Kontakt (2)

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Baldor konnte nicht sagen, wie lange sie schon unterwegs waren. Zumindest nicht, wenn er nicht auf seinen mobilen Korallenkommunikator schauen wollte. Das hatte er vorhin getan, um sich die Richtung zu der Stadt der Menschen anzeigen zu lassen. Dabei hatte er festgestellt, dass der Algenakku beinahe leer war. Er würde den Seeteufel tun, noch einmal nachzusehen, bevor sie nicht das nächste Mal nach der Richtung schauen mussten.

Ngi stapfte neben ihm stumm durch den Wald und leuchtet den Pfad aus. Ein Wald, so sonderbar er auch sein mochte. Klar, er hatte davon gehört, dass es auf anderen Planeten auch oberhalb der Wasseroberfläche Bäume geben sollte, und fand seinen Anblick trotzdem befremdlich. Trockene Blätter, die im Wind rauschten, harte Stämme, deren merkwürdig verkrustete Haut im Dämmerlicht knackte und ... lebte. Etwas krabbelte über den Stamm und verschwand raschelnd zwischen den Bäumen.

Selbst in der Nacht wimmelte es hier vor Kreaturen, so wie es in Nethufia nur im Wasser der Fall war. Bisher hatten die sich zum Glück nicht näher an ihn herangetraut. Waren sie wirklich so gefährlich, wie die anderen glaubten? Oder warteten sie nur auf den richtigen Augenblick, um sich auf ihn zu stürzen? Gut, dass er einen Kampfroboter an seiner Seite hatte. Wobei, was die Sache mit dem Kämpfen anging ...

"Sag mal Ngi, warum hast du im Weltall den Notausstieg benutzt und nicht wie die anderen gegen den Vetis gekämpft?"

"Ein Befehl in meiner Kampfroutine, Boss", erklärte er blechern.

"Und die Kampfroutine hat dir befohlen, nicht zu kämpfen?" Baldor war erstaunt. "Ist das nicht irgendwie ein Widerspruch in sich?"

"Tut mir leid, Chef, ich weiß nicht, was ich auf diese Frage antworten soll."

"Du darfst mich immer noch Baldor nennen. Falls dir das hilft, es ist sogar ein Befehl!"

"Den werde ich sofort befolgen, Sir, jawoll, Sir!"

Baldor stöhnte, so laut, dass ein Schwarm seltsam farbloser Vögel aus den kugelförmigen Blätteransammlungen am Waldrand floh. Aber eigentlich war es egal, wenn Ngi total bescheuert war, wenigstens war es ein total bescheuerter Kampfroboter. Die waren robust, er hatte sogar den Absturz überlebt, während er an der Außenhülle hing. Er verfügte über enorme Kampfkraft. Und ... er konnte sich tarnen. Denn Ngis Scheinwerfer waren erloschen und er war verschwunden.

"Ngi?"

Statt des Roboters antwortete etwas anderes. Es antwortete mit einem urzeitlichen Brüllen, wie es manche der primitiveren Riesenhaie taten. Baldor lief es kalt den Rücken runter. Hoffentlich verfügte es nicht über die Zähne dieser Biester. Baldors Finger Tentakelhärchen stellten sich zitternd auf. Es kam sicher nicht in seine Richtung, wenn er den Atem anhielt, oder? Er hielt den Atem an.

Als hätte die Kreatur den Gedanken gehört, stampfte sie los.

Sie war nah. So nah! Der Boden unter Baldors Füßen wackelte und mit jedem Satz, den sie machte, hüpften kleine Teilchen vom Boden auf und landeten raschelnd, nur um sofort von Neuem in die Luft geschleudert zu werden.

Dann hielt Baldor es nicht mehr aus, atmete wieder aus und rannte los. Er rannte, wie er wahrscheinlich noch nie in seinem Leben gerannt war. Das war anders als das Training, das er absolvierte, um fit für das Surfen zu sein. Hier ging es um sein Leben.

Er hechtete einen Hügel hinauf und unter seinen Füßen gab das weiche Zeug nach, rutschte davon und legte dunkle Erde frei. Auf allen vieren schaffte er es hinauf, bis auf die Kuppe. Vor ihm tat sich eine finstere Schlucht auf und erkannte, dass nicht nur die Lebewesen dieser Welt gefährlich waren, sondern auch das Land selbst. Er konnte seinen Schwung nicht mehr bremsen – wäre mit dem Monster im Nacken ja auch bescheuert gewesen – und stolperte den Abhang hinunter. Dabei schrie er, so laut er konnte. Hoffentlich hörte ihn jemand und kam ihm zur Hilfe. Zum Beispiel sein Kampfroboter, den er doch für genau diese Aufgabe angeheuert hatte. Dann verlor er den Halt und fiel. Er wusste nicht, gegen was er alles auf seinem Weg in die Tiefe stieß, aber es pikste ihn, schlug ihn und tat einfach nur höllisch weh. Er erreichte den Grund, ohne sich den Hals gebrochen zu haben – immerhin etwas.

Baldor schnaufte und tastete seinen Körper ab, all die Stellen, die pochten und brannten. Es war noch alles dran, was dran sein sollte – nein, eigentlich war noch mehr dran, als dran sein sollte. Auf seiner Brust und dem Rücken hatten sich die winzigen Krabben vermehrt. Hatten die seinen Sturz abgefangen und Schlimmeres verhindert?

Auf dem Hang erklang ein weiteres Mal der Schrei seines Verfolgers. Er würde keine Zeit haben, um sie zu fragen.

Wohin jetzt? Er, der einzige Sohn des Präsidenten, durfte doch nicht als Raubtierfutter enden! Er hastete durch die Schlucht, in die nur vereinzelte Strahlen des Trabanten fielen, und warf sich todesverachtend durch Gestrüpp und durch fremdartige Pflanzen, die ihn mit ihren länglichen Blättern peitschten. Bei der verdammten Großen Qualle, der ganze Planet schien ihm feindlich gesonnen zu sein!

Dann entdeckte er einen Hoffnungsschimmer. Licht am Ende der Schlucht.

Tobende TentakelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt