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Die nächsten Tage und Wochen vergingen wie im Flug. Mittlerweile hatte ich sogar meine eigene Unterkunft, ein großes, geräumiges Zelt, direkt neben Ridges Wohnwagen. Ich verbrachte meine Zeit hauptsächlich damit Eisen zu suchen, dies war neben Zigaretten und Munition die gängige Währung in Armistice, und dieses tauschte ich dann beim Händler gegen nützliche Dinge. Ich hatte mir eine praktische, schwarze Lederhose geholt, einen dunkelblauen Pullover und einen Gürtel, an welchem ich die Dinge befestigte, die ich alltäglich brauchte, darunter auch mein Jagdmesser. Es ist mit der Zeit zu meinem treusten Begleiter geworden und selbst beim Schlafen legte ich es jede Nacht unter mein Kopfkissen.
Die Abende verbrachte ich meist entweder mit Kyree, Marleigh, Ridge und Liberty in der Schenke oder ich war in meinem Zelt und las Bücher, ein neues Hobby das ich mir in der Stadt angeeignet hatte. Ab und an vermisste ich noch immer Zafir und meine Hütte, doch das Leben hier war um einiges entspannter, sorgloser und sicherer. Ich wusste nicht, ob ich für immer bleiben würde, doch vorerst war es meine beste Option.

„Hey Bambi." klang es aus dem Eingang meines Zeltes und ich sah, wie Ridge seinen Kopf durch den Stoffvorhang schob. Bambi, ich wusste nicht wieso er mich so nannte, doch er tat es schon eine ganze Weile und irgendwann fing ich an es nicht mehr in Frage zu stellen. „Kyree und ich wollten auf die Jagd gehen, Lust uns zu begleiten?" Ich nickte lächelnd. „Klar. Ich zieh mir eben eine Jacke über." Als ich nach draußen ging, standen die beiden Jungs bereits vor meinem Zelt. Kyree hatte eine Zigarette zwischen den Lippen und ich verdrehte nur schmunzelnd die Augen. „Du musst Marleigh nicht beweisen, dass du cool bist. Sie steht auch so auf dich." Ridge grinste und zog ihm mit einem Handgriff die Schachtel aus der Hosentasche. „River hat Recht, überlass das Rauchen lieber den Großen." Ich schmunzelte und griff nach der Zigarette, die Ridge mir hinhielt. Kyree war mit seinen 17 Jahren zwar nur ein Jahr jünger als wir, doch es machte Spaß ihn damit aufzuziehen.
Wir gingen in entspanntem Tempo die brüchige Straße entlang und als die Häuser endeten kamen uns plötzlich drei Personen entgegen. Es waren zwei der Stadtwachen und in ihrer Mitte hielten sie einen dunkelhaarigen Mann im Polizeigriff. „Das ist bestimmt wieder ein Dieb." sagte Kyree leise, doch als ich genauer hinsah weiteten sich meine grünen Augen. „Nein." entgegnete ich knapp und im Vorbeigehen erntete ich ein gespielt freundliches Lächeln vonseiten dieses Mannes. „River, interessant dich hier zu treffen. Hast die Einsamkeit wohl aufgegeben, was?" Isaac. Ich hob etwas misstrauisch eine Augenbraue und fixierte ihn kritisch. „Auch interessant dich hier zu treffen." Als die Wachen mit ihm vorbeigelaufen waren, blickten die Jungs mich etwas verwirrt an. „Du kennst den Kerl?" Ich nickte. „Das ist nicht gut." Noch immer herrschte Verwirrung unter den beiden. „Was ist nicht gut?" Ich warf noch einmal einen Blick zu Isaac und den Wachen, bevor ich abrupt stehen blieb. „Das ist ganz und gar nicht gut. Die Plünderer müssen ganz in der Nähe sein. Isaac würde niemals allein irgendwohin gehen und schon gar nicht in eine Stadt voller Wachen." Ridge schüttelte den Kopf. „Plünderer? Auf keinen Fall, die trauen sich nicht nach Armistice." Ich warf ihm einen ernsten Blick zu. „Die Highwaymen schon, vor allen Dingen wenn einer von ihnen hier gefangen gehalten wird." „Und jetzt?" Ich dachte einen Moment lang nach. „Wo bringen sie ihn hin?" Kyree deutete mit einem Kopfnicken ans andere Ende der Stadt. „Vermutlich ins Gefängnis bei der alten Polizeistation." „Okay, bringt mich dahin." Die Jungs wechselten angespannte Blicke, stimmten aber zu.
Als wir angekommen waren, begutachtete ich die Ruine der ehemaligen Polizeistation. Das Gebäude war weder gut in Stand, noch besonders gut bewacht. „Danke, wenn ihr wollt könnt ihr jagen gehen. Ich unterhalte mich erst einmal mit Isaac." Ridge wollte protestieren, doch ohne ein weiteres Wort drückte ich die Tür vor mir auf und verschwand dahinter. Eine einzige Wache saß an dem Schalter mit der kaputten Glasscheibe und schlürfte etwas aus einer Tasse. Es schien ihn gar nicht zu interessieren, dass ich geradewegs in Richtung Gefängniszellen spazierte, stattdessen grüßte er nur mit einem knappen Kopfnicken. Ich schüttelte kaum sichtbar den Kopf und ging einfach an ihm vorbei.
„Wie schön, dass du mich besuchen kommst." hörte ich plötzlich aus einer Ecke des Raumes. Ich drehte mich in die Richtung, aus der die Stimme kam und dort sah ich ihn sitzen, hinter Gitterstäben und mit gefesselten Händen. „Wieso bist du hier?" fragte ich sofort, ohne auf seine Aussage einzugehen. „Wo zur Hölle sind die anderen?" Er schmunzelte nur. „Die anderen? Es gibt keine anderen mehr." Verwirrt hob ich eine Augenbraue. „Wie meinst du das?" Er fuhr sich der Hand durch die zerzausten schwarzen Haaren und seufzte. „Sie sind alle tot. Ich bin als einziger übrig geblieben und auf der Suche nach was zu Essen stieß ich auf diese Stadt. Die verdammten Wachen erwischten mich dabei, wie ich angepflanztes Gemüse aus einem der Gärten stehlen wollte." Einen Moment lang wusste ich nicht, was ich sagen sollte. „Alle?" wiederholte ich mehr zu mir selbst, wie zu meinem Gegenüber. „Alle. Cannon eingeschlossen. Das war es doch, woran du gedacht hast, nicht wahr?" Mein Blick wanderte ungläubig auf den Boden. „Ich musste es selbst mitansehen. Drei Kugeln durchbohrten seinen Oberkörper, doch nur eine davon war tödlich. Er hat bis zum letzten Atemzug gekämpft... leider vergebens." Das konnte nicht wahr sein. „Du lügst." warf ich ihm vor, ohne mir anmerken zulassen, dass sich ein schmerzliches Gefühl in meiner Brust ausbreitete. Isaac zuckte mit den Schultern. „Glaub mir oder glaub mir nicht." In seiner Stimme hörte ich eine erschreckende Gleichgültigkeit. Was war bloß geschehen, dass ihn der Tod seiner Leute überhaupt nicht kümmerte? Ich nahm einen tiefen Atemzug um mich kurz zu sammeln und meine Gefühle beiseite zu schieben. „Also hat diese Stadt von den Highwaymen nichts zu befürchten?" Er schüttelte mit dem Kopf. „Nein, hat sie nicht." Ich nickte nur knapp, drehte mich um und verschwand dann wieder nach draußen. Kyree und Ridge standen noch immer vor der Tür und ohne ein Wort zu sagen lief ich an ihnen vorbei. Ich spürte ihre verwunderten Blicke in meinem Rücken, aber ich hatte keine Lust mich jetzt zu erklären. Meine Füße trugen mich geradewegs in die Schenke. Ich setzte mich an die Bar und bestellte ein Glas Whiskey. Irgendwie musste ich versuchen meine Gefühle zu neutralisieren und dafür war Alkohol definitiv die beste Lösung. Nadir, der Kellner und gleichzeitig Besitzer der Schenke schob mir ein Glas hin, gefüllt mit golden-leuchtender Flüssigkeit. „Alles okay?" fragte er und ich seufzte nur. „Ja. Alles okay." Während er ein weiteres Glas abtrocknete, sah er mich etwas mitleidig an. „Sieht aber nicht so aus." Ich überlegte kurz, ob ich ihm erzählte, was mich bedrückte, allerdings entschied ich mich dagegen. Er war einer der vertrauenswürdigsten Menschen der Stadt und kannte vermutlich von jedem die dunkelsten Geheimnisse, doch ich musste den Schmerz erst einmal für mich selbst verarbeiten. Wieso ging mir das Ganze überhaupt so nahe? Ich hatte nur ein paar Tage mit Cannon verbracht und dazu hatten wir noch einen wirklich schlechten Start gehabt. Gedankenverloren kippte ich ein Glas nach dem anderen in mich hinein. Ich verstand nicht, wieso Isaac der Verlust seiner Leute so gleichgültig schien, als würde es ihn nicht im geringsten interessieren. Dabei sagte Cannon, die Highwaymen wären wie eine Familie...

Mitten in der Nacht wachte ich auf. Ich wusste nicht, wie ich es in mein Zelt geschafft hatte, ich konnte mich nur daran erinnern, dass Nadir mir irgendwann nahe gelegt hatte schlafen zu gehen. Hatte ich etwa so viel getrunken?
Plötzlich hörte ich etwas in der Ferne. Moment, war das ein Schuss? Verschlafen rieb ich mir die Augen, bevor ich aufstand, mir etwas überzog und vorsichtig den Kopf aus dem Zelt streckte. Im ersten Moment schien alles still, doch dann vernahm ich von der anderen Seite der Stadt eine ungewöhnliche Unruhe. Noch ein Knall ertönte, der einem Schussgeräusch sehr nahe kam. Auf einmal stürmte eine Person auf mich zu und bei näherem Hinsehen erkannte ich zuerst Ridges dunkelgrüne Bomberjacke und dann die eine typische blonde Strähne in seinen sonst braunen Haaren. „Ridge, wo warst du? Was ist da hinten los?" Er zog mich zurück in mein Zelt und begann hektisch meine Sachen zu durchwühlen. „Was machst du da?" Er blickte mich angespannt an. „Pack das Wichtigste ein, wir müssen schnellstmöglich hier weg." Er wollte gerade weiter wühlen, doch ich packte ihn am Ärmel und schaute ihm irritiert in die Augen. „Ridge, red Klartext!" Er nahm einen tiefen Atemzug und deutete in Richtung Zeltausgang. „Die Plünderer sind in der Stadt. Wir sammeln Kyree, Marleigh und Liberty ein und verschwinden von hier." Völlig überfordert versuchte ich ihn ein wenig zu beruhigen. „Die Plünderer? Das kann nicht sein..." Nach kurzer Überlegung ging ich zu meinem Bett, griff unter mein Kopfkissen und holte mein Messer hervor. „Wenn du wirklich Recht hast, werden wir nicht abhauen. Ich lasse nicht kampflos zu, dass sie hier alles verwüsten." Ridge schüttelte den Kopf. „Die haben Schusswaffen, wir haben keine Chance. Los jetzt!" Er wollte gerade hinaus gehen, doch ich legte ihm die Hand auf die Brust. „Ich werde nicht gehen, entweder du kämpfst mit mir oder du lässt es. Wo ich herkomme, verteidigt man sein Zuhause." Er senkte kurz nachdenklich den Blick, legte seine Hand auf meine und nickte dann. „Ich tu das nur deinetwegen." Gemeinsam gingen wir hinaus. „Kyree und die anderen haben sich hinter der Krankenstation versteckt." Ich zückte mein Messer und Ridge tat es mir gleich. „Dann müssen wir dorthin." Wir schlichen uns so nah an die nächste Hauswand, wie möglich, bevor wir uns im Schatten langsam in Richtung des Lärms bewegten. Mittlerweile hörte ich die Leute panisch schreien und immer wieder fielen Schüsse. Sie waren offensichtlich immer noch im vorderen Teil der Stadt und das war beunruhigend. Normalerweise fegten die Plünderer durch die Städte und Dörfer, wie ein Sturm der alles mitnahm und jeden tötete, der ihm im Weg war.
Es dauerte nicht lang bis wir in eine enge Gasse abbogen, von dort hatte man einen perfekten Blick auf die Hauptstraße. Vorsichtig arbeiteten wir uns vorwärts ohne auch nur den geringsten Laut von uns zugeben. Am Ende der Gasse angekommen wechselten wir nervöse Blicke untereinander. Ich ging zuerst einen Schritt vor und linste um die Trümmer einer Hauswand herum, um zu sehen was im vorderen Stadtteil vor sich ging. Das konnte nicht wahr sein... Meine Augen weiteten sich schockiert und ich drehte mich wieder zu Ridge. Mit einem Kopfnicken deutete ich ihm selbst nachzusehen.
Es stimmte, die Plünderer waren da, nur hatten sie scheinbar überhaupt nicht vor zu plündern.

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