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Am nächsten Morgen begleitete mich Cannon direkt zu Suttons Hütte. Ich hatte die Nacht wieder in seinem Zelt geschlafen und auch wenn ich es dort warm und trocken hatte, war der Boden trotzdem nicht der bequemste Ort. Meine Knochen schmerzten leicht, doch ich versuchte es zu ignorieren. Er schob die graue Plane beiseite, die etwas Schutz vor Wind und Kälte bot und sah sich nach der blonden, jungen Frau um. „Sutton, dein kleines Helferlein ist hier!" Danach wandte er sich an mich. „Ich wünsche dir viel Spaß." Die Ironie in seiner Stimme war kaum zu überhören, doch ich ließ mich davon nicht stören. Ein kleiner Teil in mir freute sich sogar endlich mal wieder etwas Sinnvolles tun zu können. Cannon wollte gerade umdrehen, doch Sutton, die nun den Kopf aus dem Zelt streckte, hielt ihn davon ab. „Stop, mein Lieber. Ich hab direkt einen ersten Auftrag parat und der schließt dich leider mit ein." Sie lächelte ihm gespielt mitleidig zu, da sie scheinbar wusste, dass er nicht wirklich Lust darauf hatte. Augenverdrehend wandte er sich ab. „So Leid mir das tut, ich habe noch ein paar wirklich wichtige Dinge zu erledigen und die können nicht warten." Nun kam Sutton heraus und verschränkte selbstbewusst die Arme. „Vergiss es, ich bin nicht blöd. Das einzige was du zu tun hast, ist unsere Männer am arbeiten zu halten und denen würde eine kleine Pause auch mal ganz gut tun." Ich schmunzelte etwas über Cannons anschließendes genervtes Stöhnen und wandte mich dann der Blonden zu. „Und womit können wir dir helfen?" Sie drückte mir ein leeres Säckchen und ein Messer in die Hand. „Ich brauche neue Kräutervorräte. Du weißt vermutlich besser als ich, welche Pflanzen den Verletzten hier drin helfen. Cannon begleitet dich, er kennt die Umgebung und kann dir sagen, wo du am besten suchst." Ich nickte. „In Ordnung." Währenddessen blickte Cannon unser Gegenüber entrüstet an. „Du gibst ihr ein Messer in die Hand? Das kann nicht dein Ernst sein." Sutton legte ihm die Hand auf die Schulter. „Wieso? Hast du etwa Angst, dass die Kleine es schafft dich mit dem Ding zu töten?" Er schnaubte nur abfällig. „Ganz bestimmt." Dann drehte er sich auch schon um. „Na los komm, ich will das hier schnell hinter mich bringen."

Es war ein merkwürdiges Gefühl ohne Fesseln durch das Tor zu gehen. Meine Freiheit fühlte sich zum ersten Mal greifbar an und doch war sie es nicht. Cannon trug sein Maschinengewehr bei sich. Würde ich auch nur den kleinsten Versuch wagen abzuhauen, wäre ich innerhalb von Sekunden tot. Tot oder verletzt. Womöglich durch einen Schuss ins Bein, damit ich nicht mehr laufen kann. So hätten sie immerhin noch etwas von meinen grundlegenden Heilkünsten. Ich bemerkte, je mehr ich darüber nachdachte, desto eher zog ich es wirklich in Erwägung zu fliehen. Ich könnte es immerhin versuchen. Einen Schuss ins Bein würde ich überleben, wenn dabei keinen großen Blutgefäße verletzt werden. Ich hatte zwar schon immer eine gewisse Tendenz zu leichtsinnigem Handeln, doch dieses Mal entschied ich mich dagegen. Wenn ich bei diesem Fluchtversuch starb, würde Zafir für immer in den Fängen dieser Menschen bleiben und das konnte ich nicht zulassen.
Während ich in Gedanken abgeschweift war, warf Cannon einen Blick zu mir herüber. „Was genau suchen wir überhaupt?" Ich überlegte kurz. „Zuerst Nelken. Gibt es hier in der Nähe Wasser? Dort dürften wir welche finden." Er nickte. „ Nicht weit von hier gibt es einen Fluss." Es dauerte nicht lange, da sah ich bereits, dass die Bäume aufhörten. Hier musste er sein. Das Rauschen des Wassers drang in meine Ohren und ich schloss für einen Moment die Augen. Nichts war schöner als Ruhe und die Geräusche der Natur, denn sie bedeuteten Frieden. Frieden und Freiheit. Leider war mir beides in diesem Moment nicht vergönnt. Leise seufzend trat ich an das Ufer des Flusses heran. Ich ging ein paar Schritte dort entlang, während ich mit den Augen die Umgebung nach bunten Blüten absuchte. „Bleib stehen." knurrte auf einmal Cannons Stimme hinter mir. Er wirkte angespannt, daher tat ich was er sagte. „Was ist los?" fragte ich  und seine Augen wanderten in Richtung Himmel. „Dort hinten ist Rauch." Ich folgte seinem Blick und er hatte Recht. Über den Baumwipfeln stiegen Rauchschwaden in die Höhe, was bedeuten musste jemand hatte dort ein Lager aufgeschlagen. Nun presste er seinen Finger auf die Lippen und duckte sich ins hohe, satte Gras. Auch ich duckte mich wortlos und sah mich währenddessen vorsichtig um. Cannon warf mir einen knappen Blick zu. „Wir sind nicht allein." zischte er. Ohne dass es mir bewusst war schlich ich näher zu ihm herüber. Dann vernahm ich ein leises Rascheln. Jeder Muskel in meinem Körper spannte sich an und ich versuchte keinen Ton von mir zu geben. „Bleib dicht hinter mir." flüsterte Cannon und lud seine Waffe, sodass er jederzeit schussbereit war.
Plötzlich schoben sich die Blätter der Büsche zur Seite und aus dem Wald stürmten drei Personen auf uns zu. Cannon feuerte ohne Vorwarnung los, doch leider war er nicht der einzige, der eine Waffe bei sich trug. Die Fremden schossen zurück und sie waren deutlich in der Überzahl. Cannon hatte zwar gesagt ich sollte hinter ihm bleiben doch ohne Nachzudenken nutzte ich die Gelegenheit und nahm die Beine in die Hand. Ich rannte durch den Kugelhagel hindurch und erreichte in kürzester Zeit wieder den Schutz des Waldes. War diese waghalsige Aktion tatsächlich mein Ticket zurück in die Freiheit? Ich würde Zafir einfach irgendwie später holen, denn so eine unerwartete Chance bekam ich kein zweites Mal.
In der Hoffnung, dass Cannon und die Fremden genug mit sich selbst beschäftigt waren, rannte ich, so schnell wie ich noch nie gerannt war. Die dünnen Zweige der Büsche peitschten mir auf die nackte Haut an meinen Armen und in meinem Gesicht. Auf unheimliche Art und Weise kam mir diese Situation bekannt vor und bevor ich es realisierte, hörte ich auch schon einen Schuss. Ein grauenvolles Stechen durchfuhr meinen Oberschenkel und ich stürzte auf den harten Waldboden. Mir entwich ein greller Schrei, noch bevor ich verstand was überhaupt vor sich ging. Schmerzerfüllt krümmte ich mich im trockenen Laub und dabei bekam ich kaum mit, dass sich die Blätter unter mir dunkelrot färbten. Diese verdammten Idioten hatten mir ins Bein geschossen. Verzweifelt versuchte ich so gut es ging meine Hand auf die Wunde zu pressen, doch trotzdem verlor ich schneller Blut, als mir lieb war. Die Kugel muss eine Arterie getroffen haben. Ich hörte noch weitere Schüsse im Hintergrund, doch der Ton wurde immer dumpfer. Mit einem Blick auf meine blutroten Hände bekam ich langsam Panik. „Hilfe!" schrie ich so laut es noch ging, obwohl ich wusste, dass sich nur Feinde in meiner Nähe befanden und mir niemand zur Hilfe kommen würde. Es dauerte keine fünf Minuten, da überkam mich bereits ein Schwindel und meine Sehkraft ließ nach. Alles verschwamm vor meinen Augen und tief im Inneren wusste ich, dass es vorbei war. Ich würde hier und jetzt sterben, ganz allein mitten im Wald. Müdigkeit überkam mich. Ich versuchte verzweifelt dagegen anzukämpfen, doch es half nicht. Die Schmerzen spürte ich langsam immer weniger und vor meinen Augen wurde nach und nach alles dunkel. Es war genau wie in meinem Traum. Ich blickte hoch in die verschwommenen Baumwipfel, zuerst verwandelten sie sich in Silhouetten und letztendlich verschwanden sie komplett.

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