Kapitel 3

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Nach einer Prüfung noch an demselben Tag musste man feststellen, dass ähnlich wie bei Steve, die ganze Identität von Claudia Bianchi erfunden war. Die Frau versteckte sich aber nicht, sondern wurde in einem Hotel im Münchner Stadtzentrum gefunden, wo sie sich kurz vor der Vernissage eingecheckt hatte. Die Kommission sah ihre Aufgabe darin, die beiden zu finden, möglichst viel über sie zu erfahren und aufzudecken, wer hinter ihnen stand. Und nebenbei, solange es zielführend war, auch die Mordermittlungen weiterzubringen. Für das letztere waren vor allem König und sein Team offiziell zuständig und sie standen in einem ständigen Austausch mit der Kommission.

Eric war an diesem Tag keine Minute lang in seinem Labor, wo er die meisten seiner Arbeitstage normalerweise verbrachte, sondern die ganze Zeit entweder im Polizeipräsidium oder in den Büros der Kommission, deren Sitz sich in einem unauffälligen grauen Gebäude ohne Informationsschild befand. Er war bisher der einzige, der immer noch keine klare Aufgabe hatte und nur hin und her lief, um mal eine Frage zu beantworten, und mal sich selbst bei den Kollegen zu informieren, was gerade los war. Damit sollte jetzt Schluss sein. Es war schon Abend, als er sich wieder im Büro von Linner fand, um Details des weiteren Vorgehens zu besprechen. Es hieß, Claudia Bianchi zum Sprechen zu bringen oder anderweitig zu erfahren, was sie über Steve weiß und ob es ein Zusammenhang gibt. Aber wie das gemacht werden sollte, darüber gab es Differenzen.

»Ich bin davon nicht so überzeugt«, lehnte sich Linner auf seinem Stuhl zurück. Ihm missfiel, was er als Tendenz von Eric ansah, die praktische Feldarbeit zum Anlass nehmen zu wollen, seine wahnwitzigen Thesen zu prüfen. Es ging jetzt doch um keine wissenschaftlichen Experimente mehr. Linner, der praktische Geist durch und durch, hatte für so was nur wenig Verständnis. Er war immer der aktive, energische Macher und sein Alter von Anfang Sechzig sah man ihm gar nicht an. Kräftig gebaut und noch immer in Form, machte er eher einen Eindruck eines Streifenpolizisten und nicht den eines hohen Beamten.

»Ich meine nur, so könnten wir viel mehr gewinnen«, setzte Eric seine Linie bescheiden, fast resigniert, fort. Ihn irritierte seinerseits, dass sein Chef, der zwar auf diesem Posten neu war und als erster Leiter der nur seit einem knappen Jahr entstandener Kommission für die Unerfahrenheit nichts konnte, aber dennoch keine Ahnung von der Materie hatte und die Ermittlung vor allem als eine Gelegenheit dazu sah, endlich ein Exemplar zu kriegen. Das konnte Eric einerseits nachvollziehen - die Kommission hatte seit ihrer Entstehung noch kein eigens beschlagnahmt. Sein Chef wollte sich gewiss profilieren, indem er dafür sorgte, dass das unter seiner Leitung in kürzester Zeit passiert. Eric war auch klar, dass selbst der Ausgang der Ermittlungen erst auf Platz zwei stand, gegenüber der internen Interessen der Kommission. Aber was, wenn es soweit ist, und sie endlich ein eigenes Exemplar haben? Dann haben sie bloß eine Leiche im Labor, mehr nicht, und das wollte Linner nicht verstehen.

»Angenommen es ist möglich. Aber müssen wir die Dinge so kompliziert machen, wenn es vielleicht auch einfacher ginge? Vielleicht würde sie mit uns auch so freiwillig reden, wenn wir sie einfach fassen?« Linner war offensichtlich doch bereit, ein Kompromiss zu suchen. Er lehnte sich wieder mit Interesse vorwärts und sah Eric konzentriert an. Was Eric an Linner immerhin schätzte, war seine Einsicht, dass er nicht alles wusste und als Chef auch nicht als allwissend gelten musste, um Respekt zu haben.

»Wenn wir sie offiziell ansprechen, dann eher nein. Sie hat weder eine Pflicht mit uns zu reden, noch kann sie von den üblichen prozessualen Rechten profitieren. Rechtlich gesehen ist sie bloß eine Sache, und zwar eine problematische, und das weiß sie auch.« Der ungeklärte rechtliche Status von Androiden war ein großer Vorteil und Nachteil zugleich. Sie waren keine Menschen und als solche hatten sie keine menschlichen Rechte. Zwar noch nicht ausdrücklich verboten, waren sie auch keine anerkannten Sachen, Besitz an welchen das Gesetz schützen würde. Dieses gesetzliche Loch wurde stellenweise missbraucht. Eric wusste über Fälle, wenn Androiden misshandelt oder zum Tode gequält wurden. Und wenn sie von den Behörden beschlagnahmt werden, gibt es noch keine Richtlinien über den Umgang mit ihnen. Alles hängt noch von der Auffassung des jeweiligen Beamten ab – das ist der Vorteil. Der Nachteil ist – dass die Androiden das wissen und sich nie freiwillig von den Behörden oder wem auch immer fassen lassen. Deswegen will Eric versuchen, das Vertrauen eines Androiden auf einem anderen Weg zu gewinnen, damit dieser der Polizei freiwillig und aus Überzeugung hilft. Er bestand immer noch auf seiner Idee: »Aber wenn wir es versuchen, ganz vorsichtig, unaufdringlich und inoffiziell ihr Vertrauen zu gewinnen, und sie dazu motivieren...«

SeelenlosWhere stories live. Discover now