Kapitel 19 ✔️

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L U N A

Seit der unrühmlichen Geschichte mit den Wichteln hatte Professor Lockhart keine lebenden Geschöpfe mehr in den Unterricht gebracht.
Stattdessen las er uns aus seinem Buch vor und manchmal spielte er einige der dramatischen Geschehnisse daraus nach.
Für die Aufführungen bat er meist Harry um Hilfe.
So hatte er ihn schon genötigt, einen einfachen Dörfler aus Transsylvanien zu spielen, den Lockhart von einem Babbelfluch geheilt hatte, einen Yeti mit einem Schnupfen und einen Vampir, der, seit Lockhart sich ihn zur Brust genommen hatte, nichts mehr außer Kopfsalat essen konnte.
Auch in der nächsten Stunde Verteidigung gegen die dunklen Künste holte Lockhart Harry vor die Klasse und diesmal musste er einen Werwolf spielen.
Ich glaube, Harry hätte sich am liebsten geweigert.
„Ein schönes lautes Heulen, Harry - genau - und dann, stellt euch vor, stürze ich mich auf ihn - wie jetzt - und drück ihn zu Boden - so - mit der einen Hand halte ich ihn unten - mit der andern steche ich den Zauberstab gegen seine Kehle - dann nehme ich meine letzten Kräfte zusammen und führe den immens komplizierten Homorphus-Zauber aus - der Werwolf fiept jämmerlich - weiter, Harry - noch höher - gut - der Pelz verschwindet - die Reißzähne schrumpfen - und er verwandelt sich zurück in einen Menschen. Einfach, aber wirksam. Und noch ein Dorf wird meiner auf ewig gedenken als jenes Helden, der es von den Schrecken der allmonatlichen Werwolfangriffe erlöst hat."
Die Glocke läutete.
Lockhart warf sich in die Brust.
„Hausaufgaben: Schreibt ein Gedicht über meinen Sieg über den Wagga Wagga Werwolf! Mein Buch Magisches Ich mit Autogramm als Belohnung für das beste Gedicht!"
Okay, wenn der weiter glaubt, er kann Werwölfe besiegen haue ich ihm eine rein.
Das Klassenzimmer begann sich zu leeren.
Harry ging nach hinten, wo Ron, Mine und ich auf ihn warteten.
„Fertig?", wisperte Harry.
„Warte, bis alle draußen sind.", sagte Mine nervös. „So, jetzt..."
Ein Blatt Papier zwischen die Finger gepresst ging sie nach vorn zu Lockhart's Tisch.
Harry, Ron und ich folgten ihr auf den Fersen.
„Ähm - Professor Lockhart?", stammelte Mine. „Ich möchte gerne - dieses Buch - aus der Bibliothek haben. Nur zur Hintergrundlektüre."
Mit ein wenig zittriger Hand zeigte sie ihm das Blatt.
„Das Problem ist nur, es steht in der Verbotenen Abteilung, also brauche ich einen Lehrer, der mir diese Erlaubnis unterschreibt - ich bin sicher, es hilft mir zu verstehen, was Sie in Gammeln mit Ghulen über langsam wirkende Gifte sagen -"
„Ah, Gammeln mit Ghulen!", sagte Lockhart und griff mit einem breiten Lächeln nach Mine's Blatt. „Vielleicht mein Lieblingsbuch. Hat es Ihnen gefallen?"
„Oh ja.", sagte Mine respektvoll. „So schlau, wie Sie diesen letzten mit dem Teesieb gefangen haben -"
„Nun, sicher wird niemand etwas dagegen haben, wenn ich meiner besten Schülerin in diesem Jahr noch ein wenig weiterhelfe.", sagte Lockhart herzlich und zückte einen riesigen Pfauenfederhalter. „Ja, hübsch, nicht wahr?", sagte er, Ron's empörtem Blick missdeutend. „Ich benutze ihn normalerweise nur, um Bücher zu signieren."
Er malte eine riesigen, verschlungenen Namenszug aufs Papier und reichte es Mine zurück.
„So, Harry.", sagte Lockhart, während Mine das Blatt mit fahriger Hand zusammenfaltete und es in die Tasche gleiten ließ. „Morgen ist das erste Quidditch-Spiel der Saison? Gryffindor gegen Slytherin? Wie ich höre, sind Sie ein brauchbarer Spieler. Auch ich war mal Sucher. Man hat mich gebeten, in der Nationalmannschaft zu spielen, doch ich zog es vor, mein Leben der Auslöschung der dunklen Kräfte zu widmen. Trotzdem, wenn Sie je das Bedürfnis nach ein wenig Einzeltraining haben, zögern Sie nicht zu fragen. Bin immer gern bereit meine Erfahrung an weniger gute Spieler  weiterzugeben..."
Harry gab einen undeutlichen Kehllaut von sich und hastete dann Ron, Mine und mir nach.
„Ich fass es nicht.", sagte er, als wir vier uns die Unterschrift auf dem Papier ansahen. „Er hat nicht mal nachgesehen, welches Buch wir wollen."
„Er ist eben ein hirnloser Aufschneider.", sagte ich. „Aber was soll's, wir haben, was wir brauchen -"
„Er ist kein hirnloser Aufschneider.", meinte Mine schrill und im Laufschritt machten wir uns auf den Weg in die Bibliothek.
Ich hob abwehrend die Hände in die Luft.
„Nur weil er gesagt hat, dass du dieses Jahr die beste Schülerin bist -" das kam jetzt von Ron.
Wir senkten die Stimmen und traten in die Stille der Bibliothek.
Madame Pince, die Bibliothekarin, war eine dürre, reizbare Gestalt, die aussah wie ein unterernährter Geier.
Höchst potente Zaubertränke?", wiederholte sie misstrauisch und wollte Mine das Blatt aus der Hand ziehen, doch Mine ließ nicht los.
„Ich würd es so gerne behalten.", hauchte sie.
„Ach, komm schon.", sagte Ron.
Er zerrte ihr das Papier aus der Hand und klatschte es Madame Pince hin.
„Wir holen dir noch ein Autogramm, Lockhart unterschreibt ja alles, wenn es lang genug still steht."
Madame Pince hielt das Blatt hoch gegen das Licht, als wäre sie entschlossen, eine Fälschung aufzuspüren, doch es hielt ihrer Prüfung stand.
Sie stakste davon und verschwand zwischen den hohen Regalen.
Ein paar Minuten später kehrte sie mit einem großen, schimmlig aussehenden Buch zurück.
Mine steckte es vorsichtig in die Tasche und während wir die Bibliothek verließen, achteten wir sorgfältig darauf, nicht allzu schnell zu gehen oder zu schuldbewusst dreinzuschauen.
Fünf Minuten später hatten wir uns wieder im kaputtem Klo der Maulenden Myrte verschanzt.
Mine hatte sich gegen Ron's Einwände durchgesetzt und darauf hingewiesen, dass dies der letzte Ort sei, den jemand aufsuchen würde, der noch alle Tassen im Schrank hatte.
Hier würden wir jedenfalls nicht gestört werden.
Die Maulende Myrte weinte geräuschvoll in ihrer Kabine, doch wir beachteten sie nicht und Myrte tat es uns gleich.
Vorsichtig schlugen Mine und ich Höchst potente Zaubertränke auf und wir vier beugten uns über die stockfleckigen Seiten.
Ein Blick sagte uns, warum es in die verbotene Abteilung gehörte.
Einige der Zaubertränke hatten derart gruselige Wirkungen, dass wir es uns lieber nicht ausmalten und es gab einige gräuliche Abbildungen, darunter ein Mann, dessen Inneres nach außen gekehrt war und eine Hexe, der etliche arme aus dem Kopf sprossen.
Alles kein schöner Anblick!
„Das ist es.", sagte Mine aufgeregt und deutete auf die Seite mit der Überschrift Der Vielsaft-Trank.
Bebildert war sie mit Zeichnungen von Menschen, die schon halb in andere Menschen verwandelt waren.
Ich hoffte inständig, dass der Ausdruck heftiger Schmerzen auf ihren Gesichtern auf das Konto der Künstlerphantasie ging.
Ich glaube zwar immer noch nicht, dass Draco »angeblich« der Erbe sein soll, aber aus Freundschaftlichen Gründen mache ich mit.
„Das ist der komplizierteste Trank, von dem ich je gehört hab.", sagte Mine, während wir beide das Rezept überflogen.
„Florfliegen, Blutegel, Flussgras und Knöterich.", murmelte ich und fuhr mit dem Finger über die Zutatenliste. „Nun gut, das ist recht einfach, das ist im Vorratsschrank für die Schüler, da können wir uns bedienen... oh, seht mal, gemahlenes Horn eines Zweihorns - weiß nicht, wo wir das herkriegen sollen -, klein geschnittene Haut einer Baumschlange - auch das wird nicht einfach sein - und natürlich ein Stück von demjenigen, in den wir uns verwandeln wollen."
„Wie bitte?", sagte Ron schockiert. „Was meinst du damit, ein Stück von dem, in den wir uns verwandeln wollen? Ich trinke nichts mit Crabbe's Zehennägeln drin -"
Ich fuhr fort, als hätte ich nicht gehört.
„Darüber müssen wir uns jetzt noch keine Sorgen machen, weil wir diese Stückchen zuletzt reintun..."
Ron hatte es anscheinend die Sprache verschlagen.
Er wandte sich Harry zu, der jedoch ein anderes Problem hatte.
„Ist dir klar, wie viel wir stehlen müssen, Luna? Klein geschnittene Haut einer Baumschlange, dass ist bestimmt nicht im Schülerschrank, was sollen wir tun, bei Snape einbrechen und seine privaten Vorräte klauen? Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist..."
Ich knallte das Buch zu.
„Nun, wenn ihr kalte Füße kriegt, schön.", sagte Mine.
Lila Flecken waren auf ihren Wangen erschienen und ihre Augen waren ungewöhnlich hell.
„Ich will ja keine Regeln brechen, wisst ihr. Ich glaube, Schüler aus Muggelfamilien zu bedrohen ist viel schlimmer, als einen schwierigen Zaubertrank zu brauen. Aber wenn ihr nicht rausfinden wollt, ob es wirklich Malfoy ist, geh ich jetzt gleich zu Madame Pince und geb das Buch wieder zurück -"
„Hätte nie gedacht, dass ich den Tag erleben würde, an dem du uns dazu überredest, die Regeln zu brechen.", sagte Ron. „Na gut, wir machen mit. Aber keine Zehennägel, ist das klar?!"
„Wie lange brauchen wir eigentlich dafür?", fragte Harry.
Ich schlug das Buch wieder auf und Mine hatte wieder eine glückliche Miene.
„Na ja, wenn das Flussgras bei Vollmond gezupft werden muss und die Florfliegen 21 Tage schmoren müssen... würd ich schätzen, wenn wir alle Zutaten kriegen können, sind wir beide in einem Monat fertig.", antwortete ich.
„Ein Monat.", wiederholte Ron. „Bis dahin könnte Malfoy alle Schüler aus Muggelfamilien angreifen!"
Doch Mine's Augen verengten sich abermals bedrohlich und rasch erwiderte sie: „Aber einen besseren Plan haben wir nicht. Also, volle Kraft voraus, meine ich."
Ich schmunzelte und sah Ron belustigt an.
Mine sah nach, ob draußen vor dem Klo die Luft rein war und Ron brummte Harry zu: „Wir hätten viel weniger Scherereien, wenn du Malfoy morgen einfach vom Besen hauen könntest."

Luna Black 2 - Harry PotterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt