Kapitel 29 ✔️

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L U N A

Mine blieb mehrere Wochen im Krankenflügel.
Als die andern von den Weihnachtsferien zurückkamen, kochte die Gerüchteküche über, denn natürlich glaubten alle, sie wäre angegriffen worden.
Auffällig viele schlenderten am Krankenflügel entlang und versuchten einen Blick auf Mine zu erhaschen, so dass Madame Pomfrey ihren Vorhang wieder auspackte und ihn um Mine's Bett hängte, damit ihr die Schande erspart bleiben sollte, mit einem Fellgesicht gesehen zu werden.
Harry, Ron und ich gingen sie jeden Abend besuchen.
Und seit der Unterricht wieder begonnen hatte, brachten wir ihr Tag für Tag die Hausaufgaben mit.
„Wenn mir diese Schnurrhaare gewachsen wären, dann hätte ich mal eine Pause eingelegt.", sagte Ron eines Abends und legte einen Stapel Bücher auf Mine's Nachttisch.
„Red keinen Stuss, Ron, ich darf den Anschluss nicht verpassen.", erwiderte Mine barsch.
Ihre Stimmung hatte sich deutlich gebessert, seit alle Haare aus ihrem Gesicht verschwunden waren und ihre Augen sich allmählich wieder braun färbten.
„Ihr habt nicht etwa neue Spuren?", setzte sie flüsternd hinzu, damit Madame Pomfrey nichts hörte.
Apropos, ich habe die Jungs lange aufgezogen, weil ich schon gesagt hatte, dass Draco nicht der Erbe Slytherins ist.
Mine ließ ich in Ruhe, weil sie ja... na ja... ihr wisst schon...
„Nichts.", sagte Harry düster.
„Ich war mir so sicher, es sei Malfoy.", sagte Ron ungefähr zum hundertsten Mal.
„Ist er aber nicht, habe ich doch gesagt.", kicherte ich und Ron blickte mich genervt an.
„Was ist denn das?", fragte Harry und deutete auf etwas goldenes, das unter Mine's Kissen hervorlugte.
„Nur eine Gute-Besserung-Karte.", sagte Mine hastig und versuchte die Karte wegzustecken, doch Ron war schneller.
Er zog sie hervor, klappte sie auf und las laut: „An Miss Granger, der ich eine rasche Genesung wünsche, von ihrem besorgten Lehrer, Professor Gilderoy Lockhart, Orden der Merlin dritter Klasse, Ehrenmitglied der Liga zur Verteidigung gegen die dunklen Kräfte und fünfmaliger Gewinner des Charmantestes-Lächeln-Preises der Hexenwoche."
Ron sah angewidert zu Mine auf.
„Mit der Karte unter dem Kissen schläfst du?"
Doch Madame Pomfrey kam mit der abendlichen Dosis Arznei herübergewuselt und ersparte Mine die Antwort.
„Lockhart ist mit Abstand der größte Schleimer, den man sich vorstellen kann.", sagte Ron zu Harry und mir, als wir den Krankensaal verlassen hatten und die Treppe zum Gryffindor-Turm emporstiegen.
Snape hatte uns so viele Hausaufgaben aufgehalst, dass Harry - wie ich von ihm erfahren hab - meinte, er würde wohl erst im sechsten Schuljahr damit fertig werden.
Ron sagte gerade, er hätte Mine eigentlich fragen wollen, wie viele Rattenschwänze man in einen Haarsträubetrank mischen müsse, ich wollte auch gerade antworten, als wir aus dem Stockwerk über uns jemanden wutentbrannt schreien hörten.
„Das ist Filch.", murmelte Harry.
Wir rannten die Treppe hoch, gingen in Deckung und lauschten mit gespitzten Ohren.
„Du glaubst doch nicht etwas, es ist wieder jemand angegriffen worden?", fragte ich angespannt.
Wir standen reglos da, die Köpfe zu Filch's Stimme hin geneigt, die ausgesprochen hysterisch klang.
„ - noch mehr Arbeit für mich! Die ganze Nacht wischen, als ob ich nicht genug zu tun hätte! Nein, das bringt das Fass zum Überlaufen, ich geh zu Dumbledore -"
Seine Schritte wurden leiser, während er den Gang entlanglief und in der Ferne hörten wir eine Tür schlagen.
Wir steckten die Köpfe um die Ecke.
Filch hatte offenbar an der üblichen Stelle Wache gehalten: Wieder einmal waren wir an dem Ort, wo Mrs. Norris angegriffen worden war.
Wir sahen auf den ersten Blick, weshalb Filch getobt hatte.
Eine große Wasserlache bedeckte den halben Korridor und es sah so aus, als ob immer noch Wasser unter der Klotür der Maulenden Myrte hervorsickerte.
Nun, da Filch aufgehört hatte zu schimpfen, konnten wir Myrte's Klagen von den Klowänden widerhallen hören.
„Was ist denn bloß mit der schon wieder los?", fragte Ron.
„Lass uns nachsehen.", sagte ich.
Wir zogen die Umhänge über die Knöchel hoch und tapsten durch die große Wasserlache hinüber zur Tür mit dem „Defekt"-Schild, missachteten es wie üblich und traten ein.
Die Maulende Myrte weinte noch lauter und heftiger als sonst, falls das überhaupt möglich sein konnte.
Offenbar versteckte sie sich in ihrer üblichen Kabine.
Hier drin war es dunkel, denn die große Wasserflut, von der Wände und Boden pitschnass waren, hatte auch die Kerzen gelöscht.
„Was ist los, Myrte?", fragte Harry.
„Wer ist da?", schluchzte sie niedergeschlagen. „Willst du noch etwas auf mich werfen?"
Harry watete hinüber zu ihrer Tür und sagte:
„Warum sollte ich dich mit etwas bewerfen?"
„Frag mich nicht.", rief Myrte und tauchte auf, wobei noch eine Wasserwelle auf den schon klitschnassen Boden schwappte. „Da bin ich und kümmere mich um meine eigenen Angelegenheiten und irgendjemand hält es für witzig, ein Buch nach mir zu schmeißen..."
„Aber es kann dir doch nicht wehtun, wenn jemand dich trifft.", sagte Harry beschwichtigend. „Ich meine, es würde einfach durchfliegen, oder?"
Er hatte etwas falsches gesagt.
Myrte plusterte sich auf und kreischte: „Lasst uns allesamt Bücher auf Myrte werden, denn sie spürt es ja nicht! Zehn Punkte, wenn ihr eins durch den Magen kriegt! Fünfzig Punkte, wenn es durch den Kopf geht! Schön, hahaha! Was für ein wunderbares Spiel - finde ich gar nicht!"
„Wo wir schon dabei sind - wer war es eigentlich?", fragte Harry.
Ich weiß es nicht... Ich saß im Abflussrohr und dachte über den Tod nach und es fiel direkt durch meinen Kopf.", sagte Myrte und starrte uns böse an. „Da drüben ist es, es ist ganz nass geworden..."
Harry, Ron und ich sahen unter dem Waschbecken nach, auf das Myrte deutete.
Dort lag ein kleines, dünnes Buch.
Es hatte einen schäbigen schwarzen Einband und war nass wie alles andere im Klo.
Es sieht aus wie ein Tagebuch oder ein Taschenkalender.
Harry trat vor, um es aufzuheben, doch Ron streckte jäh seinen seinen Arm aus, um ihn aufzuhalten.
„Was ist?", fragte Harry.
„Bist du verrückt geworden?", sagte Ron. „Es könnte gefährlich sein."
Gefährlich?", sagte Harry und lachte auf.
„Weshalb sollte es gefährlich sein?", fragte ich.
„Ihr würdet Augen machen.", meinte Ron, der das Buch misstrauisch beäugte. „Manche der Bücher, die das Ministerium beschlagnahmt hat - Dad hat es mir erzählt - eines davon brannte einem die Augen aus. Und jeder, der Sonette eines Zauberers gelesen hatte, sprach für den Rest seines Lebens in Limericks. Und eine alte Hexe in Bath hatte ein Buch, bei dem man nie aufhören konnte zu lesen! Man musste mit der Nase drin herumlaufen und versuchen alles mit einer Hand zu erledigen. Und -"
„Schon gut, wir haben's kapiert.", sagte Harry.
Das kleine Buch lag auf dem Boden, harmlos und durchweicht.
„Nun, wir kommen nicht weiter, wenn wir es uns nicht anschauen.", sagte er, duckte sich unter Ron's Arm hindurch und hob das Buch auf.
Ich sah sofort, dass es sich um einen Taschenkalender handelte und die ausgebleichte Jahreszahl auf dem Umschlag sagte mir, dass er fünfzig Jahre alt war.
Neugierig schlug Harry das Buch auf.
Auf der ersten Seite konnte ich nur den Namen „T. V. Riddle" in verkleckerter Tintenschrift erkennen.
„Wart mal.", sagte Ron, der sich vorsichtig genähert hatte und über Harry's Schulter sah. „Den Namen kenn ich doch gut... T. V. Riddle hat vor fünfzig Jahren eine Auszeichnung für besondere Verdienste um die Schule erhalten."
„Woher zum Teufel weißt du das?", fragte ich verblüfft.
„Filch hat mich bei den Strafarbeiten die Medaille ungefähr hundert Mal polieren lassen.", sagte Ron gereizt. „Das war die Medaille, über die ich eine Ladung Schnecken gespuckt habe. Wenn du eine Stunde lang Schleim von einem Namen gewischt hättest, dann würdest du dich auch an ihn erinnern."
Harry schälte die nassen Seiten auseinander.
Sie waren vollkommen leer.
Nicht die geringste Spur einer Eintragung war auf ihnen zu entdecke, nicht einmal „Tante Mabels Geburtstag" oder „Zahnarzt, halb vier".
„Er hat ihn nicht benutzt.", sagte Harry enttäuscht.
„Ich frag mich, warum es dann jemand ins Klo spülen wollte?", sagte Ron verwundert.
Harry drehte das Buch um und ich sah auf der Rückseite den Namen eines Zeitungshändler in der Londoner Vauxhall Road.
„Er muss aus einer Muggelfamilie stammen.", sagte ich nachdenklich.
„Wenn er einen Kalender in der Vauxhall Road gekauft hat...", stimmte Harry mir zu.
„Tja, das nützt dir nicht viel.", sagte Ron.
Er senkte die Stimme.
„Fünfzig Punkte, wenn du es durch Myrte's Nase kriegst."
Harry jedoch steckte es in die Tasche und ich gab Ron einen Klaps auf den Hinterkopf.

Mine konnte Ende Januar den Krankenflügel verlassen.
Sie war ihre Schnurrhaare, ihr Fell und ihren Schwanz los.
Am ersten Abend im Gryffindor-Turm zeigte Harry ihr T. V. Riddle's Taschenkalender und erzählte, wie wir ihn gefunden hatten.
„Oooh, er könnte verborgene Kräfte besitzen.", sagte Mine begeistert.
Sie nahm den Kalender in die Hand und musterte ihn genau.
„Wenn er welche hat, dann verbirgt er sie ganz gut.", sagte Ron. „Vielleicht ist er schüchtern. Ich weiß nicht, warum du ihn nicht wegwirfst."
„Ich würde zu gern wissen, warum jemand versucht hat, ihn loszuwerden.", sagte Harry. „Und ich hätte auch nichts dagegen, wenn ich wüsste, für welche besonderen Verdienste um Hogwarts Riddle seine Auszeichnung bekommen hat."
„Könnte alles mögliche gewesen sein.", sagte Ron. „Vielleicht hatte er den dreißigsten ZAG geschafft oder einen Lehrer vor einem Riesenkraken gerettet. Vielleicht hat er Myrte umgebracht, da hätte er allen einen gefallen getan..."
„Was ist?", fragte ich und sah die beiden abwechselnd an.
„Nun, die Kammer des Schreckens wurde vor fünfzig Jahren geöffnet, oder?", sagte Harry. „Das hat Malfoy gesagt."
„Jaa...", sagte Ron langsam.
„Und dieser Kalender ist fünfzig Jahre alt.", sagte Mine, aufgeregt mit den Fingern darauf trommelnd.
Jetzt ging bei mir auch ein Licht auf.
Ohhhh!
„Na und?"
„Ach, Ron, wach auf.", seufzte ich. „Wir wissen, dass die Person, die die Kammer das letzte Mal geöffnet hat, vor fünfzig Jahren von der Schule verwiesen wurde. Wir wissen, dass T. V. Riddle seine Auszeichnung für besondere Verdienste um die Schule vor fünfzig Jahren bekommen hat. Nun, was wäre, wenn Riddle seine besondere Auszeichnung bekam, weil er den Erben von Slytherin gefangen hat?
Sein Kalender, als eine Art Tagebuch benutzt, würde uns wahrscheinlich alles sagen - wo die Kammer ist und wie man sie öffnet und was für eine Kreatur darin lebt -, die Person, die diesmal hinter den Angriffen steckt, würde so ein Buch lieber nicht hier rumliegen sehen, oder?"
„Das ist eine geniale Theorie, Luna", sagte Ron, „mit nur einem kleinen Fehler. In dem Buch steht nichts."
Doch Mine zog den Zauberstab aus der Tasche.
„Vielleicht ist es unsichtbare Tinte!", flüsterte sie.
Sie tippte dreimal sanft gegen den Kalender und sagte: „Aparecium!"
Nichts geschah.
Unverzagt griff Mine erneut in ihre Tasche und zog einen leuchtend roten Radiergummi hervor.
„Das ist ein Enthüller, hab ich in der Winkelgasse gekauft.", sagt sie.
Sie rubbelte kräftig über „Erster Januar".
Nichts geschah.
„Ich sag euch doch, dadrin ist nichts.", sagte Ron. „Riddle hat eben einen Kalender zu Weihnachten bekommen und hatte einfach keine Lust, darin zu schreiben."
Harry wollte unbedingt herausfinden, wer T. V. Riddle ist.
Also gingen wir in das Pokalzimmer, um uns seine Medaille anzusehen.
Riddle's blank polierte Goldmedaille war in einem Eckschrank verstaut.
Warum er sie bekommen hatte, stand nicht drauf („Besser ist's, denn sonst wäre sie noch größer gewesen und ich würd sie immer noch polieren.", sagte Ron).
Allerdings fanden wir Riddle's Namen darüber hinaus noch auf einer alten Medaille für Magische Meriten und auf einer Liste ehemaliger Schulsprecher.
„Klingt wie Percy.", sagte Ron und kräuselte angewidert die Nase. „Vertrauensschüler, Schulsprecher... wahrscheinlich immer Klassenbester -"
„Du hörst dich an...", begann ich.
„..., als ob das was Schlechtes wäre.", beendete Mine in leicht beleidigten Ton meinen Satz.

Luna Black 2 - Harry PotterWhere stories live. Discover now