Kapitel 10 - Das verlorene Kind

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„Du wolltest mich sehen?" Anwen war langweilig. Sie hatte den schnellsten Flug genommen, aber auch der hatte sich gestreckt und ihre Gliedmaßen waren eingeschlafen. Das kalte Wetter, das sie bei der Ankunft begrüßt hatte, war auch kaum besser gewesen.

„In der Tat, Elyana."

„Es heißt jetzt Anwen", fiel sie ihm ins Wort.

Er nickte kurz. Er hatte schon einige ihrer Namenswechsel mitbekommen und wunderte sich scheinbar über nichts mehr. „Wie dem auch sei, Anwen, es gibt eine Sache, über die ich mit dir sprechen muss."

„Spuck's aus!", forderte sie noch hier und jetzt im Freien, wo kein Sonnenlicht schien, da die großen Wolken zu dunkel waren.

Der Mann schien etwas überfahren, verbarg das aber hinter einem distanzierten Lächeln. „Alles der Reihe nach. Fahren wir erst einmal in die Wohnung."

Sie schnaubte und zuckte mit den Schultern. Konnte ihr recht sein, auch wenn sie den Aufwand nicht verstand.

Mit dem Auto brauchten sie noch zehn Minuten durch den Nachmittagsverkehr und sie vermutete, es wäre schneller gegangen, wären sie gelaufen, aber dann kamen sie auch endlich bei der Wohnung an und ins Trockene, denn mittlerweile hatte sich ein leichter Nieselregen eingestellt.

„Soll ich dir deine Jacke abnehmen?" Bei allen Göttern, warum war er immer so förmlich? Trotzdem ließ sie ihn ihre Jacke aufhängen, in der ihre Pistolen steckten.

„Ach, du hast ja unseren zweiten Gast mitgebracht. Wie schön!", schnurrte eine Stimme, der Anwen anfangs kein Gesicht zuordnen konnte bis jemand auftauchte, der sie ihre Pistole ziehen lassen würde, wenn diese nicht hinter Walter an der Wand hingen, der den Weg versperrte.

„Kein Grund zur Aufregung. Er beißt nicht."

„Er trägt das Zeichen der Nazis!" Sie konnte kaum glauben, dass Walter, dessen Vater von den Nazis getötet worden war, hier so ruhig herumstehen konnte.

„Ich denke, wir sollten als erstes mal ein ernsthaftes Gespräch führen, meinst du nicht?" Der Nazi-Blondschopf sah sie fröhlich grinsend an wie ein Junge auf dem Jahrmarkt. „Bevor du noch etwas sagst, was du bereuen könntest."

Ihr langjähriger Freund fasste sie an den Oberarmen und schob sie weiter in die Gänge der Kellerwohnung hinein.

„Hast du mich allen Ernstes verraten?", knurrte sie nach einigen Schritten, als sie ihre Stimme wiedergefunden hatte.

Ein Seufzen erklang hinter ihr. „Du wirst es verstehen, Anwen."

Das bezweifelte sie, aber sobald sie ihr liebstes Kind gefesselt an einen Stuhl sah, hörte sie auf, sich zu wehren.

„Was tut ihr mit ihr?!"

„Shhsh... Ihr wird kein Haar gekrümmt, wenn du kooperierst."

Worin diese Kooperation bestand führte aber weder er noch der blonde Junge noch die wahnsinnig aussehende Frau mit den Tätowierungen über das halbe Gesicht aus, die sich über Helenas kleinen, blonden Schopf gebeugt hatte und ihre Kehle umklammert hielt.

„Kooperieren? Wobei? Schafft ihr es nicht mehr, selbstständig zu wichsen?" Sie hatte wirklich die Zunge ihrer Mutter geerbt. Auch wenn sie das nie freiwillig zugegeben hätte. Wenn sie bedrängt oder angegriffen wurde, begann sie so auszuteilen.

Da Walter ihr keine knallte, schätze sie mal, dass er nicht jeden Anstand verloren hatte. Vielleicht tat er auch nur so, als würde er irgendetwas mit den Nazis machen und eigentlich nur spionieren? Ja, das müsste es sein.

„Nein, nein, meine Führungsoffiziere sind alle schon lange impotent, da würde auch deine fähige Hand oder eine begabte Zunge nichts mehr nützen", scherzte der Junge. „Aber eine Sache könntest du für uns tun, nein, solltest du für uns tun, sonst wird es deinem Kind hier schlecht gehen: Ermorde diese kleine Viper, die sich an dem Herzen dieses Midians festsaugt. Wir brauchen ihn für andere Zwecke, da eignet es sich nicht, wenn sein Herz und Schwanz etwas anderes sagen."

A King with a Broken CrownWhere stories live. Discover now