Befreiung (2)

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Ein Schauer lief Baldor den Rücken hinunter, als Pangasius ihn mit ihrem Killerblick schief von der Seite ansah. Schon wieder. So ging es schon den ganzen Flug ab der Siedlung, aus der sie seine Pilotin abgeholt hatten.

Er räusperte sich. "Was ist los? Passen dir meine gebräunten Tentakel nicht?"

Der Anflug eines Grinsens zeigte sich in ihrem Gesicht, verflog sofort wieder. Sie blieb todernst. "Ich mache mir nur Sorgen. Ob wir unser Ziel erreichen."

Baldor hob die Augenbrauen. "Wovor hast du Angst? Ich bin hier schon mit den schlimmsten Monstern fertig geworden."

Unbeeindruckt finsteres Starren. "Ich bin eine spitzenmäßige Pilotin und das weißt du. Hast du dir eigentlich mal überlegt, warum wir bei der Landung abgestürzt sind? Mit mir am Steuer?"

"Die ungewohnte Atmosphäre? Ein Himmelswal, der uns gerammt ... oh."

Als er den Wal erwähnte, hatte er eine ungute Vorahnung, worauf Pangasius hinaus wollte. Das hatte er inzwischen beinahe vergessen. Der Schaden im Cockpit des Raumschiffs ... er hatte ihn nur noch grob im Kopf. Nur an eines konnt er sich klar erinnern: Er hatte sich über die Wölbung der Löcher gewundert. Von innen nach außen.

"Keine Sorge, das wird sich nicht mehr wiederholen. Das ... das klingt vielleicht abgedreht, aber ich trage die Seele unseres Planeten in mir. Sagen wir mal, dass es eine Art Nebenwirkung gab, als wir den Planeten angeflogen haben."

"Und das passiert jetzt nicht mehr?"

"Nein, sicher ni...argh." Baldor verdrehte Arme und Beine und wand sich in seinem Sitz. Er schielte zu seiner Pilotin hinüber. Die fand das nicht im Geringsten komisch, verpasste ihm einen Schlag und er kehrte er zu seiner normalen Position zurück. Die Stelle, an der ihre Faust seine Schulter getroffen hatte, würde ihn die nächsten Tage daran erinnern, dass sich ein Sohn des Präsidenten ernsthafter zu verhalten hatte. "Tut mir leid", nuschelte er. "Aber ich muss dich warnen. Wenn du mich wirklich verletzt, könnte Nethufia das ebenfalls nicht komisch finden."

"Das Leben ist voller Gefahren, und ich bin schon viel älter, als ich hätte werden sollen. Wahrscheinlich werde ich die Einzige aus meiner damaligen Einheit sein, die ein absolut langweiliges und unrühmliches Ende findet."

"Da wäre ich mir nicht so sicher. Mich hätte es auf der Erde an jeder zweiten Ecke schlimm erwischen können. Monster, Wissenschaftler, Leute, die keine Außerirdischen mögen. Hmm ... wie ist es eigentlich dir bei den Menschen ergangen?"

Pangasius starrte zu einer Stelle zwischen den gegenüberliegenden Sitzen, auf denen Sergej und Ngi saßen. Klara hatten sie über mehrere Plätze gelegt und ihr Kopf ruhte auf Sergejs Oberschenkel.

"Es war akzeptabel. Sie waren nett. Es hat eine Weile gedauert, bis das mit der Verständigung besser geklappt hat. Aus irgendeinem Grund wollten sie, dass ich für sie auf die Jagd gehe. Als ob das die Aufgabe für eine alte Frau, wie mich wäre."

"Ach komm, du hättest den Monstern auf der Erde sicher Feuer unterm Hintern gemacht."

Jetzt grinste sie wirklich ein bisschen.

"Achtung! Wir setzen zur Landung an!", ertönte Torochews Stimme vom Pilotensitz. Pangasius krallte sich an den Lehnen fest. Das hatten er und Nethufia ja gut hinbekommen. Hoffentlich würde sie sein Raumschiff noch fliegen können, wenn sie es repariert hatten. Hoffentlich würde sie sich jemals wieder hinter ein Steuer setzen können.

Sie umrundeten das Wrack. Von außen hatte es sich nicht verändert. Im Inneren stand das Wasser einige Zentimeter hoch. Das stellte kein Problem dar. Es war schließlich ein nethufisches Raumschiff und an feuchte Umgebungsbedingungen angepasst. Nur von den Schell und den beiden Männern, die er hier zurückgelassen hatte, fehlte jede Spur.

"Haben sie was gesagt?", fragte Baldor.

"Tut mir leid, ich war bewusstlos. Ich bin keine große Hilfe."

"Sie war die Einzige, die wir gefunden haben." Sergej sah sich im Schiff um. "Ich denke wir können ausschließen, dass einer der Familienkonzerne hier aufgetaucht ist, um sie für ein Experiment zu entführen. Es gibt keine Anzeichen für einen Kampf."

"Dann ist vermutlich auch kein Monster aus den Tiefen aufgetaucht, um sie zu fressen."

Pangasius schüttelte den Kopf. "Nein. Auch wenn das Schiff danach kaum schlimmer aussehen würde, gibt es dafür keine Spuren. Dafür andere." Sie war eine ausgezeichnete Fährtenleserin und hatte von dieser Fähigkeit seit Ende des Krieges kaum etwas eingebüßt. So entgingen ihr die Spuren der beiden Nethuf nicht – die Schell hinterließen in der Luft ja keine. Sie führten hinab zur Küste und dort zu einer Höhle an einem Haff.

Noch bevor sie sich der Höhle auf zehn Meter genähert hatten, spürte Baldor bereits den stechenden Schmerz eines eindringenden Schells. Schlagartig verschwamm die Realität vor seinen Augen und er befand sich im Inneren seines eigenen, alarmierten Verstandes. Das Meer war von einer dicken Eisschicht bedeckt und der Wind blies Schneewehen darüber. Unter Baldors Schritten knackte die Oberfläche und der Ton breitete sich gedämpft in die Tiefe des Meeres aus. Irgendwo unter dem Eis zog Nethufia ihre Bahnen. Die blasse Erscheinung des Schell, die sich hier drinnen nicht von seiner äußeren unterschied, zitterte in der Kälte.

"Wie ich sehe, hast du an deinen psychischen Abwehrmaßnahmen gefeilt. Beeindruckend!", bibberte der Besucher.

"Danke, C. Ich bin nicht nur in dieser Hinsicht gewachsen."

"Ja, du scheinst inzwischen auch den einen oder anderen Tentakel mehr zu besitzen. War deine Suche erfolgreich?"

Baldor neigte abschätzend seinen Kopf und die Tentakelhärchen fischten kleine Schneeflocken aus der Luft. "Vielleicht. Falls sie noch leben, gibt es Leute, die uns bei der Reparatur und mit einer Tankladung helfen wollen."

"Das ist schön für dich. Dann kannst du die Erde ja bald wieder verlassen."

Baldor erkannte einen Misston in der Aussage, der sich zwischen den Worten verstecken wollte: Wir werden sie nicht verlassen.

"Ich weiß noch nicht, was ich tun werde. Und wenn ihr hierbleiben wollt, ist das eure Sache. Ich bin aus einem anderen Grund hier. Ich möchte die Schell um einen Gefallen bitten, auch wenn ich euch vielleicht keine Gegenleistung dafür bieten kann."

Cs Körper waberte, wie eine Plane, die von einem Windhauch erfasst wurde. Baldor gefiel der Gedanke, dass sich die Rollen vertauscht hatten, und er dem Schell hier ein wenig Unbehagen bereiten konnte. Ein klein bisschen zumindest gefiel es ihm zumindest.

"Hat der Gefallen etwas mit einem Kampf zu tun? Du kennst unsere Einstellung dazu."

Baldor schüttelte den Kopf. "Nein, kein Kampf. Zumindest ihr sollt nicht kämpfen. Ich brauche euch vielmehr als ... Piloten."

Er spürte, wie der Schell versuchte, das Eis zu durchbrechen und darunter nach dem Sinn dieser Worte zu suchen, doch der Panzer hielt stand.

"Du hast doch eine Pilotin. Ihren Verstand habe ich ertastet. Ist sie inzwischen wieder wohlauf?"

"Das soll keine physische Reise werden, sondern ein psychische. Ich muss in den Kopf einer Freundin gelangen. Ich muss sie retten. Vor sich selbst oder vor etwas, das dort nicht hingehört."

Die Gestalt des Schells flackerte, sie sprang hin und her. Verschwand und materialisierte sich einen Meter daneben erneut. Baldor verstärkte das Eis. Nicht, dass C am Ende noch darunter landete und ertrank. Dann festigte sich Cs Präsenz direkt vor ihm und sein Ton füllte Baldors Verstand aus. "Es ist möglich, wenn auch nicht ganz einfach. Wenn wir dir helfen, musst aber auch du uns einen Gefallen erweisen. Es wird etwas sein, mit dem du zeigen kannst, dass du nicht nur würdig dazu bist, dich 'Sohn des Präsidenten' zu nennen. Sondern selbst einer zu werden."

Baldor lächelte. Was immer es war, wenn er Klara retten konnte, würde er alles tun.

Tobende TentakelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt