Kapitel 20 - Wahrheit

563 36 1
                                    

Als ich wieder zu mir kam, wusste ich, dass ich nicht mehr lange zu leben hatte. Nur verschwommen nahm ich Eric wahr, der genüsslich aus einem Glas Blut trank. Der Geruch des roten Lebenselixiers machte mich schier wahnsinnig. In meinem Körper steckten bereits fünf Holzpflöcke und auch wenn jeder andere Vampir bereits längst tot gewesen wäre, wusste ich ganz genau, wie viel ich noch aushalten konnte. Aber der Geruch des Blutes direkt vor mir – ohne es erreichen zu können – quälte mich noch mehr.

„Wieso tötest du mich nicht einfach?", stöhnte ich leise, „Das war es doch, was du wolltest." Eric lachte laut auf. Hatte es schon immer so wahnsinnig geklungen? Meine Sicht wurde langsam wieder klarer, als der ältere Vampir sich direkt vor mich stellte und mir das Glas Blut unter die Nase hielt. Mit aller Kraft versuchte ich mich zu befreien, doch es reichte nicht, um die Holzpflöcke oder meinen Körper von der Wand weg zu bewegen.

„Dort oben stehen meine liebsten Bräute und warten nur darauf, dir auch noch den siebten Holzpflöck in deinen verdammten Körper zu schießen. Nützlich ... diese Vampirjäger mit ihren Waffen." Erics fauliger Atem drang an meine Nase und übertraf damit sogar den Geruch des frischen Blutes. Unwillkürlich wurde mir schlecht. Grinsend fuhr der Vampir mit seinen Fingern über meinen Bauch immer höher. Bei meinen Brüsten stoppte er kurz, bis er plötzlich mein Kinn umfasste und mich so zwang, direkt in seine Augen zu sehen.

„Es wäre nicht so weit gekommen, wenn du dich mir einfach hingegeben hättest", hauchte er mir ins Ohr, ehe er seine kalten Lippen auf meine presste. Blitzschnell biss ich hinein. Eric kümmerte das kaum. Es hatte mich wohl schon zu viel Kraft verlassen. Unbeeindruckt wischte er sich sein Blut vom Mund und presste einen der Holzpflöcke noch tiefer in meinen Körper. Ich konnte nicht anders als aufzuschreien.

„Und da kommt auch schon unser Ehrengast." Ich spüre einen Lufthauch, als auch schon Nik zusammen mit meinen Brüdern die Halle betraten. Ihre Blicke fielen sofort auf mich.

„Du...", knurrte der Urvampir, während er einen Schritt nach vorne machte. Eine unsichtbare Mauer brachte ihm zum Stillstand.

„Hexen", hörte ich Damon murmeln. Wieder lachte Eric auf.

„Lass unsere Schwester sofort frei", brüllte Stefan wutentbrannt. So hatte ich ihn noch nie gehört.

„Oh sieh mal einer an, Sam. Eine Familienzusammenführung, wie nett."

„Halts Maul", murmelte ich leise, was Eric dazu veranlasste, wieder auf den Holzpflock zu schlagen, der in meinem Bauch steckte. Ich schrie auf.

„Sei nicht so unhöflich, Sam. Wir haben doch Gäste."

„Nik, er will sich an dir rächen." Dafür kassierte ich einen Schlag mitten ins Gesicht, aber dafür hatte ich die Situation geklärt.

„Ich wusste doch, dass ich dich kenne. Du bist..."

„Ich war Roses Verlobter. Die Rose, die du zu einem Vampir gemacht hast. Die Rose, die mich dann getötet und mit diesem Trevor abgehauen ist. Wegen dir ist mein ganzes Dasein verflucht gewesen. Und jetzt... nehme ich dir auch das, was dir am meisten bedeutet." Eric nahm sich einen weiteren Holzpflock.

„Wenn du ihr auch nur ein weiteres Haar krümmst, werde ich dir jedes einzelne Glied an deinem Körper ausreißen und den Kopf werde ich mir für den Schluss aufheben, damit du merkst, wie sehr du leidest." Aus Niks Stimme sprach der pure Hass. Aber Eric ignorierte ihn einfach.

„Es waren sieben, oder Samantha? Sieben Holzpflöcke, bis dein Körper zerfällt... So wie es bei Jack fünf waren. Aber ihn haben sie auch nicht so hart rangenommen, oder?" Ich blickte zu Boden.

„Was meint er damit?" Damons Stimme erklang als erstes.

„Sie wissen es nicht?! Wie niedlich, kleine Sam. Hast du ihnen nicht erzählt, wo du die letzten hundert Jahre gewesen bist?"

„Wehe...", mehr bekam ich nicht heraus, denn Eric sprach schon weiter. Auf diesen Moment hatte er wohl gewartet.

„Weißt du, Niklaus. Die Zeit, in der du Sam aufgegeben und geglaubt hast, sie wäre mit Jack irgendwo glücklich, ist sie ununterbrochen gefoltert worden. Erschossen, erstochen, ertränkt, gehängt, gebissen..."

„Was sagt er da, Sam?" Niks Stimme drang an mein Ohr. Kraftlos hob ich den Kopf. Der Blutverlust und Erics Erzählungen raubten mir die letzten Kräfte.

„Ich hätte dich nie verlassen...", gestand ich.

„Nein. Sie hat sich für dich geopfert, mein Lieber." Eric schrie fast. „Während du auf deiner Suche nach Katherina warst, kamen die Jäger aus Mystic Falls zu eurer Villa am Meer. Jack hat der lieben Kira alles verraten. Sie erkannten Samantha natürlich sofort und ehe sie davon rennen konnte, hatten sie sie schon so mit Eisenkraut vollgepumpt, dass sie sich nicht mehr rühren konnte. Dann wollten sie dich, Klaus. Aber du warst nicht da und keiner unter ihnen hatte dich je gesehen. Sie hatten nur eine Beschreibung von dir. Eine vage Beschreibung, die auch auf Jack hätte zutreffen können. Auch er hat sich – wohl eher Sam zuliebe, als für dich – geopfert. Und während du zum Anwesen zurückkamst und glaubtest, deine Liebste hätte dich für einen anderen verlassen, wurde sie zurück zu ihrem Onkel gebracht."

„Das ist nicht wahr!", brüllte Nik wütend, „Du lügst."

„Es ist wahr", murmelte ich, während ich versuchte, die Schmerzen, die durch meinen Körper zogen, zu ignorieren, „Onkel Lucas hatte doch nur auf so etwas gewartet. Woher meint ihr, wissen die Menschen darüber Bescheid, wie Eisenkraut und Holz auf uns wirkt? Sie haben es ausprobiert. Sie haben Jack und mich und noch einige andere eingesperrt und Generation um Generation an uns experimentiert. Nur die Gnade des Todes, die haben sie uns nicht gewährt." Den letzten Satz flüsterte ich nur noch. Tränen benetzten meine Wangen, als ich daran zurück dachte, wie mir Tag für Tag die Pflöcke in den Körper gerammt wurden, bis ich nicht mehr davon ohnmächtig und mein Körper davon nicht mehr grau wurde. Wie ich mit Sonnenlicht immer und immer wieder verbrannt wurde, bis es nicht mehr so schmerzte, nur um dann noch mehr davon ausgesetzt zu werden. Wie die Wölfe zu mir gelassen wurden, nur um mich danach mit künstlich nacherzeugtem Urvampirblut zu heilen.

„Deshalb hast du uns alle so gehasst." Stefan traf die Erkenntnis als ersten. Natürlich. „Niemand hat dich gerettet. Niemand von uns und dabei sollten wir es eigentlich sein, nicht wahr? Die großen Brüder und die unsterbliche Liebe." Ich nickte nur. Schämte mich beinahe für diese Gedanken. Ich sah zu Nik, der meinen Blick erwiderte. In ihm lag Trauer, Erkenntnis und unfassbare Wut. Ich wollte lächeln und ihm sagen, dass das alles der Vergangenheit angehörte, aber ich konnte es nicht. Ich war so müde. Erics Lachen hallte durch den Raum.

„Und nun... wo das geklärt ist..." Der alte Vampir trat auf mich zu und setzte zum finalen Schlag an, als er plötzlich zur Seite gewirbelt wurde. Ein Holzpflock steckte in seinem Oberarm.

„Nächstes Mal treffe ich besser." Jeremy war hinter meinen Brüdern aufgetaucht. Hinter ihm stand Bonnie, die mit geschlossenen Augen einen Zauber murmelte. Neben ihr waren Elena und Caroline.

„Was...", knurrte Eric und sprang auf.

„Jetzt!" Bonnie riss die Augen auf und sofort schnellten alle Vampire los. Nik erreichte Eric als erster und rammte ihm seine Hand in die Brust. Erschrocken und ängstlich blickte dieser ihn an. Im Endeffekt hatte dieser Bastard wohl doch Angst um sein Leben. Ein lautes Kreischen ertönte. Meine Brüder waren auf die obere Tribüne gestürmt, um die Bräute zu Bräute zu töten. Elena und Caroline standen währenddessen hinter Klaus.

„Helft Sam. Der gehört mir", knurrte der Urvampir wütend, als Erics ängstliches Gesicht plötzlich einem grinsenden wich.

„Kira, jetzt!" Ich sah sie sofort. Die junge Vampirin stand mir genau gegenüber am Eingang der Halle neben dem bewusstlosen Jeremy. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Sie war nicht tot. War nie tot gewesen. Sie vergötterte Eric viel zu sehr und nun hatte sie dafür sogar Jack aufgegeben. Wenn sie ihn überhaupt jemals geliebt hatte. In Kiras Hand befand sich eine Armbrust. Ich erkannte diese Waffe. Wir hatten sie vor einiger Zeit einem übereifrigen Vampirjäger abgenommen, der sie wohl auch entwickelt hatte. Sie funktionierte wie eine Maschinenpistole und schoss über zehn Pfähle innerhalb einer Sekunde ab.

„Byebye." Lächelnd betätigte Kira die Armbrust und das letzte was ich sah, waren hunderten von Pfählen, die in einer unglaublichen Geschwindigkeit auf meinen Körper zu sausten. Und meine Freunde waren – selbst als Vampire – zu weit weg, um mich jetzt noch retten zu können. Blitzschnell drehte ich mich noch zu Nik, der Erics Herz in der Hand hielt.

„Ich liebe dich."

Never forget the past... (VampireDiaries - FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt