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Bereits einen halben Tag war ich nun unterwegs und ich hatte das Gefühl ich bin kaum vorwärts gekommen. Mein verletztes Bein schmerzte höllisch und mein gesundes Bein verließ langsam die Kraft. Wie konnte dieser Highway-Idiot mich einfach so alleine lassen, wo ich doch gerade das Gefühl bekommen hatte, wir verstehen uns. Aber ich durfte es ihm nicht verübeln, seine Leute waren ihm wichtiger und es sollte mich eigentlich freuen, dass er sie wiedergefunden hatte. Immerhin bin ich jetzt wieder frei.
Wäre Zafir doch nur bei mir, mein dunkelbrauner gutmütiger Prinz. Auf seinem Rücken wäre es wesentlich angenehmer und ich würde um einiges schneller voran kommen.

Als die Sonne ihren höchsten Punkt erreichte, erblickte ich plötzlich merkwürdige Umrisse in der Ferne, die denen von Häusern gleichten. Die ganze Zeit bin ich eine gefühlt endlose Straße entlang gelaufen, hatte ich nun etwa eine Stadt gefunden? Vielleicht halluzinierte ich auch mittlerweile schon. Soweit es ging trugen mich meine Krücken in die Richtung, in der ich Häuser zu erkennen glaubte, bis ich kurz davor kraftlos zusammenbrach. Jemand eilte zu mir herüber und noch bevor ich ein Gesicht ausmachen konnte, wurde ich hochgezerrt. Ein stützender Arm legte sich um meine Taille und dankbar lehnte ich mich ein wenig dagegen. „Wer bist du?" fragte ich, während ich in eine Ruine geführt wurde, die früher wohl mal ein Familienhaus war. „Mein Name ist Kyree. Na komm, leg dich hin." Ich blickte auf die Seite und neben mir stand eine alte Klappliege. Ich legte mich darauf und ließ die von Cannon angefertigten Krücken auf die Seite fallen. Nun kam auch ein Mädchen zu uns herein, das mich mitleidig ansah. „Oh man, du siehst aus, als hättest du eine Menge durchgemacht." Ich schmunzelte etwas amüsiert, verzog danach aber direkt wieder schmerzerfüllt dass Gesicht. „Kann man so sagen." Kyree kümmerte sich gerade um meine Verletzung und das fremde Mädchen drückte mir eine Flasche Wasser in die Hand. „Ich bin übrigens Marleigh." Sie schien überaus freundlich zu sein und in meinem Zustand blieb mir kaum etwas anderes übrig, als diesen Leuten zu vertrauen. „River." entgegnete ich knapp und trank direkt einen Schluck aus der Flasche. „Wo bin ich hier?" Kyree lächelte. „In der wunderschönen Stadt Armistice." Etwas verwundert sah ich die beiden an. „Eine Stadt? Wo sind eure Mauern?" „Die brauchen wir nicht. Die Bekanntheit der Stadt schützt uns hier. Menschen kommen von weit entfernt her, um bei unseren Händlern Dinge zu kaufen oder einfach eine Unterkunft zu suchen. Es kam erst einmal seit Ende des Krieges vor, dass uns jemand angegriffen hat und das haben wir recht gut verkraftet." Eine Stadt ohne Mauern oder ohne einen Wall? Ziemlich riskant meiner Ansicht nach, doch scheinbar schien es zu funktionieren. „Eine Schusswunde, hm? Hast du die Kugel selbst entfernt?" Es war Kyree, der mich das fragte und ich schüttelte nur den Kopf. „Nein, das war mein Geiselnehmer." Er lachte und wickelte mir dann einen neuen Verband um mein Bein. „Du hast anscheinend ne Geschichte zu erzählen. Leiste uns doch heute Abend in der Schenke Gesellschaft." Ich zögerte einen Moment, nickte aber dann. „Klar, wieso nicht."
Nachdem mein Bein komplett versorgt war, ich mich ein wenig ausgeruht und Marleigh mir irgendwelche Schmerzmittel verabreicht hatte, raffte ich mich auf und beschloss ein wenig die Stadt zu erkunden. Es waren einige Leute auf der Straße unterwegs, ein ungewohnter, aber doch irgendwie sorgloser Anblick. Ich hatte schon oft von Städten wie diesen gehört, doch noch nie durfte ich mit eigenen Augen eine sehen. Die Menschen hier schienen überaus friedlich, als hätten sie nicht mit den Problemen zu kämpfen, wo sie ihre nächste Mahlzeit auftreiben oder wie sie sich verteidigen.
Dort hinten musste die Schenke sein, von der Kyree gesprochen hatte. Ich lief darauf zu und trat durch die offene Tür. Ein paar misstrauische Blicke glitten in meine Richtung, doch die meisten davon widmeten sich sofort wieder dem Glas, das vor ihnen stand.
Ich wollte mich gerade auf einen freien Stuhl setzen, da zog Marleigh mich bereits weg. „Setz dich lieber zu uns. Keine Angst, wir beißen auch nicht." „Außer Ridge vielleicht." Es war Kyree, der das sagte. Ich setzte mich zu ihnen und ließ meinen Blick durch die Runde schweifen. Neben den beiden die ich bereits kannte, saßen noch ein weiteres Mädchen und ein Junge, beide ungefähr mein Alter. „Hey, ich bin River." stellte ich mich vor und mein Gegenüber schob daraufhin direkt ein Glas mit goldener Flüssigkeit zu mir herüber. „Ridge." meinte er knapp. „Hab gehört, du hast draußen einiges erlebt." Ich nickte. „Ja, es war recht abenteuerlich." „Na los, erzähl schon." sagte dann das andere Mädchen, dessen Namen ich nicht kannte. Also begann ich, in gemütlicher Runde und mit einem Glas Whiskey nach dem anderen, den vieren alles zu berichten. Von meiner einsamen, geliebten Hütte über die Gefangennahme der Plünderer, bis hin zu meiner Flucht und der darauf zurückzuführenden Schusswunde. Die Details mit Cannon hatte ich allerdings weggelassen. Ich wusste nicht wieso, doch es löste ein merkwürdiges Gefühl in mir aus, wenn ich über ihn redete. Vermutlich saß er gerade mit Isaac und den anderen Überlebenden am Lagerfeuer, betrank sich und verlor keinen einzigen Gedanken an mich. Arschloch, dachte ich mir.

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