3.4 Im Wunderland

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Eine knappe Viertelstunde später saß Akin im Bus, um zum Probetraining zu fahren. Als dieser von der menschenleeren Einkaufsstraße von Altlitz auf die Landstraße bog, sah er schon von weitem die mittlerweile altbekannten, matschigen Felder, die erdig grau einen Streifen zwischen Fahrbahn und Himmel zogen. Leitpfosten rasten alle fünfzig Meter an ihm vorbei, ebenso wie die knorrigen Äste der Bäume und Sträucher. Nur das vereinzelte Grün von Tannen und Gräsern bildete einen Kontrast zu der trostlosen Riesenpfütze.

Ruckelnd fuhren sie von der Landstraße ab. Ein Ortsschild, versteckt zwischen tiefgrünen Eiben, verkündete ihnen, dass sie in Süderdorf angekommen waren. Der Regen verstummte.

Akin griff in seine Bauchtasche, um sein Telefon hervorzuziehen, auf dem er sich die Busverbindung abfotografiert hatte. Bei der Haltestelle Am Stadion musste er aussteigen. Er schaute hinaus und fixierte die Einfamilienhäuser, die dem Straßenverlauf folgend wie Soldaten aneinander gereiht standen. Ein paar Meter weiter entdeckte er neben einem umzäunten Findling das Haltestellenschild, an dem seine Reise mit dem Bus enden würde. Er drückte einen der gelben Haltewunsch-Knöpfe.

Mit seinem feuchten Rucksack auf dem Rücken stieg Akin aus – direkt in eine esstischgroße Pfütze hinein. Seine Schuhe sogen sich mit kaltem Regenwasser voll, sodass er einen überraschten Laut von sich gab und hastig Richtung rettenden Bürgersteig sprang.

»Beschissener Drecksregen!«, fluchte er.

Die Zeit bis zum Training würde er mit klitschnassen Schuhen verbringen müssen. Bei dem Wetter würden sie sicherlich in einer Halle spielen, weshalb er nicht seine Fußballschuhe anziehen konnte, die er in der Sporttasche hatte. Akin hastete in wütendem Schritt auf eine Bank des angrenzenden Parks zu, in dem mittig ein rotes Backsteinhaus mit Turmspitze stand. Doch er sah schon von weitem, dass sie vollkommen nass geregnet war und das, obwohl sie sich halb unter dem Vordach des Gebäudes befand. Er schaute auf und entdeckte an der Tür ein Kreuz. Eine Kirche, dachte Akin. Wenn er das Glück ausnahmsweise auf seiner Seite gepachtet hatte, würde sie vielleicht offen sein und er könnte im Trockenen warten. Bis das Training begann, musste er noch zwanzig Minuten überbrücken.

Er spähte nach links und rechts, ehe er die Türklinke nach unten drückte. Er wusste nicht, ob es ihm erlaubt war, einzutreten, doch wer nicht abschloss, dachte er sich, durfte sich über ungewollten Besuch wahrlich nicht beschweren. Die elegant geschwungene Tür ließ sich öffnen und Akin huschte hinein ins kühle Innere. Gottseidank. Durch die großen Kirchenfenster, die in bunten Formen und Figuren schillerten, fiel schwaches Licht von draußen. Er konnte kaum die sauber gereihten Holzbänke in der Dunkelheit erkennen, weshalb er gleich vorne beim Eingang seine Sachen abstellte und sich auf das raue Holz sinken ließ. Sollte jemand kommen, hätte er von hier die beste Aussicht, um unauffällig zu verschwinden. Seine nassen Turnschuhe pfefferte er in die nächstbeste Ecke. Ein Jesuskreuz über ihn wachend.

Im Schneidersitz rutschte er bis hinten an die Lehne, dann griff er nach seinem Mobiltelefon in der Bauchtasche seines klammen Pullovers, den er am liebsten auch ausgezogen und übergehangen hätte, aber dann wäre es ihm zu kalt gewesen. Anscheinend waren Heizungen der Kirche nicht heilig genug.

Er wählte Saschas Festnetznummer in seiner Kontaktliste aus, dann wurde die staubige Stille von einem Tuten durchschnitten. Niemand hob ab. Scheinbar war sein Kumpel noch nicht daheim. Ein Räuspern riss Akin aus seinen Gedanken. Das Geräusch war nicht aus seinem Telefon gekommen, zögerlich hob er seinen Blick. Eine Reihe vor ihm saß eine uralte Frau, deren schneeweißes Haar zu einem Dutt gesteckt und mit einer schwarzen Blume versehen war. Ihre restliche Kleidung war ebenfalls gänzlich in Schwarz, auch wenn die Dunkelheit der Kirche ihn trügen könnte. Er hatte nicht bemerkt, dass er gar nicht alleine war.

Komm mit mir nach gesternWhere stories live. Discover now