Das Palmenblatt

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Amalia und Bruno

Amalia und Bruno waren gerade mal vier Jahre alt. Die beiden Kinder waren die besten Freunde und nichts und niemand konnte sie voneinander trennen. Jeden Tag streiften sie durch das Dorf und den angrenzenden Wald, während sie stets von Brunos Ratten begleitet wurden. Sie liefen entweder neben den beiden Kindern her oder kletterten auf ihrem Besitzer herum, wo sie sich allerdings meistens in der Kapuze des grünen Ponchos versteckten. Der Poncho war Bruno viel zu groß, er stolperte öfters mal über die langen Zipfel und musste ihn immer wieder hochraffen, um nicht hinzufallen. Amalia hüpfte begeistert neben ihm her und kickte immer wieder den Saum ihres grünen Kleides hoch. Ihre geflochtenen Zöpfe wirbelten durch die Luft, als sie sich immer wieder aufgeregt im Kreis drehte und schließlich auf den Boden fiel und lachte. Bruno blieb stehen und sah seine beste Freundin an. Er war schon immer sehr vorsichtig gewesen und tobte nicht so ausgelassen wie Amalia, aber er war gerne in ihrer Nähe und mochte es, Amalia so glücklich und ausgelassen zu sehen.
"Hast du dich verletzt?", fragte er besorgt nach und hielt ihr die Hand hin, um sie wieder auf die Beine zu ziehen. Amalia schüttelte den Kopf und grinste.
"Ach was, nein, Brunito!", antwortete sie, obwohl sie genau wusste, dass er seinen Spitznamen nicht mochte. Sie ärgerte ihn nur gerne. "Mir ist nur ein bisschen schwindelig, aber das ist eigentlich ganz lustig!"
"Mach langsam, ja?", bat der schüchterne Junge besorgt, während sie wieder weiterliefen.
"Jaja, mach ich ja!", stimmte Amalia schnell zu und ließ seine Hand wieder los. Die beiden Kinder konnten unterschiedlicher nicht sein, aber sie hatten trotzdem immer Spaß miteinander und verbrachten fast jede Sekunde zusammen. Auch ohne Brunos ältere Schwestern. Sie waren Drillinge, aber Bruno war der jüngste der drei und daher kam auch sein Spitzname - Brunito. Amalia zog ihn damit gerne auf, denn sie war schließlich auch einige Monate älter als er. Ihr fünfter Geburtstag war in wenigen Wochen und darauf freute sie sich schon. Ihre Eltern hatten eine große Party geplant, zu der das ganze Dorf kommen sollte. Sie war schon sehr gespannt auf ihre Geschenke und hoffte, auch einen leckeren Kuchen zu bekommen, den sie mit ihren Freunden teilen konnte. Sie sah ihren besten Freund an.
"Weißt du, was ich mir zum Geburtstag wünsche?", fragte sie neugierig, er schüttelte den Kopf.
"Nein, was denn?", fragte er interessiert zurück und sah sie ebenfalls an.
"Ich will ein Pferd und einen großen, langen Umhang in blau! Dann kann ich Superheld spielen! Dann beschützen wir zwei das Dorf!", erklärte sie aufgeregt.
"Wir zwei? Aber wie sollen ein Umhang und ein Pferd helfen?", fragte er verwirrt nach.
"Na, dann können wir Diebe und böse Leute verfolgen! Und der Umhang macht uns mysteriös, so wie euer Wunder! Das wird die bösen Leute total erschrecken!", antwortete seine Freundin aufgeregt und boxte in die Luft. "Dann sind wir Helden!" Brunos Familie, die Familie Madrigal, hatte ein Wunder geschenkt bekommen. Als sein Vater gestorben war, um seine Familie zu beschützen, hatte die Hochzeitskerze, die seine Mutter bei sich getragen hatte, angefangen zu leuchten. Ihr Dorf, das Encanto, war entstanden und ihr magisches Haus, die Casita, hatte sich wie von selbst aufgebaut. Das Haus konnte sich bewegen und die Kinder spielten gerne mit ihr. Lustig war es auf jeden Fall, auch, wenn Brunos Mutter Alma dann immer die Hände über dem Kopf zusammenschlug, weil so viel Chaos entstand.
"Müssen wir denn Helden sein?", fragte Bruno nun zurück. "Reicht es nicht, wenn wir wir selbst sind?"
"Natürlich, aber wenn wir böse Leute vertreiben, dann lieben uns alle! Und vielleicht kriegen wir dann auch so mal Geschenke und nicht nur an unseren Geburtstagen!", antwortete Amalia ihm und grinste. "Das wäre doch toll, oder?" Bruno nickte zögerlich. Er mochte Geschenke (welches Kind mochte das nicht?), aber er wollte nicht beschenkt werden, einfach nur, weil er irgendwann mal etwas getan hatte. Geschenke musste man sich verdienen - oder am Geburtstag entgegennehmen. Ansonsten nicht. Aber er wollte keinen Streit mit Amalia provozieren, er mochte sie schließlich sehr, und deshalb stimmte er ihr einfach zu. Amalia schien sein Nicken aber gar nicht bemerkt zu haben, denn sie blieb plötzlich stehen.
"Oh, schau mal!" Sie zeigte auf eine große Palme vor ihnen, bevor sie darauf zurannte, Bruno folgte ihr.
"Was ist damit? Das ist doch nur eine Palme!", wandte er verwirrt ein.
"Ja, aber sie hat ganz große Blätter! Ich hab letztens in einem Buch gelesen, dass ein Mädchen mit so einem Blatt durch die Luft geflogen ist! Das muss ich auch probieren!", antwortete sie und machte sich dann schon daran, die Palme empor zu klettern.
"Aber... das war doch nur ein Buch! Du tust dir weh, wenn du das probierst!", wandte Bruno besorgt und ängstlich ein. "Komm runter, bitte!" Aber seine Freundin hörte ihn schon gar nicht mehr. Sie kletterte die Palme hinauf, riss eines der großen Palmenblätter aus und hielt es wie einen Gleitschirm über sich. Bevor Bruno etwas sagen konnte, sprang Amalia ab. Das Blatt trug sie allerdings nicht so wie in ihrer Fantasie erhofft und sie plumpste unbeholfen und hart auf den Boden. Sie fiel genau auf ihren Knöchel und schrie kurz auf, bevor sie zu weinen begann. Ihr Fuß tat unheimlich weh und sie wusste nicht, ob sie aufstehen konnte. Bruno eilte sofort zu ihr und kniete sich neben sie. "Was tut dir weh?" Amalia sah unter Tränen zu ihm auf und zeigte stumm auf ihren Knöchel. Bruno sah ihn sich an. Er sah noch normal aus, aber Bruno hatte das Gefühl, als würde er sich blau färben.
"Warte kurz, ich hab eine Idee!" Der clevere Junge ging zu einem weiteren Baum und riss Blätter und Zweige ab, bevor er sich neben seine Freundin kniete. Obwohl er in so gut wie allen motorischen Sachen sehr tollpatschig war, war er handwerklich doch sehr begabt. Ohne große Mühen bastelte er eine kleine improvisierte Schiene für seine Freundin und zog sie dann auf die Beine. Amalia wischte sich die Tränen aus den Augen.
"Komm, ich bringe dich nach Hause. Dann kann sich deine Mamá darum kümmern", sagte Bruno, Amalia nickte und so gingen die beiden Freunde humpelnd zu Amalia nach Hause.

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Wie fandet ihr die erste Kindergeschichte? Sollte ich mehr davon machen? Lasst gerne Feedback da!🥰

Cassy

Madrigal Kindergeschichten mit meinen CharakterenWhere stories live. Discover now