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Jonas

Ich werde brutal aus dem Schlaf gerissen, als jemand Sturmklingelt. Ives setzt sich gehetzt auf und sieht sich erschrocken um.

»Was zur Scheiße?«, schreit er über den Lärm hinweg und massiert sich die linke Brust, in der es wahrscheinlich heftig pocht. »Was ist denn plötzlich mit der Welt los? Wenn das jetzt Finn ist, reiße ich ihm alle Arme und Beine aus!«

»Das will ich sehen«, murmle ich und folge ihm zur Tür. Er hat sie gerade erst aufgezogen, als jemand über die letzten Laute der Klingel hinweg schreit.

»Nimm die Hände von Jonas oder ich breche dir jeden einzelnen Finger!«, zischt Nessa und hat denselben Gedanken wie Ives zuvor. Sie drückt sich zwischen Ives und mich. Sie packt mich aus Versehen an dem genähten Finger und zieht mich näher an sich.

Ich beiße mir auf die Zunge, als ich einen Schmerzensschrei unterdrücke und ihr meine Hand entreiße. Ich ziehe zischend die Luft zwischen meine Zähne ein und atme den Schmerz heraus. Leider verdoppelt sich dieser und scheint wirklich mit jedem Atem zu steigen.

»Pass mehr auf!«, raunt Ives und schubst seine Schwester zur Seite, um vorsichtig meine Hand in seine zu nehmen. Er prüft den Verband und seufzt. »Lass uns ihn wechseln. Es wird nichts sein, aber er sieht nicht mehr so lecker aus und wir können so sicher gehen, dass wirklich nichts passiert ist.«

»Mir geht's gut«, murmle ich peinlich berührt und rücke von ihm ab. Ich sehe Nessa an und fühle mich sofort noch schlechter. »Wieso bist du schon da? Ich dachte, ihr wolltet bis zum Sechsten bleiben.«

Ich frage nicht, warum sie wie wild auf die Klingel gedrückt hat. Ich kann an ihrem Gesicht ablesen, was das Problem ist. Wir.

Wir haben uns seit Tagen nicht mehr gemeldet. Wir haben uns seit dem Vorfall mit Finn Zuhause eingebuckert und die Ruhe vor dem Sturm genossen. Wir haben das Unwetter davor kommen gesehen, doch nicht so schnell und nun ist es zu spät, um zu fliehen.

»Ich konnte keine Sekunde länger bei meinen Eltern hocken, während er« Sie zeigt energisch auf Ives. »dir wahrscheinlich die Zunge in den Hals und den Penis in den Arsch steckt, bis sich beide in der Mitte treffen.«

Ich spüre, wie sich mein Gesichtsausdruck verändert. Ich drehe meinen Kopf und sehe die angeekelte Grimasse, die ich im Spiegel mache.

»Ich wünschte, ich hätte das nicht gehört«, sagt Ronny lachend und schleppt seinen Koffer in die Wohnung. Er öffnet die Arme und drückt zuerst Ives und danach mir alle Organe heraus. »Ich habe euch vermisst. Was habt ihr die ganze Zeit gemacht? Bitte sagt mir, dass Nessa nicht Recht hat.«

»Wenn das möglich wäre, müsste Ives einen sehr langen Penis haben. Das jedoch schlägt voraus, dass er nichts hätte, mit dem er etwas kompensieren müsse«, scherze ich, auch wenn mir nicht danach ist. Ich möchte am liebsten in mein Bett zurück, die Augen schließen und sie nie wieder öffnen. Die Vorstellung, für immer in eine Traumwelt zu flüchten, hört sich plötzlich sehr verlockend an.

Ives steigt in den Witz mit ein. Er hört sich sogar noch weniger begeistert an, als ich es tue. »Ich habe vielleicht auch eine sehr lange Zunge.«

»Und ihr macht alles mal wieder viel schlimmer. Oida, ihr glaubt gar nicht, wie schön es ist, euch wieder zu sehen.«

Er schließt hinter sich die Tür und entgeht wie wir alle Nessa's stechenden Blick. Sie erinnert mich an einen Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Wir alle wurden vorgewarnt, aber wir haben die Drohung nicht ernst genommen und nun ist es zu spät für eine schnelle, unbeschadete Flucht. Wir werden alle in der Lava verbrennen.

Ein in Karamell getauchter BackenzahnWhere stories live. Discover now