Kapitel 33 ✔️

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L U N A

„Sie alle kehren spätestens um sechs Uhr abends zurück in die Gemeinschaftsräume. Danach verlässt keiner mehr den Schlafsaal. Ein Lehrer wird sie zu jeder Unterrichtsstunde begleiten. Kein Schüler geht ohne Begleitung eines Lehrers auf die Toilette. Quidditch-Training und -Spiele sind bis auf weiteres gestrichen. Es gibt keine abendlichen Veranstaltungen mehr."
Wir Gryffindors, die sich im Gemeinschaftsraum zusammendrängten, lauschten Professor McGonagall schweigend.
Sie rollte das Pergament ein, von dem sie abgelesen hatte und sagte mit fast erstickter Stimme: „Ich muss wohl kaum hinzufügen, dass ich in größter Sorge bin. Wahrscheinlich wird die Schule geschlossen, wenn der Schurke, der hinter diesen Angriffen steckt, nicht gefasst wird. Ich ermahne eindringlich jeden, der glaubt, etwas darüber zu wissen, mit der Sprache herauszurücken."
Etwas ungelenk kletterte sie aus dem Porträtloch und sofort begannen wir Gryffindors laut zu schwatzen.
„Jetzt sind schon zwei Gryffindors außer Gefecht, einen Geist von uns nicht mitgezählt, und eine Ravenclaw und ein Hufflepuff.", sagte der Freund der Weasley-Zwillinge, Lee Jordan, und zählte die Opfer an den Fingern ab. „Hat denn von den Lehrern keiner mitgekriegt, dass die Slytherins noch vollzählig sind? Ist es nicht glasklar, dass diese Angriffe von Slytherin ausgehen? Der Erbe von Slytherin, das Monster von Slytherin - warum werfen sie nicht einfach alle Slytherins raus?", polterte er unter Kopfnicken und vereinzeltem Beifall der Umstehenden.
Percy saß in einem Stuhl hinter Lee, doch er schien diesmal nicht erpicht darauf, seine Meinung zu sagen.
Er sah blass und ratlos aus.
„Percy steht unter Schock.", sagte George leise zu Harry und mir. „Dieses Ravenclaw-Mädchen war Vertrauensschülerin. Er glaubte wohl, das Monster würde es nicht wagen, einen Vertrauensschüler anzugreifen."
Doch ich hörte nur mit halbem Ohr zu.
Das Bild von meiner besten Freundin wollte mir einfach nicht aus dem Kopf, wie sie da auf dem Krankenbett lag, als wäre sie aus Stein gemeißelt.
„Was tun wir jetzt?", fragte Ron leise in Harrys und mein Ohr und riss mich aus meinen Gedanken. „Glaubst du, sie Verdächtigen Hagrid?"
Harry hatte sich anscheinend entschlossen.
„Wir müssen mit ihm reden.", sagte er. „Ich kann einfach nicht glauben, dass er es diesmal wieder ist, aber wenn er das Monster losgelassen hat, weiß er, wie man in die Kammer des Schreckens kommt und dann sehen wir weiter."
„Aber Professor McGonagall sagt, wir müssen im Turm bleiben, wenn wir nicht im Unterricht sind -"
„Ich glaube", sagte Harry noch leise, „es ist Zeit, den alten Umhang meines Vaters wider auszupacken."

Harry hatte nur eines von seinem Vater geerbt: einen langen, silbern schimmernden Umhang, der unsichtbar machte.
Das war unsere einzige Chance, sich unbemerkt aus der Schule hinaus zu Hagrid zu schleichen.
Ich ging zur üblichen Zeit zu Bett, dann stand ich wieder auf, zog mich an, traf Harry und Ron im Gemeinschaftsraum und wir warfen uns den Tarnumhang über.
Der Streifzug durch die dunklen Korridore war nicht gerade ein Vergnügen.
Lehrer, Vertrauensschüler und Geister streiften paarweise durch die Gänge und hielten Ausschau nach Verdächtigen Vorkommnissen.
Zwar waren wir unsichtbar, aber unser Tarnumhang sorgte nicht dafür, dass wir keine Geräusche machten und es gab einen besonders brenzligen Moment, als Ron sich den Zeh stieß.
Nur ein paar Meter entfernt stand Snape Wache.
Glücklicherweise nieste Snape in fast demselben Augenblick, in dem Ron fluchte.
Als wir das eichene Schlosstor erreichten, fiel uns ein Stein vom Herzen.
Langsam schoben wir es auf.
Es war eine klare, sternenhelle Nacht.
Wir rannten so schnell wir konnten hinüber zu den erleuchteten Fenstern von Hagrid's Hütte und streiften den Umhang erst ab, als wir vor seiner Tür standen.
Sekunden nach dem wir geklopft hatten, öffnete Hagrid die Tür.
Wir starrten ihm ins Gesicht.
Hagrid hielt eine Armbrust auf uns gerichtet und Fang, sein Saurüde, stand laut kläffend hinter ihm.
„Oh.", sagte er, senkte die Waffe und starrte uns an. „Was macht'n ihr drei hier?"
„Was soll das denn?", fragte Harry, als wir eintraten und deutete auf die Armbrust.
„Nichts, nichts.", murmelte Hagrid. „Ich hab jemanden erwartet, tut jetzt nichts zur Sache, setzt euch, ich koch Tee."
Hagrid schien nicht recht zu wissen, was er tat.
Beinahe hätte er das Feuer gelöscht, weil er Wasser aus den Kessel darauf schüttete und dann zerschlug er mit einem nervösen Zucken seiner mäßigen Hand die Teekanne.
„Alles in Ordnung mit dir, Hagrid?", fragte Harry. „Hast du von Hermine gehört?"
„Oh, hab ich, ja.", sagte er ein wenig zögernd.
Ständig warf er nervöse Blicke zum Fenster.
Er servierte uns große Becher mit heißem Wasser (die Teebeutel hatte er vergessen) und legte gerade eine Scheibe Früchtekuchen auf einen Teller, als jemand an die Tür pochte.
Hagrid ließ den Früchtekuchen fallen.
Harry, Ron und ich tauschten panische Blicke, dann warfen wir uns den Tarnumhang über und verdrückten uns in eine Ecke.
Hagrid vergewisserte sich, dass wir nicht zu sehen waren, dann packte er die Armbrust und öffnete die Tür.
„Guten Abend, Hagrid."
Es war Dumbledore.
Mit todernster Miene trat er ein, ihm folgte ein zweiter, sehr merkwürdig aussehender Mann.
Der Fremde hatte zerwühltes graues Haar und machte einen verschreckten Eindruck.
Er trug eine seltsame Mischung von Kleidern: einen Nadelstreifenanzug, eine scharlachrote Krawatte, einen langen schwarzen Umhang und spitze purpurne Stiefel.
Unter dem Arm trug er einen limonengrünen Hut.
„Das ist Dads Chef!", hauchte Ron. „Cornelius Fudge, der Minister für Zauberei!"
Harry und ich stupsten Ron mit dem Ellbogen, damit er schwieg.
Hagrid war bleich geworden und schwitzte.
Er ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen und sah abwechselnd Dumbledore und Cornelius Fudge an.
„Üble Geschichte.", sagte Fudge knapp. „Ganz, ganz üble Geschichte. Musste kommen. Vier Angriffe auf Muggelstämmige. Die Sache ist aus dem Ruder gelaufen. Das Ministerium muss handeln."
„Ich hab niemals.", begann Hagrid und sah Dumbledore flehend an. „Sie wissen, Professor Dumbledore, Sir, ich hab nie -"
„Ich möchte klarstellen, Cornelius, dass Hagrid mein volles Vertrauen genießt.", sagte Dumbledore und sah Fudge missmutig an.
„Sehen Sie, Albus.", sagte Fudge gequält. „Hagrid's Akte spricht gegen ihn. Das Ministerium muss etwas unternehmen - die Schulräte haben sich ins Vernehmen gesetzt -"
„Ich sage Ihnen noch mal, Cornelius, wenn Sie Hagrid mitnehmen, wird uns das keinen Schritt weiterbringen.", sagte Dumbledore.
In seinen Augen brannte ein Feuer, dass ich noch nie gesehen hatte.
„Sehen Sie es doch mal von meinem Standpunkt.", sagte Fudge und fummelte an seinem Hut. „Ich stehe mächtig unter Druck. Man erwartet von mir, dass ich handle. Wen sich herausstellt, dass Hagrid unschuldig ist, kommt er zurück und die Sache ist erledigt. Aber ich muss ihn mitnehmen. Geht nicht anders. Täte sonst nicht meine Pflicht -"
„Mich mitnehmen?", fragte Hagrid und erschauerte. „Wohin mitnehmen?"
„Nur für kurze Zeit.", sagte Fudge und wich Hagrid's Blick aus. „Keine Strafe, Hagrid, eher eine Vorsichtsmaßnahme. Wenn jemand anders erwischt wird, kommen Sie mit einer offiziellen Entschuldigung raus -"
„Nicht Askaban?", krächzte Hagrid.
Bevor Fudge antworten konnte, pochte es erneut laut an der Tür.
Dumbledore öffnete.
Nun fing sich Harry einen Stoß in die Rippen ein, denn er japste laut und vernehmlich.
Mr. Lucius Malfoy betrat Hagrid's Hütte, gehüllt in einen langen schwarzen Reiseumhang, mit einem kalten und zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht.
Fang begann zu knurren.
„Schon hier, Fudge.", sagte er anerkennend. „Sehr schön..."
„Was haben Sie hier zu suchen?", rief Hagrid wutentbrannt. „Raus aus meinem Haus!"
„Guter Mann, bitte seien Sie versichert, es ist mir kein Vergnügen, in Ihrem - ähm - Sie nennen es Haus - zu sein.", sagte Lucius Malfoy und sah sich verächtlich in der kleinen Hütte um. „Ich habe in der Schule vorbeigeschaut und man hat mir gesagt, der Schulleiter sei hier."
„Und was genau wollen Sie von mir, Lucius?", fragte Dumbledore.
Er sprach sehr höflich, doch immer noch loderte das Feuer in seinen Augen.
Schreckliche Angelegenheit, Dumbledore.", sagte Mr. Malfoy lässig und zog eine lange Pergamentrolle hervor. „Aber die Schulräte sind der Auffassung, es sei an der Zeit, dass Sie einem andern Platz machen. Laut dieser Anordnung hier werden Sie vorläufig beurlaubt - Sie finden alle 12 Unterschriften unter diesem Dokument. Ich fürchte, wir sind der Meinung, dass Sie die Sache nicht mehr im Griff haben. Wie viele Angriffe gab es bisher? Zwei neue heute Nachmittag, nicht wahr? Wenn es so weitergeht, gibt es bald keine Muggelstämmigen mehr in Hogwarts und wir alle wissen, welch schlimmer Verlust das für die Schule wäre."
Aber ohne Dumbledore sind die Muggelstämmigen noch weniger geschützt.
Das kann doch nicht sein.
„Oh, nun aber immer mit der Ruhe, Lucius.", sagte Fudge nervös. „Dumbledore beurlauben - nein, nein - das ist das Letzte, was wir jetzt wollen -"
„Die Ernennung - oder Entlassung - eines Schulleiters ist Aufgabe der Schulräte, Fudge.", sagte Mr. Malfoy beiläufig. „Und da es Dumbledore nicht gelungen ist, diese Angriffe zu stoppen -"
„Hören Sie mal, Malfoy, wenn Dumbledore nichts dagegen ausrichten kann -", sagte Fudge mit schweißnasser Oberlippe, „ - wer soll es dann schaffen?"
„Das werden wir sehen.", sagte Mr. Malfoy gehässig. „Doch da wir alle zwölf abgestimmt haben -"
Hagrid sprang auf und sein zottiger schwarzer Kopf streifte die Decke.
„Und wie viele musste Sie bedrohen und erpressen, bevor sie zugestimmt haben, Malfoy, eh?", polterte er los.
„Mein guter Mann, wissen Sie, Ihr Temperament wird Sie eines Tages noch in Schwierigkeiten bringen, Hagrid.", meinte Mr. Malfoy. „Ich würde Ihnen raten, die Wachen in Askaban nicht dermaßen anzuschreien. Die mögen das gar nicht."
„Sie können Dumbledore nicht entlassen!", rief Hagrid und Fang, der Saurüde, kauerte sich in seinem Korb zusammen und wimmerte. „Wenn Sie ihn entlassen, haben die Muggelkinder keine Chance! Das nächste Mal werde sie umgebracht!"
„Beruhige dich, Hagrid.", sagte Dumbledore barsch.
Er sah Lucius Malfoy an.
„Wenn die Schulräte mich aus dem Weg haben wollen, Lucius, werde ich natürlich zurücktreten -"
„Aber -", stammelte Fudge.
Nein!", knurrte Hagrid.
Dumbledores hellblaue Augen blickten unverwandt in die kalten grauen Augen Mr. Malfoy's.
„Allerdings", sagte Dumbledore, sehr langsam und deutlich sprechend, so dass keinem ein Wort entging, „allerdings werden Sie feststellen, dass ich diese Schule erst dann endgültig verlasse, wenn mir hier keiner mehr die Treue hält. Und wer immer in Hogwarts um Hilfe bittet, wird sie auch bekommen."
Eine Sekunde lang war ich mir fast sicher, dass Dumbledores Augen in die Ecke herüberflackerten, in der Harry, Ron und ich uns versteckt hatten.
„Bewundernswerte Gefühle.", sagte Mr. Malfoy und verneigte sich. „Wir werden alle Ihre - ähm - höchst eigenwillige Art vermissen, die Schule zu leiten, Albus, und hoffen nur, dass Ihr Nachfolger es schaffen wird - äh - Morde zu verhindern."
Er schritt zur Tür, öffnete sie und verbeugte sich, als Dumbledore hinausging.
Fudge, an seinem Hut herumfummelnd, wartete darauf, dass Hagrid vorgehen würde, doch Hagrid rührte sich nicht vom Fleck und sagte deutlich vernehmbar: „Wenn jemand etwas herausfinden will, muss er nur den Spinnen folgen. Die bringen ihn auf die Spur! Das ist alles, was ich zu sagen habe."
Verdattert starrte ihn Fudge an.
„Schon gut, ich komme.", sagte Hagrid und zog seinen Maulwurfsmantel an.
Doch im Hinausgehen hielt er noch einmal inne und sagte laut: „Und jemand muss Fang füttern, während ich weg bin."
Die Tür schlug zu und Ron zog den Tarnumhang aus.
„Jetzt sitzen wir in der Tinte.", sagte er heiser. „Kein Dumbledore mehr. Da sollten sie die Schule lieber heute Nacht noch schließen. Wenn er auch nur einen Tag weg ist, gibt es einen neuen Angriff."
Fang begann heulend an der geschlossenen Tür zu kratzen.

Luna Black 2 - Harry PotterWhere stories live. Discover now