Kapitel 22

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Langsam ging sie ein paar Schritte, doch traute sich nicht so recht. Zu groß war die Angst nicht mehr hinauszufinden. Die Verfolger waren entgegen dieser Vorstellung vielleicht doch das geringere Problem.

Zerschlagen lehnte sie sich gegen einen der pechschwarzen Baumstämme. Wie Kohle ragten sie in weitem Abstand vor ihr auf. Der Baum war hart. Ein paar Rindenstücke des zerfurchten Stammes stießen ihr schmerzhaft in den Rücken, doch das störte sie gerade nicht.

Sie schloss kurz die Augen, dann durchfuhr sie wieder ein sengender Schmerz. Ihre Seite machte sich bemerkbar. Vorsichtig hob sie ihr Gewand ein wenig an, um die Wunde begutachten zu können. Sie war tief, das sah sie direkt. Auch wenn sie es aufgrund der Schmerzen eigentlich schon längst gewusst hatte. Die Wunde blutete noch immer. Jedoch längst nicht mehr so stark.

Ruby hatte allerdings nie gelernt, wie man Wunden versorgte. Sie hatte auch noch nie eine gefährlichere als kleine Abschürfungen gehabt. Doch trotzdem wusste sie, dass man die Blutung stillen musste. So viel Blut zu verlieren, konnte einfach nicht gut sein.

Sie beugte sich ungeschickt nach vorne und versuchte an ihr kleines Messer an ihrem Bein zu gelangen. Die Decke hatte sie bei ihrem Kampf mit Yengon leider fallen lassen müssen. Also schnitt sie schweren Herzens einen Teil ihres Gewandes – vom Knöchel bis zum Knie – von ihrem Bein ab und drückte es gegen die Wunde. Sofort verfärbte es sich scharlachrot.

So lag sie da. Am Ende ihrer Kräfte, die eine Hand schützend samt Tuch gegen ihre Wunde gepresst, die andere schlaff am Körper baumelnd. Die Augen drohten ihr zu zufallen, doch sie wehrte sich dagegen. Zwang sich, diese noch ein wenig aufzuhalten.

Mal abgesehen davon, dass sie schlafend ein viel zu leichtes Angriffsziel für all die scheußlichen Kreaturen hier war – was sie trotzdem irgendwann tun musste – wollte sie noch warten.

Sie wartete gute fünf Minuten. Vielleicht auch länger. Dann zog sie das kleine Stück Stoff langsam weg. Es hatte sich schon ein bisschen festgeklebt und schmerzte beim Abnehmen.

Zischend sog sie die Luft ein und schnitt sich auch noch vom anderen Bein ein ebenso großes Stück Gewand ab. Schnell band sie sich das Tuch als behelfsmäßigen Verband um. Dann erlaubte sie sich endlich ins Land der Träume zu entschwinden.

《<>》

Noch ein wenig schlaftrunken öffnete Ruby schwerfällig ihre Augen. Ihr Verstand noch nicht ganz auf dem neuesten Stand. Doch fühlte sie sich jetzt besser. Jedenfalls solange, bis sie sich an das dunkle Licht gewöhnt hatte und sie diese Augen erkennen konnte. Diese dunkelgrünen, die sie unentwegt anstarrten. Nicht aus dem Blickfeld ließen. Hektisch krabbelte sie zurück.

Sie hatte jedoch vergessen, dass sich hinter ihr ein Baum befand. Also stieß sie sich volle Kanne den Kopf an und kam dabei keinen Millimeter vom Fleck. Typisch. Im Stillen verfluchte sie sich selbst. Sie wollte aufstehen, doch ihr Muskelkater verhinderte dies ziemlich effektiv. Sie war diesem etwas schutzlos ausgeliefert.

Reflexartig schnappte Ruby sich ihr Schwert und ihren Bogen und schlug damit geistesgegenwärtig kräftig gegen den Baum. Ein dumpfer Klang ertönte, störte die sonstige Stille – und vertrieb das Tier.

„Glück gehabt", murmelte Ruby vor sich hin. Mühsam versuchte sie noch ein weiteres Mal aufzustehen und schaffte es tatsächlich - auch wenn sie noch ein wenig unsicher auf den Beinen stand. Kurz inspizierte sie ihre Seite. Der „Verband" hatte die Nacht über gut gehalten.

Beziehungsweise die Zeit, in der sie geschlafen hatte. Nacht herrschte hier anscheinend immer, hatte sie so das Gefühl. Nie änderte sich die Helligkeit, sondern es blieb immer stetig düster.

SaghoryaWhere stories live. Discover now