Kapitel 26

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Das Gesicht war bedeckt, wie der restliche Körper auch. Man hatte mir gesagt, dass das Gesicht nach dem Aufprall nicht mehr zur Identifizierung zu gebrauchen war.

Schmerzlich wurde mir bewusst, wie zerbrechlich die Hülle unseres Seins doch war.

"Ich werde Ihnen nur ausgewählte Bereiche zeigen", bereitete mir der Rechtsmediziner auf das vor, was ich gleich zu sehen bekam. "Sind Sie bereit?"

Nein, natürlich nicht! Niemand war auf so etwas vorbereitet. Ich stand in einem sterilen, kalten Raum mit furchtbar grellem Licht. Vor mir lag eine Leiche, die auf dramatische Weise ihr Leben gelassen hatte.
"Ja, ich bin bereit."

"Gut. Ich zeige Ihnen jetzt den Unterarm. Dort befindet sich ein Tattoo. Sagen Sie mir einfach, ob ihr Ex-Freund so eins hatte."

Basti hatte einen Kompass auf seinem Unterarm tätowiert.

Zuerst sah ich die blasse Hand. Allein bei diesem Anblick überkam mich schon die Übelkeit. Das Tuch wurde höher gezogen und die bläuliche Tinte auf der weißen behaarten Haut kam zum Vorschein.

Es war kein Kompass, sondern ein Adler.

"So eins hat er nicht!", kam es sofort erleichtert aus meinem Mund und dann fiel mir noch etwas anderes auf. "Er hat einen Kompass, aber auf dem anderen Unterarm."

Der Rechtsmediziner nickte.
"Okay, das Tattoo sieht nicht frisch gestochen aus, aber wir schauen sicherheitshalber trotzdem auf der anderen Seite nach."

Er bedeckte den eben gezeigten Arm wieder.

Das war nicht Basti. Er war nicht der Typ, der sich einen Adler tätowieren lassen würde. Dessen war ich mir sicher.

Ich ging mit dem Rechtsmediziner um den Tisch herum. Er entblößte auch hier wieder den Arm. Dort war ein weiteres Tattoo. Dieses Mal stockte mir jedoch der Atem. Ich kannte es.

"Kein Kompass", sagte er der Rechtsmediziner.

"Nein, aber ich kann dieses Tattoo zuordnen. Ich weiß, wer das ist." Er hatte auf seinem Unterarm den Namen und das Geburtsdatum seiner Tochter tätowiert. Ich konnte mich an dieses Tattoo erinnern und noch schlimmer: An seine Tochter, die jetzt keinen Vater mehr hatte.

"Das ist Theo. Ich weiß nicht, wie er mit Nachnamen heißt, aber er war mit Basti befreundet und ich vermute, dass er ihm auch Drogen besorgt hat. Das Tattoo ist seiner Tochter gewidmet."

Was für mich an Tragik kaum zu überbieten war, war für mein Gegenüber Alltag. Er nickte lediglich zur Kenntnis nehmend.

"Die Bankkarte von Sebastian König war abgelaufen. Vermutlich hatte er sie einfach seinem Kumpel gegeben, damit er Lines ziehen konnte. Wir haben entsprechende Spuren an der Karte gefunden", mutmaßte er und notierte sich etwas auf einem Notizblock.

Es war mitten in der Nacht, doch ich musste Basti sehen. Ich musste wissen, dass es ihm gut ging. Nachdem ich eine Stunde davon ausgehen musste, dass er tot war, brauchte ich Gewissheit, dass er noch lebte. Auch wenn es 3 Uhr nachts war.

Ich hatte keinen Schlüssel mehr, also klingelte ich einfach. Als er nicht öffnete, klingelte ich ein zweites Mal. Dann ein drittes Mal. Ein viertes Mal und auch ein fünftes Mal. Ich gab es nicht auf. Er musste doch um diese Uhrzeit zuhause sein.

Plötzlich öffnete sich eine Tür. Es war jedoch nicht Bastis Tür, sondern die unserer Nachbarin.

"Ilvi?", fragte sie verschlafen, als sie mich sah. "Was machst du hier, um die Uhrzeit? Warum klingelst du sturm?"

Ertappt und schuldig sah ich sie an.

"Manuela, es tut mir leid, falls ich dich geweckt habe. Ich wollte sichergehen, dass es Basti gut geht. Ich mache mir Sorgen um ihn und er antwortet nicht."

Me and my damn LifeWhere stories live. Discover now