Aus purer Verweiflung

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Es ist offensichtlich, dass Milano mit dem Druck zu kämpfen hat und versucht, alles auf seine Schultern zu nehmen.

In den letzten Tagen war die Veränderung in der Atmosphäre des Circus deutlich spürbar. Milano und Leo arbeiten intensiv daran, neue Ideen zu entwickeln, um den Circus wieder zum Erfolg zu führen. Sie organisieren Meetings mit den Mitarbeitern, diskutieren Strategien und setzen neue Marketingmaßnahmen um.

Auch gerade schaue ich Milano und Leo dabei zu, wie sie in unserem Wohnwagen am Tisch sitzen und mögliche Ideen nochmals durchgehen. Ich lehne an der Küchentheke und schaue auf die Uhr. 24:00, schon wieder, obwohl es die letzten Tage schon deutlich später wurde als das. Am Tag sind beide am Trainieren oder damit beschäftigt, irgendetwas am Circus zu verändern oder zu verbessern.

Als ich vor ein paar Tagen gesagt habe, dass Milano sehr im Arbeitsmodus ist und diesen kaum abschaltet, um mich einmal anzuschauen, habe ich nicht gewusst, dass das noch schlimmer werden kann. Zudem habe ich es jetzt auch im Doppelpack. Ich habe die meiste Zeit damit verbracht, Milanos Mutter bei irgendetwas zu helfen. Sie ist seit dem Tod von Emilio kaum aus ihrem Wohnwagen gekommen, was ich mehr als verständlich finde. Jedoch verpasst sie so auch, wie sich ihre zwei Söhne komplett überarbeiten.

Auch heute sehe ich schon, wie Milano am Ende nur zu 3 Stunden Schlaf kommt und das am nächsten Tag wieder mit einem Kaffee nach dem anderen zu kompensieren versucht.

"Funktioniert alles am Ende doch nicht", die emotional geprägte Aussage von Milano reißt mich aus meinen Sorgen. Ich schaue zu ihnen an den Tisch und sehe, wie Milano alle Blätter, die sie angesehen haben, zur Seite legt. Vor den beiden auf dem Tisch liegt nun nur noch ein letztes Blatt. Sie schauen sich an, und Leo sagt, als er es etwas näher zu Milano rückt: "Dann bleibt uns nur noch das."

"Was ist das?", sage ich schnell, es wäre für mich nicht möglich gewesen, diese Spannung auch nur eine Sekunde aufrecht zu erhalten. Nun habe ich beide Blicke auf mir, und Leo beginnt zu erklären: "Das ist eine Medienfirma, die über uns eine Dokumentation machen will, sie fragen schon seit Jahren an."

"Und Papa lehnt schon seit Jahren ab", ergänzt Milano. "Es wäre die optimale Chance, um Werbung zu machen und gesehen zu werden, Medien ist ein guter Weg für so etwas heutzutage", spricht Leo dann weiter.

"Aber wenn es so optimal ist, warum hat euer Vater es denn nie gemacht?", hacke ich nach. "Naja", beginnt Milano und schaut Leo skeptisch an. Ich sehe den Jungs an, dass sie sich beide überlegen, ob sie mir diese Details nun anvertrauen möchten. Milano, der sich dann jedoch an meinen Wunsch miteinbezogen zu werden erinnert, fängt dann trotzdem an; "Sagen wir, diese Produzenten sind in mancher Hinsicht etwas fragwürdig. Papa hatte mit ihnen ein Gespräch über ihre Vorstellungen für die Dokumentation, und vieles soll einfach sehr zuschaueranlockend sein. Das wäre aber genau das, was wir jetzt brauchen."

Ich schaue die beiden etwas fragend an, denn zugegeben habe ich das genaue Problem immer noch nicht verstanden, wie auch, es hat es ja auch noch keiner ausgesprochen. "Lügen", ergänzt Leo dann jedoch sehr abrupt: "Wir sollen lügen."

Ich schaue Milano etwas besorgt an. Mein Blick soll so viel heißen wie, bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist. Er scheint mich auch wortlos verstanden zu haben und meint dann: "Naja lügen ist ein großes Wort, sie wollen aber schon die ein oder andere Sache abändern oder dazu dichten."

"Okay, sie wollen relativ viel dazu dichten", hängt Milano dann noch an, als hätte ihn jemand zum Weiterreden gedrängt.

"Das klingt nicht wie ihr Jungs", sage ich dann: "Natürlich geht es im Circus um eine Show, eine Art magische Fassade, aber eine halb gelogene Dokumentation zu machen... ich weiß nicht."

Ich sehe, dass die beiden über meine Worte nachdenken, es geht jedoch nicht lange, bis Leonardo sagt: "Wir haben keine andere Wahl, wir brauchen die Publicity. Und gerade Drama und Aufregung bringt diese nun mal."

Spätestens nach dieser Aussage bin ich wirklich beunruhigt: "Drama? Über was für Lügen sprechen wir denn hier?" Wieder ist er da, der gleiche Blick der beiden, wieder sind sie im ersten Moment unsicher, wie viel sie mir noch verraten sollen. "Naja halt, die dich verkaufen", sagt Leo dann, und beide schauen mich unschuldig an. "Hört auf euch herumzureden, spuckts aus", sage ich und schaue sie erwartungsvoll an. "Naja, Milano wäre halt dann der Aufreißer, Ladys Boy, und Leo wäre der Badboy, der sich nicht an Regeln hält und so", ich sehe beiden an, das sie etwas Angst haben vor meiner Reaktion. Zurecht, aber auch sie scheinen zu merken, dass das völlig absurd klingt. "Das klingt wie aus einer Trash-TV Sendung. Circus, jung, wild und verzweifelt oder wie?", sage ich dann und finde es welten nicht so lustig wie Leo meinen Vergleich gerade. "Es geht doch hier darum die Circus-Kunst und euer Talent und die Leidenschaft, die ihr dafür habt."

"Wenn wir es uns wünschen könnten, hätten wir auch lieber so etwas", sagt Milano dann, und ich merke, dass sie sehr dazu tendieren, es zu tun. "Nicht wirklich, Jungs, oder?", frage ich nochmals nach in der Hoffnung, dass ich mir diese Tendenz eingebildet habe. "Ich glaube, wir müssen", meint Leo dann, und auch Milano nickt. Unverständlich schaue ich beide an, weiß jedoch auch, dass ich hier nicht mehr viel zu melden habe.

Magic Circle 2 - Einmal Circus immer CircusWhere stories live. Discover now