Kapitel 30

21 3 18
                                    

„Bist du bereit?", fragte die Chintah sie. „Ja, bin ich", antwortete Ruby fest. „Dann komm", rief die andere und sprang wieder in das Loch zurück, aus dem sie eben erst so schön entkommen waren. Ruby stockte. Ihre Motivation wieder zurück in diese bedrückende Enge zu gehen war gegen Null, doch war es auch eine Chance schnelle Antworten zu finden.

Denn über ihr Wesen, über ihre Kraft, würde sie nur in den Bergen etwas erfahren. Mittlerweile war es Abend geworden. Sie waren zusammen ins Lager zurückgekommen und die Chintah hatte die frohe Nachricht verkündet. Nun ging es auf zur Jagd.

Ein weiterer des seltsamen Stammes, der mit einer Lanze bewaffnet war, gesellte sich noch zu ihnen. Es brauchte immerhin drei, um die Bestie anzulocken.

„Meinst du das funktioniert?", fragte Ruby ihre Begleiterin sowie Führerin nervös. „Vielleicht", lautete die einsilbige Antwort, die jedoch alles andere als überzeugt klang.

Aufmunternd, dachte Ruby bei sich, behielt diesen Gedankengang aber lieber unausgesprochen. Auch ohne Worte spürte sie, dass sie nicht die einzige war, deren Nerven langsam versagten, während sie durch das Dämmerlicht schritten.

Den Bogen hielt sie gespannt in ihren Händen. Ihr war es lieber, das mit ihm zu regeln. So fühlte sie sich sicherer und musste nicht in den gefürchteten Nahkampf ziehen – sofern man das, was auch immer es sein möge, überhaupt mit einem Bogen vernichten konnte.

Beim Nebelwolf hatte das ja auch immer super funktioniert. Ruby verdrehte die Augen. Mal sehen ob der Kligan ein leichterer Gegner war. Obwohl die Chancen dahingehend ziemlich gering standen, aber die Hoffnung starb nun mal bekanntlich immer zuletzt.

Langsam und vorsichtig gingen sie die Tunnel entlang. Irgendwo in der Ferne hörten sie das stete Tropfen von Wasser. In regelmäßigen Abständen erreichte sie das Geräusch eines Platschens, wenn die Wasserteilchen auf den kühlen Steinboden trafen.

Für Ruby war es hier unten ziemlich beklemmend. Es bedrückte sie, eine nicht sehr stabil aussehende Decke über sich zu wissen und nicht mal genug Platz zu haben sich vernünftig zu drehen.

Wenn sie das Monster tatsächlich trafen, würden sie ihm kaum ausweichen können. Dann ging es auf Leben und Tod. Wie zu häufig in letzter Zeit. Wobei sie das in gewisser Weise schon gewohnt war. Wann war es denn jemals in diesem gebrochenen Land anders?

Doch die Chintah schienen anders zu denken. Trotz ihrer Anspannung spürte man, wie froh sie beide waren, wieder hier unten zu sein. Es war ihre Heimat. Sie sprühten so ein Gefühl des Vertrauens umher, kannten jeden Winkel und jede kleinste Ecke auswendig. Fühlten sich hier unten wohl und genossen es einfach.

Vielleicht war das die richtige Definition für dieses Wort. Heimat. Fasziniert betrachtete Ruby die beiden. Und doch erschloss sich ihr dieses Empfinden nicht so ganz. Für sie war noch nie ein Ort so gewesen. Selbst die Kriegsschule nicht, die sie als ihre Heimat bezeichnet hatte.

Vielleicht musste man es am eigenen Leib erfahren haben, um es zu verstehen. Wie so vieles. Eigentlich sollte man sich nie eine eigene  Meinung bilden dürfen, wenn man nicht alles vorher erlebt hat. Wenn man alle Seiten nachvollziehen und so klug genug entscheiden kann, was wirklich das beste ist. Doch Ruby unterbrach ihre Gedanken schnell. Jetzt war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt dafür.

Wachsam, jeden Schritt aufmerksam setzend, ging es weiter. Den leicht feuchten Boden unter den nackten Füßen spürend. Die rauen Wände an der Schulter. Das Metall des silbrigen Schwertes beruhigend an ihrem Rücken.

Und dann hörte sie es. Dieses unheilvolle Röhren. Ein Röhren aus tiefster Kehle. Ein Röhren, das einem eine Gänsehaut über den gesamten Rücken jagte. Das sämtliche Überlebensinstinkte zum Einsatz rief.

SaghoryaWhere stories live. Discover now