Mavie - Die Rückkehr

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Während sie sich in der gemütlichen kleinen Hütte vor dem Wald verborgen hatten, war der Herbst mit aller Gewalt über den Wald hereingebrochen. Es war eisig kalt draußen, besonders nachts und besonders, wenn man auf dem Boden schlief. 

Schwarzer Regen lief in Strömen die Baumstämme herab. Die Blätter, die sie vor den Tropfen hätten schützen können, lagen zu großen Teilen in einer dicken, matschigen braunen Schicht über den Boden verstreut. 

Sobald sie den finsteren, murmelnden Wald verlassen hatten, wurde der Himmel mit einem Mal ungewöhnlich hell. Das dichte Geäst schirmte immer noch viel Licht ab. Aber Mavie, Luan und die Zwerge, die für so lange Zeit in der Finsternis gelebt hatten, mussten anfangs ihre Augen abschirmen, damit sie nicht geblendet wurden. 

Mavie mochte nichts an diesem Herbstwetter. Sie fühlte sich ungeschützt ohne das Dach der Blätter. Hin und wieder ertappte sie auch Luan, wie er unauffällig nach oben spähte oder die Äste absuchte. Ihn plagte die selbe Sorge.

Regen, Sturm und Kälte setzten ihnen sehr zu. Sie alle plagte ein starker Schnupfen, aber die Zwerge mit ihren alten Knochen trag eine ausgewachsene Grippe. Doch es blieb ihnen nichts übrig, als weiterzulaufen. Denn es gab keinen warmen Fleck am Boden, auf dem man sich hätte ausruhen können.


Die Zwerge führten sie durch ganz andere Gegenden als sie auf ihrem Hinweg durchwandert hatten. Obwohl sie hin und wieder nicht mehr weiter wussten, war der Wald ihren Füßen in den letzten hundert Jahren sehr vertraut geworden. 

"Das verbotene Reich der Nymphen!", murmelte Trix. "Das ist der letzte Weg, den man im Wald wählen sollte! Wenn wir es westlich umschreiten, kommen wir außerdem deutlich schneller voran.

Mavie warf Krächz auf ihrer Schulter einen Na-siehst-du!-Blick zu. Wahrscheinlich hatte er einfach über tausende Umwege ins Nirgendwo geführt. Aber im Prinzip konnte er ja nix dafür. Sie war selbst so dumm gewesen, einem Raben hinterherzulaufen. 

Krächz beachtete ihren herausfordernden Blick nicht. Er hatte sich vorhin eine Eichel geschnappt, mit der er nun herumspielte. 

"Was findest du nur an diesen Dingern?", murmelte Mavie.

Mavie fand, dass der Rabe sie langsamer machte. Die Last auf ihrer Schulter schien doppelt so groß zu sein wie auf dem Hinweg. Wie konnte so ein kleines Tier nur so schwer sein? Und es schien mit jedem Tag schlimmer zu werden.

Sie hastete keuchend hinter den Zwergen her, verärgert, dass der Vogel sie ausbremste. Als wären die Zwerge nicht schlimm genug. Jeden Morgen vergaß Trix, wo er seine Brille hingelegt hatte. Und Twix brauchte Stunden, bis sich seine Kleidung für ihn ordentlich genug anfühlte. Sie blieben mit ihren Füßen in morschen Baumstämmen stecken, stritten sich, wer mit der Nachtwache an der Reihe war (weil sie sich nie erinnern konnten, dass sie letzte Nacht gar nicht dran gewesen waren), diskutierten an jeder Gabelung über den Weg und blieben bei allen möglichen Pflanzen stehen, weil sie sich nicht mehr sicher waren, ob man etwas davon essen konnte. Die beiden hielten sie auf, wo immer sie hinkamen. Besonders nervte Mavie, dass sie immer stehen blieben, wenn sie etwas sagten. Aus irgendeinem Grund war es ihnen unmöglich, beim Reden gleichzeitig zu gehen. Mavie, die der Gedanke an Kenja und das warme Feuer von Windenbach antrieb, ging jedes Mal unruhig hin und her und wünschte sich, sie würden sich endlich wieder in Bewegung setzen. Luan kletterte dann meistens zum Spaß auf den kahlen Bäumen herum.

Trotzdem schien es ein Glück zu sein, dass sie die beiden dabei hatten. Nicht nur, weil sie den Weg kannten. Sondern auch, weil der Wald irgendwie Respekt vor ihnen zu haben schien. Oder zumindest ließ er sie relativ in Ruhe auf ihrer Reise. Nicht selten sahen sie ein wildes Raubtier durch die kahlen Äste huschen, dessen Blick ihren Schritten eine Weile folgte. Aber nie griff eines von ihnen an. 

Die Legende der Nachtigall 2 - Das Vermächtnis der ZwergeWhere stories live. Discover now