Leere Stühle aber volle Verantwortung

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Das Ertönen der Musik im Zelt ist mein Zeichen dafür, dass ich nun die Kasse im Snackwagen schliessen kann. Ich verstaue die geschlossene Kasse und laufe in Richtung Zelt um wie so oft während der Show ins Zelt schauen zu können, die Stimmung packt mich jedes Mal wider. Ich schiebe die blaue Plane zur Seite und luge hinein, die Stimmung, der Geruch und die Musik sind gleich schön wie immer, doch etwas stimmt nicht. Viele Stühle sind leer und das an einem Samstagabend. Ich hatte es vorher beim Verkaufen gar nicht gemerkt, da ich sehr vertieft war, aber jetzt ist es nicht zu übersehen, es sind viel zu wenig Leute.

Mit einem etwas bedrückten Gefühl gehe ich hinter Zelt zum Sattelgang, wo Milano auf mich zu kommt. «Hez bella», sagt er und küsst mich. Er küsst mich so, als würden ihn die fehlenden Leute nicht bedrücken und auch so, als hätten wir vor der Show nicht diskutiert. Er hält mich nach dem Kuss an den Hüften und lächelt mich an. Das erste Mal heute, dass ich diese Art Zuneigung von ihm bekomme. Wenn die Show läuft und alle Zuschauer im Zelt versteckt sind, dann geht das.

Doch dann ist der Moment auch schon wieder vorbei und Milano sagt: Würdest du die Araber entgegennehmen, wenn sie aus der Manege kommen?», Ich nicke und gehe mit Milano zum Vorhang. Kurze Zeit später werden die Araber zu uns gebracht und Milano schaut sich kurz jeden einzelnen an. Er begrüsst sie, streicht ihnen über die Nase und checkt, wie sie drauf sind. Dann kommt auch schon der Jongleur durch den Vorhang, was für Milano heisst; Showtime.

Der Vorhang geht auf und ich husche schnell zur Seite. Als Milanos Gesicht das erste Scheinwerferlicht trifft, fängt er an zu strahlen. Es ist viel mehr als nur das Lächeln, welches er aufsetzt, sein ganzer Körper verändert sich, er ist im Showmodus.

Nach Milanos Nummer nehme ich, die Araber entgegen, welche Milano aus der Manege schickt, bevor er sich verbeugt. Ich gehe mit den ersten zum Stallzelt und bringe sie in ihre Boxen. Alle bekommen noch ihr Leckerli und ich bleibe noch etwas am Boxenrand stehen. Während ich den Pferden beim entspannten Heu Knabbern zusehe, kommt Milano mit dem letzten Pferd kurz danach ebenfalls ins Stallzelt.

«Na, versorgt der Circus-Prinz sein Pferd zur Abwechslung mal selbst?», sage ich humorvoll, jedoch erwidert Milano diese Stimmung ganz und gar nicht. «Grad nicht lustig», ist nämlich seine Antwort. Ich lasse von der Box ab und gehe mit einem fragenden Blick auf ihn zu. «Du willst das ich mit dir darüber spreche, ich weiss», sagt Milano dann und seine Aussage klingt gleichermassen schnippisch, wie sie einsichtig klingt. «Komm», meint er dann und geht aus dem Stallzelt zum Wohnwagen.

Er schliesst die Tür hinter uns und ich lehne mich gegen die Tischkante und schaue ihn erwartungsvoll an.

«Hier kommt sie, die Wahrheit, vor der ich dich ja nicht beschützen soll», meint Milano dann in einem ähnlich gemischten ton wie vorher im Stallzelt. «Es läuft nicht», spricht er dann weiter: «Die ganze Woche schon sind nur knapp genug Leute gekommen und heute? Heute waren es definitiv zu wenig und es ist Samstagabend.»

Das bedrückende Gefühl ist stärker zurück als es das erste Mal vorhin gekommen ist, denn diesmal ist es bestätigt. «Vielleich wird es nächste Woche besser, vielleicht ist irgendwo ein Anlass, wovon wir nichts wissen.», versuche ich ihn oder wohl eher auch mich zu beruhigen. «Nellie, du weisst so gut wie ich woran das liegt, Papa.», Milano stockt beim Aussprechen von seinem Namen; «Unser Circus-Direktor ist tot, die Leute wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Seine Familie anschauen, die er hinterlassen hat, die alle so tun, als wäre nichts passiert.» Milano spricht erstaunlich gefasst, wobei auch dies eine Fassade zu sein scheint.

«Ich glaube euer Publikum ist genug treu, damit es zurückkommt», wieder ein beruhigungsversuch von mir. Ich weiss nämlich nicht wirklich, was ich sagen soll, ich würde gerne helfen oder noch viel lieber alles einfach magisch verändern, aber das geht nicht. «Wir müssen machen, Nellie nicht glauben. Wir müssen verdammt nochmal irgendetwas machen.
Ich kann nicht meinen Circus den Bach unter gehen lassen», Milano beginnt nervös hin und her zu laufen, seine Hände in Fäusten. «Ich würde Papa unendlich enttäuschen. Er führt diesen Circus erfolgreich für Jahre und ich brauche ein paar Wochen, um komplett zu versagen. Ich kann den Circus nicht auch noch verlieren»

Ich gehe auf Milano zu und nehme seine Hände in meine, löse seine Fäuste und verhake meine Hände in seinen. Das schnelle heben und senken seines Brustkorbes ist Zeuge davon, wie sehr sein Körper gerade angespannt ist. «Du wirst den Circus nicht verlieren», beginne ich und hoffe, dass die Worte auch bei ihm ankommen; «Du bist nicht alleine Milano, ich weiss du nimmst alles immer gerne auf dich, du willst niemanden belasten, aber manchmal sind wir genau dafür da. Du hast Leo, ihr schafft das gemeinsam. Und du hast mich und natürlich deine Mama und alle Mitarbeiter.»

Tatsächlich beruhigt sich Milano etwas und löst eine Hände aus meinen nur um mich danach in eine Umarmung zu ziehen. Wir halten uns schweigend in den Armen, bis ich mich von Milano löse und sage: «Und jetzt kämpf für deinen Circus, verdammt»

Milano lächelt mich an und dreht sich zur Tür, «Ich liebe dich», sagt er noch und dreht sich kurz zu mir um, gleich danacj jedoch ist er auch schon aus dem Wohnwagen raus.

Magic Circle 2 - Einmal Circus immer CircusWhere stories live. Discover now