𝐒𝐀𝐍𝐃

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An diesem Morgen des vierten Tages der 73.Hungerspiele bin ich weniger erschöpft und ermüdet als an den letzten Tagen.
Gestern habe ich seit längerem mal wieder wirklich die Hoffnung verspürt und den Gedanken daran, dass Jinia es wirklich schaffen könnte, zu gewinnen.
Gerade stehen wir mit den verbliebenen Mentoren im Aufzug, der uns zum Saal bringt.
Weniger Geplauder als sonst herrscht.
Vor allem bei Enobaria, Brutus, Cashmere und Gloss. Ich denke, es liegt daran, dass sich das diesjährige Karrierobündnis am gestrigen Tag anders verhalten hat, als sie es ihnen wohl gelehrt haben. Die vier haben einen Tag lang nur stumm dagesessen, und sind nur wenig durch die Arena, auf der Suche nach anderen Tributen, gestreift.
Doch gestern Abend hat Wade aus zwei gleich zwei Sponsorengeschenke auf einmal bekommen. Und ich glaube, in beiden hinterließen seine Mentoren ihm die Nachricht, nun wieder Tribute zu jagen.
Und obwohl die Karrieros diesen Rat befolgt und sicher bereits seit mehreren Stunden auf der Jagd sind, schien Wade ziemlich unbeeindruckt von den Nachrichten zu sein.

Mit einem lauten Zisch öffnen sich die silbernen Türen des Aufzugs und wir gehen in den Saal.
Als wir uns auf unsere Plätze gesetzt haben, fällt mir auf, dass heute weniger Publikum da ist, als gestern.
War ihnen der dritte Tag in der Arena etwa...etwa zu langweilig?
Finnick scheint das gleiche zu denken, denn er schüttelt nur den Kopf.
„Dann werden sie heute wohl irgendetwas einbauen, was ein paar Tribute tötet. Sie kommen kaum damit klar, Zuschauer zu verlieren." höre ich Maisie hinter mir zu dem anderen Mentor aus neun sprechen.
Ich streiche mir nervös eine Strähne aus meinem Gesicht. Hoffentlich hat sie unrecht. Doch ich glaube leider, dass dieser Wunsch nicht wahr wird.
Die seltsam metallende Stimme von Claudius Templesmith ist zu hören und im Saal wird es leiser.
„Nun, an diesem vierten Tag hier in unserer Arena, wird Sie einiges erwarten, mein liebstes Publikum, das versprechen wir Ihnen! Bleiben Sie dran, denn unser beliebtes grünes Bündnis nähert sich gerade einer Gefahr, der wir alle lieber nicht begegnen wollen!"
Damit beendet er seinen Satz und lässt Finnick und mich angsterfüllt zurück.
Was haben sie jetzt schon wieder eingebaut? Tier-Mutationen? Giftige Pflanzen? Giftigen Regen?
Doch als man die vier sieht, erkenne ich nichts von alledem weit und breit.
Sie laufen durch eine Wüstenlandschaft. Man sieht keinen einzigen Baum oder einen Strauch, selbst die Ruinen gibt es hier nicht mehr.
Ich glaube, bald sind die vier am äußersten Rand der Arena angekommen.
Man sieht, wie tief ihre Füße in den weißen Sand des Berges sinken, den sie gerade mühsam versuchen, hinaufzukommen.
Als sie oben am Berg angekommen sind, sehen sich die vier um. Überall bloß Sand. Nur Sandberge bis hin zum tiefblauen Horizont.
Doch wenigstens ist kein anderer Tribut zu sehen.

Als sie den Berg auf der anderen Seite wieder heruntergehen, wirbelt viel Sand auf und verdeckt ihre Gesichter.
Jinia wird gezeigt, wie sie sich die feinen Körner schnell aus ihrer Wunde an der Stirn, die sie noch vom Füllhorn hat, wischt.
Ich hoffe, sie entzündet sich nicht, Schmerzen bereitet sie ihr sicherlich bereits genug.
Eine Weile sieht man die vier über eine ebene Fläche laufen, in einer Art Tal zwischen mehreren Sandbergen.
Zuerst fällt niemandem auf, dass etwas nicht stimmt.
Dass sie hier beinahe schon bis zum Knie in den Sand einsinken, beachten sie als nicht weiter schlimm.
Doch dann wird Jinia misstrauisch.
„Bleibt stehen!" ruft sie den anderen, die ihr etwas voraus sind, zu, und die folgen ihrem Ruf und gehen nicht weiter.
Eine Weile sieht sich Jinia nur den feinen Sand an. Dann weiten sich ihre Augen, und im selben Moment wie Jumara hat sie ihr riesiges Problem begriffen.
„Treibsand!" schreit diese und Lukes und Nates Augen weiten sich.
„Oh nein. Nein, nein, nein." flüstere ich verzweifelt.
Vor fünf oder sechs Jahren gab es in den Spielen schon mal Treibsand. Und er hat gleich drei Tribute auf einmal getötet und sie in die Tiefe gezogen.
Was sollen sie jetzt noch tun? Können sie überhaupt noch irgendetwas tun?
Die vier beginnen, immer weiter in den Sand einzusinken.
„Was machen wir jetzt?" ruft Jumara panisch und versucht, sich durch Armbewegungen aus dem Sand zu befreien, dochstattdessen sinkt sie noch tiefer ein.
Nate, der größte der vier, reicht der Sand erst bis zur Hüfte und er versucht, zum Rand des Treibsands zu kommen. Doch wie von einem dumpfen Schlag wird er noch tiefer in die weiße Sandkasten hineingezogen.
Fieberhaft sieht man die vier überlegen, doch sie sinken nur immer tiefer.
Es muss doch etwas geben, was sie tun können!
„Ich hab eine Idee!" schreit Jinia da plötzlich und ein Stein fällt mir vom Herzen. Kann sie sich und die anderen retten?
„Lehnt euch nach hinten! Auf den Rücken!" ruft sie den anderen zu.
„Was? Bist du verrückt?" schreit Luke panisch und beginnt nur noch heftiger, sich mit hektischen Bewegungen aus dem Sand zu befreien.
„Doch! Sie hat recht! So verteilen wir unser Gewicht!" ruft Jumara und traut sich, wie Jinia, sich auf den Rücken nach hinten zu lehnen.
Und es funktioniert. Die beiden Mädchen halten ganz still und sie hören auf, einzusinken.
Auch Nate schafft es inzwischen, obwohl er mittlerweile fast am tiefsten eingesunken ist.
„Luke! Du musst dich entspannen!" schreit er dem panischen Luke zu.
„Wir müssen schwimmen!" schreit Jinia und beginnt, sich ganz langsam auf die Seite zu legen und vorsichtig ihre Beine aus dem Sand zu ziehen. Dann beginnt sie, mit ihren Armen Bewegungen wie beim Rückenschwimmen zu machen.
Und tatsächlich: es funktioniert! Wenn auch sehr langsam, Jinia schafft es, dem Treibsand zu entkommen.
„Macht mir nach!" ruft sie den anderen zu.
Bei Lukes Anblick schnappe ich nach Luft. Er ist schon fast bis zur Brust eingesunken. Er wird sterben, wenn er sich nicht entspannt.
Ich sehe Jinia, wie sie sich langsam aus dem Sand herauszieht und mit den Füßen wieder festen Sand betritt.
Sofort richtet sie sich auf und Blick auf Nate und Jumara, die ihrer Taktik folgen und sich mittlerweile ebenfalls fast aus dem tödlichen Sand befreit haben.
Nur noch Luke ist noch mitten im Treibsand.
„Entspann dich!" ruft Jinia, und dieses Mal hört Luke. Doch als er immer noch, wenn auch nur ganz langsam, sinkt, beginnt er zu versuchen, sich mit den Armen zu befreien.
„Wir müssen ihm helfen. Er schafft das nicht!" ruft Jumara panisch, die inzwischen auch neben Jinia steht und Nate ihre Hand gibt und auch ihn so aus dem Sand zieht.
„Hat jemand ein Seil?" ruft der und Jinia nickt.
Sofort schwingt sie sich den Rucksack vom Rücken und holt das lange, dicke Seil heraus, welches sie dort aufbewahrt hat.
Dann gibt sie es Jumara, die das eine Ende so weit wie möglich zu Luke wirft. Der schafft es, das Seil mit seinen Fingerspitzen zu greifen und schließlich zu umgreifen.
„Jetzt ziehen!" ruft Jumara und Nate und Jinia stellen sich hinter sie und fassen mit je beiden Händen das Seil.
Und dann beginnen sie, Luke Stück für Stück aus dem Sand herauszuziehen.
Doch es ist mühsam. Sehr mühsam.
Nach einer Weile lassen ihre Kräfte nach und Luke beginnt, erneut zu versinken.
„Ich hab' keine Kraft mehr!" schreit Jinia, doch trotzdem lässt sie das Seil nicht los.
„Kommt schon! Wir müssen ihn da rausholen!" ruft Jumara verzweifelt, doch ich sehe ihr an, dass auch ihre Kräfte bereits allesamt aufgebracht sind.
Verzweifelt können die drei, trotz ihrer Bemühungen, ihm zu helfen, Luke bloß mir noch dabei zusehen, wie er immer tiefer im Sand versinkt.

Plötzlich sieht man eine dunkle Gestalt auf der Spitze des gegenüberliegendes Sandberges. Ich glaube, es ist der Junge aus elf.
Einen Moment verharrt er und beobachtet die Lage, dann läuft er den Berg herunter.
„Er kann uns nichts tun, ohne selbst in den Treibsand zu geraten." keucht Nate, der ihn ebenfalls entdeckt hat.
Doch damit hat er leider völlig unrecht.
Denn der Junge zieht blitzschnell einen Pfeil aus einem dunklen Köcher, der über seine Schulter geschwungen ist und legt ihn in einen Bogen ein, den er hervorholt.
Und dann zielt er genau auf Nate, Jumara und Jinia.
Oh nein.
Was sollen sie tun? Wenn sie dem Pfeil ausweichen, müssen sie das Seil loslassen und Luke wird sterben. Doch wenn nicht, dann...
Plötzlich hört man Jinias Stimme, die dem kräftigen Jungen aus elf etwas zuruft.
„Hilf uns, bitte! Er stirbt sonst!" ruft sie verzweifelt und weißt auf Luke, der mittlerweile bis zu den Schultern eingesunken ist.
Einen Moment zögert der aus elf. Er könnte jetzt alle töten. Seinem Sieg um einiges näher kommen.
Doch dann ändert er seine Meinung.
Er steckt den Pfeil zurück in den Köcher und rennt über die Bergspitzen bis hin zu Jumara, Nate und Jinia.
Dann packt er ganz vorne das Seil und neue Kraft und neuer Mut packt nun alle.
Immer weiter und weiter schaffen sie es, Luke aus dem Sand zu ziehen. Vielleicht schaffen sie es ja doch!
Aber im nächsten Moment wird diese Hoffnung zerstört. Denn Luke verliert die Kraft.
Seine schwitzigen Hände beginnen, am Seil entlang zu rutschen und er sinkt wieder tiefer.
„Nein!" schreit Jumara und der aus elf dreht sich mitfühlend zu ihr um.
Und dann fasst er einen Entschluss.
Er lässt das Seil los und steigt in den Treibsand.
Fassungslos sehen die andern ihn an.
Offenbar weiß er, wie er sich zu bewegen hat, er ist ganz ruhig, doch er sinkt immer weiter ein, je näher er zu dem hilflosen Luke kommt.
Bald schon reicht ihm der Sand beinahe bis zu den Schultern, doch er hat Luke erreicht.
„Gib mir deine Hand!" ruft er und das lässt sich Luke nicht zweimal sagen.
Und es funktioniert. Tatsächlich, es funktioniert.
Ganz langsam schafft es der aus elf, indem er sich nach hintern lehnt, sich und Luke immer mehr aus dem Treibsand zu befreien. Bald schon sind sie am Ufer und haben es fast geschafft.
Ich sehe, wie einige Zuschauer um mich herum gelangweilt auf den Bildschirm blicken. Sie wollen nicht, dass schon wieder alles gut geht und jemand gerettet wird.
Und dieser Wunsch geht in Erfüllung.
Den im nächsten Moment rutschen Luke und der aus elf wie durch Zauberhand aus.
In einem schnellen Tempo sinken sie in den Sand, der nun wohl vom Kapitol verändert wurde.
Oh nein.
„Nein!" ruft Jumara und rennt auf die beiden zu, doch als sie ihren Fuß in den Treibsand setzt, sinkt sie sofort bis zum Knie ein.
„Raus da." ruft Nate und zieht sie am Arm heraus. Jumara wehrt sich verzweifelt, doch es ist zu spät.
Es ist zu spät.
Denn Luke und der Junge aus elf sind verschwunden.
Man sieht nur noch den weißen, ruhig daliegenden Sand, der sie verschluckt hat. Der sie getötet hat.
Nein, es war das Kapitol. Sie haben irgendetwas an dem Treibsand verändert, so dass Luke und der aus elf nicht mehr entkommen konnten und so dem Publikum ein Spektakel geboten wurde.
Wenige Sekunden später zeigen sich dessen Folgen.
Zwei dumpfe Schüsse der Kanone sind zu hören.

Tribute von Panem | Flammendes MeerKde žijí příběhy. Začni objevovat