Abstieg (2)

31 13 0
                                    

"So werdet ihr nie aus der Zitadelle entkommen", zerschlug Professor Rigot ihre Hoffnungen. Sergej hatte gerade ihre Fluchtroute durch E0 erläutert, die Ebene, die sich auf Höhe der restlichen Stadt befand.

"Warum nicht?", wollte Sergej wissen. "Gibt es einen Fehler in meinen Daten?"

"Nein, aber ihr habt Dok Wu dabei. Dank ihr werdet ihr nach ein paar Sekunden aufgehalten, festgenommen und stundenlang verhört."

"War es so schlimm, was sie angestellt hat?", fragte Baldor.

Sarahs Finger zuckten und ihre Hand ging hinab zu ihrer Waffe. War sie kaltblütig genug, um ihn umzulegen und am Sprechen zu hindern? Sicher. Doch ihr Holster war leer. Baldor drückte ihre Waffe hinter seinem Rücken an sich. Die würde er ihr sicher nicht wiedergeben.

"Beherrsch dich", knurrte Sergej sie an."Ich will es wissen, und wenn du nicht redest, erfahre ich es eben von ihm."

"Mein Assistent Rob wird es erklären. Er kennt die Details besser als ich."

"Roy, Professor. Mein Name ist Roy." Der Assistent schielte vorsichtig zu Sarah hinüber, und erst als sich Sergej schützend zwischen die beiden stellte, begann er zu erzählen. "Dok Wu war damals in der Hypothermieabteilung beschäftigt. Dort war sie so gelangweilt, dass sie sich mit diversen, gut gebauten Männern des Sicherheitskorps in den vermeintlich leer stehenden Laboren auf ihrer Etage vergnügt hat."

Sarahs Gesicht wurde ausdruckslos. Niemand hörte gern Geschichten über die eigenen Verfehlungen, oder wenigstens das, was die Öffentlichkeit darüber wusste oder zu wissen meinte. Er dachte an den Mann, den sie ohne zu zögern erschossen hatte. Vielleicht entwickelte sie hinter ihren kalten Augen gerade einen Plan, wie sie den Professor und seinen Assistenten auf besonders schmerzvolle Art loswurde.

Doch war er selbst besser? Auch Baldor hatte getötet. Aber das war nicht er gewesen. Nicht wirklich. Für Nethufia bedeutete es vermutlich nichts, ein Leben zu nehmen. Immerhin endeten jeden Tag so viele Existenzen auf ihrer Welt und begannen neu, dass der Tod seine Bedeutung verlor. Außer ihrem eigenen natürlich. Sie hatte ihr Leben so sehr geschätzt, dass sie sich bei ihm eingenistet hatte. Purer Egoismus – nicht anders, als bei ihm selbst. Doch er änderte sich gerade. Das glaubte er wenigstens. Galt das auch für Nethufia? Und könnte es auch für Sarah einen Weg zur Umkehr geben, Absolution für was auch immer sie verbrochen haben mochte?

"Aus welchen Gründen diese Labore auch immer verlassen wurden, es befanden sich noch immer Werkzeuge, Reagenzien oder vergessene Experimente in ihnen. Dok Wus Fall begann, als sie unglücklicherweise solch ein Labor für eines ihrer Abenteuer auswählte."

"Ich hoffe, du schmückst deine Erzählung jetzt nicht mit schlüpfrigen Details aus, sonst kotz ich!", unterbrach ihn Klara und steckte sich dabei demonstrativ einen Finger in den Hals.

"Keine Sorge, Kleine –"

"Ich zeig dir gleich, wer hier klein ist!"

"Okay, du bist der Boss, ich habe es verstanden."

Eine Ratte tauchte aus einem der Schatten auf und huschte an der Gruppe vorbei. Es hatten welche überlebt? Er freute sich für Klara.

"Im Labor, das sie sich an diesem Tag ausgesucht hatte, befanden sich Proben für die Erschaffung eines Vetis in seiner Urform."

"Bei der Großen Qualle", stöhnte Baldor. "Wer erschafft bitte freiwillig einen Vetis?"

"Jeder, der sich der Illusion hingibt, mächtig genug zu sein, dass er einen kontrollieren kann", mutmaßte Sergej.

Der Assistent schüttelte den Kopf. "Wer das war, ist nicht herausgekommen. Gab schließlich einen Sündenbock, auf den die ganze Schuld abgewälzt werden konnte. Irgendwie schaffte Dok Wu es, das Experiment zu starten. Sie konnte es nicht bändigen und hatte die großartige Idee, es einfach über einen der Aufzüge in der Unterwelt zu versenken."

Tobende TentakelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt