𝐅𝐀𝐋𝐋𝐄

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Das nun fast schon silbrig glänzende Wasser des Sees sieht so friedlich und schön aus, dass man niemals auch nur einen Gedanken daran ausführen könnte, dass es tödliches Gift beinhaltet.

Inzwischen sind Nate, Luke, Jumara und Jinia am Ufer des Sees angekommen.
Laut Caesar Flickermann ist es heute besonders heiß in der Arena, was bedeutet, dass die vier das anscheinend rettende Wasser wohl noch mehr begehren.
Selbst der sonst so gefühlskalte Nate scheint bei dem Anblick auf die sanften Wellen, die in dem leichten Wind, der heute weht, Erleichterung zu verspüren, dass sie endlich Wasser gefunden haben.
Jumara holt bereits ihre Flasche aus der Tasche und selbst Luke, der aufgrund von Nates Anwesenheit in der letzten Stunde eher weniger glücklich aussah, scheint nun wieder Freude zu empfinden.
Eine Nahaufnahme auf Jinias Gesicht.
Und zu meiner und anscheinend auch zur Überraschung der Zuschauer scheint sie weder glücklich noch erleichtert zu sein.
Immer wieder blickt sie den See an.
„Es ist zu einfach." höre ich sie leise murmeln und ein Hoffnungsschimmer flammt in mir auf. Ahnt sie etwa was von der Falle des Kapitols?
Doch sie äußert sich nicht weiter.
Stattdessen sieht sie nur misstrauisch dabei zu, wie Luke und Jumara zwei große Flaschen mit dem beinahe türkisfarbenen Wasser auffüllen.
Auch Nate bückt sich zu den beiden herunter und formt mit seinen Händen eine Art Schale und hält sie ins Wasser.
Gerade will er sie zu seinem Mund führen, da erhebt Jinia das Wort.
„Stopp." ruft sie und blicke Nate an.
Der scheint genervt zu sein, doch lässt das Wasser aus seinen Händen fließen hinab auf den Sand fließen, wo es gleich einsickert.
„Wenn du uns loswerden willst, indem wir verdursten, ist das deine Sache. Aber dann stell dich bitte ein bisschen geschickter dabei an." stichelt er.
Er will sich erneut Wasser in die Hände füllen, doch diesmal packt Jinia ihn am Arm.
„Stopp."
„Sag mal, was ist eig..." beginnt Nate wütend, doch Jinia unterbricht ihn.
„Ich trau' der Sache nicht. Findet ihr nicht auch, dass es zu...zu einfach ist? Ich meine, der See ist riesig. Und laut Luke gibt es noch einen am anderen Ende der Arena, der ebenfalls groß ist. Warum sollte das Kapitol das tun? Wasser ist doch das wichtigste, ja, das, was uns am Leben hält. Und wollen sie das etwa? Nein. Guckt doch mal. Das andere Ufer dieses Sees liegt bestimmt fünfzig Meter von hier entfernt.
So können doch mehrere Tribute, die nicht verbündet sind, sich problemlos Wasser holen, ohne sich darum zu bekämpfen. Also, ich meine, ja klar, sie wollen jetzt auch nicht, dass alle Tribute nach wenigen Tagen an Wassermangel sterben, aber...trotzdem."

Luke, Jumara und Nate sehen Jinia einige Sekunden fassungslos an.
Dann beginnt Nate: „Und was bitte willst du jetzt tun? Es sind dreißig Grad plus und ich zum Beispiel, hab seit gestern morgen keinen Schluck Wasser mehr getrunken. Und wenn das so weiter geht, sterben wir alle innerhalb der nächsten Stunden. Egal, ob wir dieses Wasser getrunken haben oder nicht!"
Jumara nickt.
„Er hat recht, Jinia. Ich...ich verstehe, was du meinst, aber wir haben keine andere Wahl. Und was, wenn das Wasser einfach ganz normales Wasser ist? Dann haben wir unsere Chance auf's Überleben verspielt. Wir können nichts anderes tun." meint sie und packt Jinia entschuldigend am Arm.
„Doch, das können wir!" ruft diese schon beinahe genervt.
„Wir brauchen nur etwas, womit wir das Wasser filtern können. Das haben wir zuhause auch schon ein paar mal gelernt. Glaubt mir, ich weiß, wie das geht. Ich komme aus Distrikt vier und dort ist Wasser das wichtigste, was wir haben."
Meine Augen weiten sich.
Ich kann Jinia helfen!
Sie hat recht, Wasser kann man filtern. Das lernen alle Kinder n Distrikt vier schon von klein auf in der Schule.
Sie braucht nur die richtigen Materialien, und die kann ich ihr mithilfe eines Sponsorengeschenks zukommen lassen!
Schon bin ich von meinem Stuhl aufgestanden und gehe geradewegs auf die Kapitolsbewohner zu.
Sonst meide ich jeglichen Kontakt mit diesen Leuten, doch jetzt muss ich es für Jinia tun.
Sie alle blicken schon aufgeregt zu mir und ich sehe mich nach jemandem um, von dem ich glaube, dass diese Person bereit ist, Jinia zu helfen.
Doch ich glaube, dieses Mal ist es schwerer.
Die Leute hier lieben es, die Tribute sterben zu sehen.
Sie lieben das Drama.
Warum also sollten sie jetzt ihr Geld dafür geben, um den Tod von gleich vier Tributen zu vermeiden?
Doch ich muss es versuchen.
Ich sehe mich weiterhin um, und erblicke eine vierköpfige Familie an dem vorletzten Sofa des Raumes.
Ich atme tief durch, und setze das beste Lächeln auf, was ich nun zu Stande bringen kann.
Dann gehe ich auf sie zu.
Die zwei Kinder, die ein Mädchen und ein Junge, sie scheinen etwa neun und zehn zu sein, machen große Augen, als ich auf sie zukomme.
„Mom, ist das Librae Olgivy?" höre ich das Mädchen aufgeregt zu ihrer Mutter, die einen seltsamen, quietschgelben Anzug trägt, flüstern.
Die nickt nur, doch scheint weniger begeistert von meinem Auftreten zu sein, genau wie ihr Mann.
„Ähm...dürfte ich mich zu Ihnen setzen?" beginne ich.
Die Kinder blicken ihre Eltern flehend an, und nach einer Weile geben diese nach.
Ich setze mich auf einen Sessel ihnen gegenüber.
Ich habe schon Cashmere aus eins bei ihnen sitzen sehen, und bei ihr waren die Eltern doppelt so begeistert wie bei mir, und die Kinder kaum.
Ich glaube, die Eltern halten mehr von ehemaligen Karrieretributen.
Doch ich versuche es trotzdem.
Und ich glaube, ich habe hier zwei ziemlich verwöhnte Kinder gefunden.
Und das ist meine Chance, Jinia zu helfen.
Also spreche ich sie an und nicht ihre Eltern.
„Wie heißt ihr?" frage ich die beiden lächelnd und sie blicken mich aufgeregt an.
„Codey." murmelt der Junge schüchtern.
Seine Schwester ist weniger still und verkündet mir voller Freude, dass sie Delilah heißt.
„Das sind schöne Namen." bringe ich hervor, obwohl sie das meiner Meinung nach in Wirklichkeit garnicht sind.
Ich weise auf den Bildschirm, wo gerade Jinia gezeigt wird, wie sie auf die anderen drei einredet.
„Das ist Jinia, meine Tochter." beginne ich und werde gleich von Delilah unterbrochen.
„Ich finde sie so toll! Eines Tages will ich genau so mutig und schlau sein wie sie!"
Ich lächle sie an.
„Das wirst du ganz bestimmt." nicke ich aufmunternd und die Augen des Mädchens strahlen. Die ihrer Eltern jedoch immer noch nicht.
„Ja, vielleicht hast du ja die Chance, sie bald in echt zu treffen, auf der Tour der Sieger, wenn sie gewinnt."

„Au ja!" ruft Delilah begeistert und blickt fragend zu ihren Eltern, die jedoch mich jedoch nur missmutig ansehen.
„Nun ja...also ihr habt bestimmt fleißig zugesehen. Und bestimmt habt ihr schon bemerkt, dass die vier gerade Hilfe brauchen. Eure Hilfe. Ihr könnt Jinia vor dem giftigen Wasser retten und sie dann vielleicht bald schon ich echt sehen!" flüstere ich geheimnisvoll.
Delilah blickt begeistert und auch ihr Bruder scheint erfreut zu sein.
„Mom, Dad, können wir Jinia bitte helfen? Bitte! Sie braucht unsere Hilfe, wir wollen ihr helfen! Bitte!" fleht Delilah und ich merke, dass ich ihre Eltern beinahe genau so bettelnd ansehe.
Die beiden scheinen mich nicht zu mögen, genau so wenig wie Jinia.
Doch ich merke, dass sie bei dem Anblick ihrer beiden Kinder, die sie mit großen Augen ansehen, beginnen, weich zu werden.
Nach einer Weile räuspert sich die Mutter und fragt säuerlich:
„Was...was bräuchte Jinia denn?"
Mir fällt sofort dabei auf, dass sie den Namen meiner Tochter wie ein Schimpfwort ausspricht, was mich schlucken lässt.
„Sie bräuchte etwas, womit sie das Wasser filtern kann. Es ist nichts teures, das verspreche ich ihnen. Eigentlich braucht sie nur..."
Ich komme mir fast dämlich dabei vor, diesen Leuten, die keine Ahnung von der Natur haben, zu erklären, wie man Wasser filtert.
„Eigentlich bräuchte sie nur ein paar Plastikbecher. Und eine Art Filtertüte. Mehr nicht. Ich verspreche Ihnen, sie werden staunen, wenn sie sehen, was man damit ausrichten kann." versuche ich die beiden zu überzeugen.

Delilahs Augen leuchten.
„Bitte! Kommt schon, ich will Jinia helfen, bitte!" bettelnd sie.
Der Vater seufzt, doch dann gibt er nach.
„Na gut. Das tun wir aber nur für dich, Delilah." sagt er mit einer hochnäsigen Stimme.
„Ja! Danke Daddy!" jubelt die kleine glücklich und umarmt ihren Vater.
„Ich danke ihnen vielmals, wirklich. Sie werden es nicht bereuen." nicke ich den beiden zu und schüttle ihnen beiden die Hand.
Dann stehe ich auf und winke Delilah und Codey zum Abschied.
Ich habe es tatsächlich geschafft.

Ein paar Minuten später stehe ich an einem der Tische, neben mir bereits die Dose mit dem Sponsorengeschenk, befestigt an dem weißen Fallschirm. Gerade bin ich dabei, eine Nachricht für Jinia zu verfassen, die dann, zusätzlich zu den Materialien für das Wasser, in das Sponsorengeschenk kommt. Und ich muss mich beeilen, denn langsam scheint der Geduldsfaden von Nate zu platzen.
Also hinterlasse ich folgende Worte auf dem weißen Zettel:
Du weißt, was du zu tun hast. Zeig Nate, wie stark du bist und dass sie dich unterschätzen, das wird dir helfen, sein Vertrauen zu gewinnen. Bleib bei ihnen. Ich hab dich ganz doll lieb- Mom
Dann verstaue ich den Zettel in der Box und verschließe sie.
Ich kann kaum glauben, dass in wenigen Sekunden Jinias Hände diese Box berühren werden.
Diese Box, die ich berührt habe.
Und ich wünschte nur, wir könnten uns jemals wieder wirklich berühren. Uns umarmen. Einfach beieinander sein.
Dass dieser Wunsch ein Stückchen näher kommt, dafür habe ich nun gesorgt.
Doch er kann in der Arena trotzdem noch in jedem Moment, innerhalb so weniger Sekunden, nur noch zu einem Traum werden.
Einem bloßen Traum, der sich dann niemals wieder erfüllen lässt.

Tribute von Panem | Flammendes MeerWhere stories live. Discover now