Der Schummelversuch

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Amalia, Bruno, Carla

Verzweifelt sah Carla auf die Mathearbeit unter sich hinab. Das elfjährige Mädchen hatte wochenlang auf diese Klausur gelernt und hatte alles gekonnt, aber jetzt fühlte es sich an, als hätte sie nie auch nur einen Blick in ihr Mathebuch geworfen. Alles, was sie die letzten Wochen gelernt hatte, war nun wie weggeblasen. Nicht mal mehr die einfachsten Sachen wollten ihr einfallen! Sie hatte die ganze Woche mit ihrer Mutter gelernt, denn ihr Vater war genauso schlecht in Mathe wie sie und bis gestern hatte sie auch noch alles gekonnt, aber nun starrte sie auf die Klausur und hatte das Gefühl, dass die Aufgaben auf einer fremden Sprache gestellt wurden. Wie sollte sie das nur hinbekommen? Sie musste diese Klausur bestehen, sie konnte nicht noch einmal durchfallen! Ihre Eltern würden dann sicherlich sehr enttäuscht sein! Nein, sie musste bestehen - egal wie! Sie wusste zwar, dass ihre Eltern nur kurz schimpfen würden und nichts weiter passieren würde, aber trotzdem hatte sie Angst davor durchzufallen. Also musste sie sich etwas einfallen lassen. Unsicher sah sie sich im vollen Klassenzimmer um. Es war zwar riskant, aber sie könnte versuchen abzuschreiben. Ihre Lehrerin sah gerade nicht hin, es wäre also gut möglich. Und sie musste ja auch nicht zu ihren Sitznachbarn sehen, um abzuschreiben. Sie dachten bestimmt die Lösungen und Carla konnte vom Klassenstreber abschreiben, ohne auch nur ein einziges Mal zu ihm sehen zu müssen. Es war zwar riskant, weil ihre leuchtenden Augen sie dann verraten könnten, aber dieses Risiko musste sie eingehen, wenn sie bestehen wollte. Also setzte sie den Stift aufs Papier und tat so, als würde sie angestrengt nachdenken, während sie Eduardos Gedanken zuhörte. Er dachte wie erwartet angestrengt über die Aufgaben nach, sodass Carla seinen Gedanken einfach versuchte so gut es ging zu folgen und sie aufzuschreiben. Währenddessen starrte sie angestrengt auf ihr Blatt und hoffte, dass ihre Lehrerin nicht mitbekommen würde, dass sie gerade schummelte. Normalerweise tat Carla so etwas nicht und sie wusste auch, dass es falsch war, aber sie sah einfach keinen anderen Ausweg mehr. Da räusperte sich ihre Lehrerin plötzlich.
"Carla, leuchten deine Augen etwa gerade?", fragte sie scharf nach und beugte sich hinunter, um ihrer Schülerin ins Gesicht sehen zu können, aber Carla wandte den Blick ab und schüttelte den Kopf. Aber so leicht gab ihre Lehrerin nicht auf. Sie sah Carla ernst an und bemerkte dann sofort ihre grünen leuchtenden Augen. "Carla Madrigal! Gib die Klausur ab und geh ins Büro der Direktorin! Es kann nicht sein, dass du deine Gabe benutzt, um zu schummeln!" Carla verfluchte sich dafür, erwischt worden zu sein, wusste aber auch, dass es keinen Sinn hatte zu diskutieren. Sie nickte stumm, nahm sich ihre Tasche und schlich niedergeschlagen ins Büro der Direktorin. Dort setzte sie sich im kleinen Wartebereich auf einen Stuhl. Sie wusste genau, dass nun ihre Eltern gerufen werden würden und das wollte sie nicht, aber es gab keinen Weg darum herum.
Fünfzehn Minuten später kamen Amalia und Bruno ins Büro der Direktorin, die bereits mit Carla geredet hatte. Die beiden Erwachsenen hatten einen Brief bekommen, in dem stand, dass sie Carla sofort abholen mussten und zu einem Gespräch gebeten wurden. Amalia und Bruno waren beide ratlos, wieso sie gerufen worden waren, denn schließlich war Carla ein sehr liebes Kind und hatte noch nie Ärger in der Schule gehabt. Verwundert über diesen Brief, betraten die beiden nun das Büro der Direktorin. Ihre älteste Tochter saß auf einem Stuhl vor dem großen Schreibtisch und sah niedergeschlagen und traurig auf den Boden, worauf ihre Eltern zu ihr gingen und sie in den Arm nahmen.
"Mi vida, was ist los? Was ist passiert?", fragte Bruno besorgt nach, aber Carla antwortete nicht.
"Sie hat bei ihrer Klausur geschummelt", antwortete die Direktorin an Carlas Stelle. "Sie hat ihre Gabe benutzt, um abzuschreiben. Ihre Lehrerin hat sie dabei erwischt und sie hat es auch gerade eben vor mir zugegeben. Ich verstehe nur noch nicht, warum das getan hast, Carla. Das sieht dir sonst gar nicht ähnlich."
"Genau! Und gestern konntest du doch noch alles so gut, amor!", stimmte Lia zu und kniete sich mit Bruno vor ihre Tochter, um ihre Hände zu nehmen und sie zu drücken. Carla zuckte die Schultern, sagte aber weiterhin kein Wort. Es war ihr zu peinlich, um zuzugeben, dass sie wirklich geschummelt hatte.
"Carlita, princesa, wie sollen wir dir helfen, wenn du nicht mit uns redest?", fragte Bruno fürsorglich nach und sah seine Tochter liebevoll an. "Komm schon, sag uns, was das sollte. Wir sind auch nicht böse, versprochen, aber du musst versprechen, es nie wieder zu tun, hörst du? Schummeln ist nämlich falsch." Carla nickte.
"Das weiß ich", murmelte sie schließlich. "Und ich wollte ja auch eigentlich nicht schummeln, aber ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte! Ich hab gar nichts mehr gekonnt und wusste nicht, was ich hinschreiben sollte! Und ich wollte keinen Ärger von euch bekommen, also hab ich geschummelt." Amalia und Bruno seufzten und umarmten ihre Tochter.
"Ay, dios, hija! Du hättest doch keinen Ärger bekommen, nur, weil du durchgefallen wärst! Jeder hat mal so einen Aussetzer, das ist vollkommen normal! Und in einer Stresssituation kommt es erst recht vor, dass man Sachen vergisst! Aber dann darf man trotzdem nicht schummeln, ja? Wenn du vielleicht ruhig geblieben wärst und weiter nachgedacht hättest, wäre dir alles wieder eingefallen!", wandte Amalia ein, Bruno nickte zustimmend.
"Genau, mi vida. Das war nicht richtig, aber das weißt du ja. Du weißt genau, dass wir dich nur ungern bestrafen, aber das muss jetzt leider sein", erwiderte Bruno, Carla nickte.
"Ich weiß. Es tut mir wirklich leid", murmelte sie schuldbewusst.
"Das wissen wir, Carla. Du wirst den Rest der Woche nachsitzen und Nachhilfe in Mathe bekommen, ja? Aber wenn das mit dem Schummeln noch einmal vorkommt, dann muss ich dich leider für ein paar Tage suspendieren", meinte die Direktorin streng, Carla nickte schnell.
"Natürlich. Es passiert nicht wieder, versprochen!", stimmte sie schnell zu. Das war entspannter ausgegangen, als sie es sich gedacht hatte. Und sie würde nie wieder schummeln, das wusste sie nun genau. Das war es nicht wert und außerdem war es unfair den anderen gegenüber. Hoffentlich konnte Eduardo ihr verzeihen, dass sie in seinem Kopf herumgespuckt hatte!

Madrigal Kindergeschichten mit meinen CharakterenTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon