3. Dezember

183 22 27
                                    

„Hallooooo", rufe ich laut, als ich die Haustür aufgeschlossen habe und mit einer Schneeböe ins Haus getreten bin.

Die Wärme schlägt mir entgegen, und ich schließe kurz die Augen, um den Tannennadelduft einatmen zu können, der schon seit einigen Tagen Zuhause in der Luft liegt. Mit dem rechten Fuß schiebe ich die Türe hinter mir zu und öffne meinen schwarzen Wintermantel, der fast so lang ist wie ich.

„Hallooo, wie war die Schule?", kommt mir meine Mutter mit einem Handtuch in der Hand aus der Küche entgegen. Ihre schwarzen Haare liegen in einem Bob auf ihren Schultern und der rote Pullover schmeichelt ihren haselnussbraunen Augen, die ich irgendwie so gar nicht von ihr geerbt habe.

„Wundervoll."

„Sei nicht immer so ironisch."

Ich strecke ihr meine Zunge raus, während ich mich aus meiner Jacke schäle und die von den Schneeflocken ganz nasse und kalte Mütze auf den Teppich vor der Tür werfe.

Meine Mutter verzieht die Mundwinkel und legt ihren Kopf schief. „Du weißt ganz genau, dass dein Vater es nicht leiden kann, wenn deine Sachen hier rumliegen."

„Dann baut doch bitte einen Mützenhalter für die Tage an denen meine Mütze kalt ist und ich sie am nächsten Tag nicht wieder nass anziehen will."

„Sei nicht so frech", lacht sie und dreht sich wieder um, um in Richtung der Küche zu gehen.

Nachdem ich auch meine Stiefel von den Füßen geschmissen habe, laufe ich auf meinen dicken Kuschelsocken hinter ihr her. Mein Blick geht kurz zu der Couch, auf der manchmal meine Schwestern sitzen, wenn sie vor mir Zuhause sind, was aber heute nicht der Fall ist.

Mit einem schweren Seufzer lasse ich mich auf den Boden in der Küche plumpsen und lehne mich mit dem Rücken gegen den Kühlschrank.

„Was ist los Alory?", fragt meine Mutter, mit dem Rücken in meine Richtung stehend, während sie mit einem Löffel in einem der brodelnden Töpfe rührt, aus denen ein verführerischer Duft in meine Nase zieht. „Und wie war eigentlich dein Chemietest?"

Eigentlich wollte ich das Thema vermeiden, denn nicht nur in der Arbeit gestern, sondern auch in dem heute folgenden Chemietest habe ich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht die größten Glanzleistungen erbracht, was mir zwar vollkommen egal ist, aber meinen Eltern dafür umso wichtiger ist.

„Gut?", lüge ich schlecht und beiße mir auf die trockene Unterlippe, die ich dringenst noch einmal mit etwas Labello einschmieren sollte. „Übrigens kam heute in der Schule eine Durchsage, dass es möglich ist, dass wir bald Schneefrei bekommen. Heute waren wir nämlich wieder eine halbe Stunde zu spät, weil der Bus nicht mehr weiterfahren konnte und wir zu Fuß gehen mussten."

Sie wirft mir einen kurzen Blick über die Schulter zu und wir beide wissen, dass ich gerade mehr schlecht als recht versuche vom Thema Chemietest abzulenken. „Aha."

„Wo genau sind eigentlich meine Geschwister?"

„Ich habe keine Ahnung, eben waren sie noch hier. Aber wo du gerade dabei bist, kannst du sie ja zum Essen rufen und dann auch direkt den Tisch decken", kommt es von ihr zurück und ich stehe mit einem Augenverdreher wieder vom gemütlichen Boden auf.

Normalerweise hasse ich es alleine den Tisch decken zu müssen, aber da ich wirklich nicht weiter mit meiner Mutter über die Schule sprechen möchte, öffne ich die Schublade mit den tiefen Tellern und nehme fünf davon heraus.

Während ich in Richtung des Tisches gehe hole ich tief Luft. „Essen", schreie ich und lasse dann mit einem lauten Knall die Löffel auf den Tisch fallen.

Nur Sekunden nachdem ich gerufen habe, geht auch schon die erste Zimmertür auf und meine kleine Schwester Kaylie kommt die Treppe heruntergeschossen.

„Du trampelst wie ein Elefant", begrüße ich sie freundlichst und halte ihr die Teller hin.

„Ich dachte es gibt Essen", meckert sie, ohne auch nur den Anschein zu machen, die Teller aus meiner Hand zu nehmen, „und nicht, dass ich hier auch noch mithelfen muss den Tisch zu decken."

„Ach Gottchen, es sind doch nur Teller", ruft meine Mutter aus der Küche und kommt dann mit dem großen Topf zu uns, um ihn auf dem Tisch abzustellen.

Ich zeige mit dem Finger in Richtung des Zimmers von Bayley, aus welchem man wirklich keinen Mucks zu hören bekommt. „Ist sie überhaupt da?"

„Ach nein." Meine Mutter schlägt sich mit der Hand gegen die Stirn. „Ich habe ganz vergessen, dass sie heute doch bei ihrem neuen Freund ist."

Meine Augenbraue schnellt nach oben. „Sie hat schon wieder einen neuen Freund? Ich habe gar nicht mitbekommen, dass der alte auf einmal nicht mehr angesagt ist."

„Setz dich und freu dich lieber für deine Schwester, dass sie, nicht wie du, ganz alleine ist."

Ich stöhne auf. Jetzt fängt das wieder an. Jedes Mal, wenn meine Schwester einen neuen Freund hat, deutet meine Mutter an, dass ich ja auch endlich nochmal einen haben könnte. Einfach, weil sie es nett finden würde. Dabei hatte ich schon eine Beziehung, auch wenn sie im Kindergarten war und wahrscheinlich gar nicht zählt.

Wortlos lasse ich mich auf den weichen Stuhl sinken und halte ihr erwartungsvoll meinen Teller hin. Gerade, als sie ihn auffüllt, geht die Haustüre erneut auf, und bringt mit einer Welle an kalter Luft auch meinen Vater hinein.

Seine Wangen sind von der Kälte ganz gerötet und obwohl er sonst so penibel sein muss, wenn es um das Aufräumen und Aufhängen der Kleidungsstücke geht, nachdem man hereingekommen ist, geht er ohne sich die Schuhe abzuputzen direkt auf uns zu.

„Ihr werdet mir nicht glauben, wen ich getroffen habe", ruft er erfreut und wedelt mit seinen großen Händen in der Luft herum.

„Was ist denn?", ruft meine Mutter genauso begeistert und knallt meinen Teller auf den Tisch, aus welchem die orange Karottenkartoffelsuppe auf den Tisch kleckert.

„Ich habe Matty Brodyn auf der Straße getroffen."

„Brodyn, wie der Vater von Ryker Brodyn?", kommt es mir leicht entsetzt aus dem Mund.

Er zeigt mit dem Finger auf mich, seine Augen ein wenig irre. Der Schnee tropft von seinen Schultern auf den Boden. „Ja genau. Und jetzt ratet, mit wem wir die Feiertage in der Berghütte verbringen werden."

Noch 21 Tage bis Weihnachten.

Silent Sparkle - Adventskalender 2021Où les histoires vivent. Découvrez maintenant