Dilara - Der Donnergrat

12 2 1
                                    

Dilara versuchte, schneller zu rennen. Aber nachts im Wald war an Rennen nicht zu denken. Sie stolperte über Wurzeln, musste sich unter Äste hindurchducken und rutschte bei jedem zweiten Schritt aus. Ihr Herz schlug so schnell, dass sie nicht hören konnte, wo ihr Verfolger war. Jeden Moment mussten seine Finger nach ihr greifen...

Plötzlich entdeckte sie ein Licht. Da! Da war ein Weg! Ohne zu zögern, sprang sie aus dem Wald hinaus - und prallte gegen kaltes Metall.

Die Schritte hinter ihr verstummten prompt. Dann hörte sie, wie der Mann im Wald hastig umdrehte und davonrannte. Seine Schritte entfernten sich.

Dilara hob langsam den Blick. Beinahe wäre ihr ein Schrei entfahren. Sie war vom Regen in die Traufe geraten. Dort, direkt vor ihr, stand ein Wachmann in Rüstung.


Sie bemühte sich, zu Boden zu blicken wie eine Dienstmagd, wenn sie angerempelt wurde. "Entschuldige", murmelte sie.

"Was treibst du hier draußen, mitten in der Nacht, Mädchen?", schnauzte der Reiter sie an. Er packte sie am Arm. "Warum  bist du so nass?"

Die Prinzessin versuchte, möglichst verzweifelt und schwach zu klingen. Was ihr nicht besonders schwer fiel, so wie sie sich fühlte. 

"Ein Mann... er... er hat mich in den Fluss geworfen!", wimmerte sie mit übertrieben zitternder Stimme. "Er... er wollte..."

"Lass mich mit deinem Gejammer in Frieden und geh weiter!", befahl der Reiter grob und schob sie von sich weg. Dilara blickte ihn ungläubig an. Zorn wallte in ihr auf. Was war das denn für ein Benehmen? So etwas hatte sie noch nie erlebt...

"Was...", begann sie.

Als auf einmal eine Hand sich um ihr Handgelenk schloss, fuhr sie heftig zusammen. "Pssst!", flüsterte Le neben ihrem Ohr. "Sei jetzt ja still!"

"Verzeiht, mein Herr!", murmelte er, ein wenig lauter. "Meine Schwester ist in den Wald gegangen, um Kräuter für unsere Mutter zu pflücken. Sie liegt im Sterben..."

"Im Sterben oder nicht, kehrt in eure Häuser zurück!"

Der Wachmann zog sein Schwert aus der Scheide und hielt es Le direkt an die Kehle. "Wenn ich euch heute Nacht noch einmal hier draußen erwische..."

Le senkte den Blick so tief er konnte und nickte. Dann liefen sie eilig in Richtung Dörfer weiter.

"Was bildet er sich eigentlich ein?", flüsterte Dilara. Vor Zorn bebte ihre Stimme. "Diesen Mann, den hätte er bedrohen sollen!" Vor Entsetzen über das Verhalten des Wachmanns blieb ihr beinahe die Stimme weg. Aber eben nur beinahe. "So ein rüpelhafter..."

"Sei still!", fuhr Le sie an. "Wenn er uns hört, merkt er, dass wir nicht ins Dorf gegangen sind! Und das wär unser Ende! Wir brauchen ein gutes Versteck. Ich kenne eins hier in der Nähe. Aber wer weiß, ob das noch steht..."

Dilara hoffte sehr, dass es noch stand. 


Und es stand noch. Allerdings hätte sie nicht damit gerechnet, dass Le ausgerechnet eine Bärenhöhle meinte. Eine, die noch dazu bewohnt war...

"Ist das dein Ernst?"

"Sei leise! Weck ihn bloß nicht! Leg dich hin und gib Ruhe!"

"Aber..."

"Das hier ist das sicherste Versteck der ganzen Umgebung. Hier würden die Wachen nie herkommen. Und trocken ist es auch hier."

Ja, und aus gutem Grund!

"Was, wenn er am Morgen vor uns wach wird?"

"Er wird nicht wach. Er hält Winterschlaf."

Dilara betrachtete das schlafende Tier. Nur sein in Schatten getauchtes Fell war zu sehen. Aber das Biest war so riesig, dass sein Körper die halbe Höhle füllte (natürlich nicht zu vergleichen mit einem ausgewachsenem Baumbär aus dem Wald, aber von denen wusste Dilara nichts).

Die Legende der Nachtigall 2 - Das Vermächtnis der ZwergeDär berättelser lever. Upptäck nu