Heute

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„Wie meinst du das?", frage ich kaum hörbar und blicke entsetzt in seine wutentbrannten, blauen Augen.
„Genau so wie ich es gesagt habe", zischt er und hält mir seine offene Handfläche hin.
„Mason, ich–" Ich starre auf seine wartende Hand, nicht im Stande mich zu bewegen.
„Den Schlüssel, André!", befiehlt er.
„Bitte lass uns doch darüber–"
„Gib mir den verdammten Schlüssel!", schreit er mich an und ich zucke erschrocken zusammen.

Eine einzelne Träne rollt über meine Wange, als ich in meine Hosentasche greife und mit zitternden Fingern meinen Schlüsselbund hervorziehe. Mason reißt ihn mir schon fast aus der Hand und ich unterdrücke ein erbärmliches Schluchzen, das in meiner Kehle brodelt.

Eilig löst er den kleinen, goldenen Schlüssel von dem Ring und schiebt ihn in die vordere linke Tasche seiner Jeans.
„Den bringe ich gleich zurück", sagt er kalt und zeigt mir meinen Schlüsselbund. Bevor ich etwas erwidern kann, dreht er sich um und geht zur Tür hinaus.

Ich stehe nur da und starre ihm nach. Was habe ich nur getan?

•••

Als ich zu meinem Feierabend wieder nach vorn komme, liegt mein Schlüsselbund auf dem Tresen. Mein Schlüsselbund ohne den kleinen, goldenen Schlüssel. Der ist jetzt in Masons Hosentasche. Das Schluchzen, das den ganzen Nachmittag in meiner Kehle gelauert hat, bricht nun eiskalt hervor und ich presse meine Hand auf meinen Mund. Das Weinen, das so dringend heraus will, schüttelt meinen Körper und ich kneife meine Augen zusammen, um die Tränen zurückzuhalten.

Wie in Zeitlupe ziehe ich die Jalousien zu, schalte den Anrufbeantworter ein und lösche das Licht, bevor ich die Tür hinter mir verschließe. Anschließend mache ich mich auf den Weg nach Hause in meine Wohnung.

Sonst brauche ich nur zehn Minuten, doch heute ist es der längste Weg der Welt. Am Ende stehe ich vor meiner Wohnungstür und schließe sie langsam auf. Einmal. Zweimal. Mason schließt immer zweimal ab. Das ist sicherer.

Auf den ersten Blick wirkt meine Wohnung wie immer. Doch an der Garderobe hängt nur meine Jacke. In der Küche steht kein großer, roter Kaffeebecher auf der Spülmaschine und als ich ins Wohnzimmer komme, liegt keine graue Fleecedecke über der Lehne meines Sofas.

Kein Zettel, keine Nachricht.

Meine Knie geben nach und ich sacke auf den Boden. Die Tränen laufen nun unaufhaltsam und ich schluchze hemmungslos. Es ist, als wäre er nie hier gewesen und ich weiß, es ist ganz allein meine Schuld.

Rückblende | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt