Als sich der Boden weit genug von der Wasseroberfläche entfernt hatte, begann er zu schwimmen. Kraulte durch die Wellen, die hier draußen stärker wurden. Baldor spürte, wie er von einer Strömung erfasst wurde. Für einen Menschen wäre das vielleicht ein Grund zur Sorge gewesen – nicht für einen Nethuf. Das Meer war seine Heimat und er wusste, wie er die Strömungen nutzen konnte, um wieder sicher ans Ufer zu kommen. Doch wollte er das überhaupt? Tief in seinem Inneren machte sich die Sehnsucht nach der Weite des Ozeans bemerkbar. Die Lust, weiter hinaus zu schwimmen, für immer dortzubleiben. Er wollte untertauchen und in den eiskalten Tiefen dieses Meeres verschwinden.

Er spürte, dass diese Sehnsucht nicht seine eigene war. Nicht in diesem Ausmaß jedenfalls. Es musste der Wal sein, der da aus ihm sprach, und nicht Baldors eigene Seele. Die Frage war nur, wer die Oberhand behalten würde. Eine alberne Frage. Er selbst natürlich. Er würde er es unter Wasser nicht ewig aushalten, brauchte die Luft zum Atmen. Das musste auch sein Gast wissen und einlenken, wenn er seinen Körper nicht verlieren wollte.

Der Wal wusste es und tauchte unter.

Nur einige Minuten, denn die Unterwasserwelt der Menschen stellte sich als sehr enttäuschend heraus. Karg, dunkel, leer. So hielt sich die Wehmut des Wals in Grenzen, als Baldor wieder an die Oberfläche schwamm.

"Ich denke, ich bin jetzt sauber genug", murmelte Baldor, ohne eine Antwort zu erwarten, und hielt wieder auf das Ufer zu.

Schwarzen Wolken zogen sich über ihm zusammen. Mit denen würde er um die Wette schwimmen müssen. Als seien sie über diesen Gedanken amüsiert, donnerte es in ihrem Inneren. Baldor lachte nervös. Um das Wetter hätte er sich mehr Gedenken machen müssen. Ngi hatte in seiner Warnung nur das Wildleben erwähnt. Andererseits hätte der die Zeichen für diese Gefahr, falls es vorher schon welche gab, sowieso nicht erkannt. Er war ja kein Wetterexperte. Andererseits. Nein, dafür gab es sicher auch eine Doku.

Den Auftakt des Sturms bildeten kaum merkbare Spritzer, die sich ohne weitere Übergänge in einen Schauer verwandelten. Hatte er es gerade noch gesehen, war das Ufer jetzt hinter einer grauen Wand verschwunden.

"Vielen Dank, blöder Wal!", brüllte Baldor in den Sturm und verschluckte sich dabei an einer Welle, die über ihn wegrollte.

'Nenn mich nicht Wal!', brüllten Sturm und Meer zurück, in einem Konzert von brodelnden Wellen, Blitzen und Donner, nur um dann in einer sanften Pause hinzuzufügen: 'Ich habe einen Namen.'

"Dann sollten wir uns endlich miteinander bekannt –", er tauchte unter einer Welle hindurch "– machen, bevor wir ertrinken. Ich bin Baldor."

'Ich weiß.'

Hinter Baldor stieg eine Welle an und trug ihn mit sich nach oben. Würde sie ihn auf die Küste zuschwemmen? Genau wie das Wasser stieg auch seine Ungeduld.

"Du solltest etwas kooperativer sein, solange du in meinem Körper steckst!"

'Du meinst, ich soll dir gehorchen, Sohn des Präsidenten?'

"Haha, nein. Ich habe schon gemerkt, dass so was nur ein Traum bleiben wird."

'Gut, denn mich kann man nicht zähmen. Ich bin wilder als der Sturm, den du gerade erlebst.'

Baldor bereitete sich darauf vor, dass die Welle einbrach und ihn in der Tiefe versenkte. "Ich hoffe, du erlebst den Sturm genauso, wie ich", rief er mit einer Spur der Verzweiflung, bevor er wie erwartet in die Tiefe gerissen wurde.

'Oh, keine Sorge, ich kann verhindern, dass du ertrinkst. Ich muss mich vor dem Meer nicht fürchten. Das Meer sollte sich vor mir fürchten!' Die Worte drangen dumpf und blubbernd zu ihm, während er senkrecht in die Tiefe gestoßen wurde.

Tobende TentakelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt