Kapitel 67 - Verloren

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Skàdi parkte das Auto, welches sie geklaut hatte, am Ende des Feldweges, genau da, wo der alte Zaun das Gelände abzäunte. Sie saß für einen Moment völlig still auf dem Sitz und musterte das Gebäude, welches sich vor ihr erstreckte. Um sie herum war nichts, außer leere Wiesen, welche in endloser Ferne von einem Wald umgeben waren.

Das Gebäude sah unbewohnt aus. Er war riesig und bot wohl mal viel Platz für eine große Familie. Abgelegen, friedlich. Sie konnte verstehen, dass Elisabeth damals zurückgegangen war, um Samuel hier aufwachsen zu lassen.

Hier hatte Samuel sein Leben begonnen und hier würde es enden. Keine zwei Stunden von ihrem Elternhaus entfernt.

Sie stieg langsam aus dem Auto aus und warf die Tür hinter sich zu. Das Geräusch hallte durch die Stille der Umgebung, doch Skàdi machte sich keine Hoffnung. Sie musste nicht leise sein. Er wusste, dass sie hier war. Wozu sich also bemühen, nicht aufzufallen. Sie zündete sich eine Zigarette an und lief langsam auf das Gebäude zu. Eine leichte Brise wehte über die Wiesen und Skàdi hörte das Zwitschern der Vögel, welche sich durch die Lüfte bewegten.

Es war schön hier. Zu schön. Ihr Blick lag fest auf dem Haus, dessen Putz schon abbröckelte. Das Dach zeigte riesige Löcher und Moos hatte sich auf weiten Teilen davon ausgebreitete. Und doch strahlte es ein seltsam, bekanntes Gefühl aus. Heimat.

Sie lief über den schmalen Trampelpfad, der direkt zu dem Haus führte und sie wartete nur darauf, eine Bewegung zu vernehmen. Doch das Haus lag nach wie vor in völliger Stille. Sie seufzte und hing den letzten Gefühlen nach, die Tamo in ihr geweckt hatte. Wie einfach wäre es gewesen, sich diesen hinzugeben? Denn wenn ihr eins klar geworden war, dann, dass ein Leben ohne Empfindungen kein Leben war. Doch dieses Leben konnte sie nicht erreichen. Nicht ohne ein Opfer zu bringen, welches ihr ebendieses Leben zurückgeben konnte.

Tamo war der Schlüssel. Er war es von Anfang an und sie wusste mittlerweile auch, warum Samuel ihn wollte. Es lag nicht an dem Blut, welches sie vielleicht oder vielleicht auch nicht ausgetauscht hatten. Er wollte auch keine weitere Skàdi erschaffen. Nein, er wollte Tamo wegen seiner Fähigkeiten, welche langsam nach oben drangen, und Skàdi musste es beenden, bevor Tamo herausfand, was wirklich los war.

Sie hatte wirklich gehofft, dass sie falschlag. Das Samuel falschlag. Doch die Gefühle, die sie füreinander empfanden, brachten Tamo seine Fähigkeiten zum Vorschein und diese würden seinen Tod bedeuten. Skàdi konnte und wollte das nicht zulassen. Nicht nur, weil sie plötzlich etwas empfand. Nein, sie wollte einfach nicht auf dasselbe Niveau wie Samuel sinken. Natürlich hätte sie Tamo ins Messer laufen lassen können. Er würde sterben. Sie und der Rest dafür leben. Es wäre so einfach und so gewissenlos.

Tamo war in diese Scheiße gezogen worden, ohne auch nur einen Fehler begangen zu haben. Er konnte nichts für all das und so würde er auch nicht sein Leben dafür geben.

Skàdi hasste sich dafür, dass sie nicht gleich, als sie es verstanden hatte, gegangen war. Sie hätte sofort gehen und Samuel töten sollen. Aber sie konnte es nicht. Sie mied den Kontakt zu Tamo, ihn aber einfach zu verlassen, brachte sie nicht fertig. Sie genoss seine Nähe und gleichzeitig hasste sie es. Sie wusste, dass es fast zu spät gewesen war, deswegen musste sie Tamo außer Gefecht setzen und verschwinden. Tat es ihr um Alice, Silas und Milano leid?

Ja. Aber eigentlich waren sie ohnehin tot. Sie würde also nur das Gleichgewicht wieder herstellen. Und Tamo? Der würde das Ganze schon irgendwie hinbekommen.

Er wusste um die Fähigkeiten und selbst, wenn seine wirklich noch durchbrechen sollten, dann würde er lernen, mit ihnen umzugehen, und würde nicht daran zerbrechen.

Skàdi seufzte, denn sie stand nun unmittelbar vor dem Haus und ließ ihren Blick darüber schweifen.

»Lassen wir das Versteckspiel. Ich weiß, dass du hier bist. Also komm raus«, rief sie in die Stille vor sich und wartete.

𝑺𝒌𝒂𝒅𝒊 - 𝑳𝒐𝒔𝒕 𝒊𝒏 𝑫𝒂𝒓𝒌𝒏𝒆𝒔𝒔 ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt