnet. Doch bis gestern hatte er ihn nicht einmal gekannt.

Jonah klappte das Buch in seinen Händen mit einem lauten Knall zu, dass es nur so durch den Gang hallte. »Hört, hört. Da spuckt jemand laute Töne. Glaub bloß nicht, ich würde das auf mir sitzen lassen, wenn jemand mir gegenüber eine zu große Fresse hat.«

»Es heißt große Töne spucken

Ein stiller Augenblick, in dem niemand etwas sagte und sie sich nur ansahen, verging, dann drückte Jonah das Buch dem rothaarigen Jungen in die Hände.

»Willst du mich verarschen?«

Jonahs Freund legte eben diesem eine Hand auf die Schulter. »Bist du endlich fertig mit dem Kindergarten-Mist? Ich habe keine Lust, zu spät zu kommen, nur weil dir dein Ruf als Choleriker vorauseilt.« Er stieß sich von der Wand ab und hielt Jonah das Deutschbuch für Achtklässler, auf dessen Umschlag ein riesiger, mit schwarzem Folienstift gemalter Penis prangte, mit einem strafenden Blick entgegen.

Als Jonah keine Anstalten machte zu reagieren, zog der Junge seine Augenbrauen fest zusammen und stopfte das Buch in eine geöffnete hellrosa Schultasche neben sich. »Dann halt nicht.« Mit diesen Worten stapfte er an Akin vorbei, die große Treppe hinab und verschwand im Gewusel der anderen Schüler, die sich auf den Weg zu ihrem nächsten Unterricht machten.

Auch Akin war die Lust vergangen, sich weiter mit Jonah auseinanderzusetzen. Der andere Kerl hatte recht. Jonahs blanker Hass gegen ihn war wie im Kindergarten. Als hätte er ihm das Förmchen im Sandkasten weggenommen und nun Schläge mit der Schippe verdient. Ohne sich etwas vom Automaten zu kaufen, ging er den Weg zurück, den er gekommen war. Kurz vor dem Klassenzimmer für Ethik und Lebenskunde stieß Akin auf Henry.

Sein strahlendes Gesicht, während er sich angeregt mit einer Lehrerin unterhielt, war zum Davonlaufen. Begeisterung funkelte in seinen Augen. Mit jedem Wort sprudelte reine, warme Energie aus ihm hervor. Henry sandte so unerschöpflich Positivität und Freude an seine Mitmenschen, dass es Akin zu nerven begann.

Komm mit mir nach gesternWhere stories live. Discover now