Mavie - Die Mistgabelschlacht

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Es waren nicht nur Windenbacher, die dort vor den Hütten standen. Eine große Menge Menschen hatten sich dort eingefunden. Als Mavie sich die Tränen von den Augen wischte und aus dem verschwommenen Anblick wieder ein klares Bild wurde, fiel ihr auf, dass es mehrere hunderte waren. Die Menschen aus allen Dörfern mussten sich hier versammelt haben.

Sie hatten nicht nur Windenbach verbrannt. Sie hatten jede Siedlung im ganzen Wald angezündet. Die Dörfler mussten hier zusammengeströmt sein, als sie alle bei den anderen Dörfern Hilfe gesucht hatten. Windenbach lag genau in der Mitte der Siedlungen.

Mavies erster Blick suchte nach Metall, nach Rüstungen in der Menge. Es waren keine zu sehen. Wahrscheinlich hatten sie sich heute morgen nach getaner Arbeit in den Wald zurückgezogen und die Dörfler in ihrem Elend alleine zurückgelassen.

Warum hatten sie das getan?

Mavies zweiter Blick verharrte etwas länger auf der Menge. Er verweilte auf jedem einzelnen Kopf. Bis sie schließlich einen breiten, stämmigen Jungen in der Menge entdeckte. Von seinem Gesicht war nicht viel zu sehen. Aber seine Axt hing schlaff an seiner Seite. An seine Hand klammerte sich ein kleiner Junge. Und neben ihm standen zwei vergleichsweise eher hagere Jungen sowie ein Mädchen mit zwei braunen Zöpfen. Sie lebten. Dem Adler sei Dank, sie lebten.

Mavie kämpfte sich den Hang nach oben. Sie hatte an Muskelkraft dazugewonnen in den letzten Wochen. Und trotzdem kam ihr der Gang dort hinauf schwerer vor als je zuvor. Der Boden unter ihr war aufgeweicht und matschig und überall waren Hufspuren zu sehen.

Als sie bei der Menge ankam, drehten sich ein paar der Menschen nach ihr um. Ihre Augen weiteten sich. Sie wichen hastig zur Seite. Jeder einzelne von ihnen starrte auf den Raben.

Mavie zwang sich, den Blick nicht zu senken. Immer mehr und mehr Köpfe drehten sich in ihre Richtung. Wie von selbst bahnte sich eine Gasse durch die Menschen hindurch.

Geh weiter!, befahl sie sich. Sie sah starr gerade aus, während sie durch die Masse marschierte. Im Wald hatte sie nie darüber nachgedacht, wie sie aussah. Jetzt wurde ihr auf einmal bewusst wie wild sie wirken musste mit ihren zerstruppelten Haaren voller Tannennadeln und Baumrinde, mit ihrem dreckbeschmierten Gesicht und den zerrissenen Klamotten. Ihre Haare hatten inzwischen die Länge erreicht, in der sie ohne Ziel und Richtung nach allen Seiten abstanden und ihr direkt in die Augen fielen. Sie waren wahrscheinlich auffälliger denn je.

Aber sie war nicht nervös. Vielleicht war ihre Angst für diesen Tag schon verbraucht. Sie biss die Zähne zusammen, so fest, dass es weh tat - und schritt an den hunderten Augenpaaren vorbei.

Trotzdem schien es endlos lange zu dauern, bis sie das Ende der Menge erreichte. Und während sie ging, wurde leises Gemurmel laut. Es hörte sich an, als sei sie von einem riesigen Schwarm Bienen umgeben. Sie hätte nie geahnt, wie viele Menschen im Wald lebten.

Oben angekommen stellte sie sich direkt vor das Haus der großen Bauerns und drehte sich zu den Menschen um. Jeder einzelne von ihnen sah zu ihr auf. Aber Mavie interessierten nur fünf Gesichter.

Fünf Gesichter, die sie ungläubig anblickten. Niemand von ihnen rührte sich. Arx blinzelte, als würde er ein Gespenst sehen. Ihre Mienen wirkten düster. Die Sorgen malten Schatten unter ihre identischen mandelförmigen Augen.

Dann war auf einmal ein Schrei zu hören. "Mavie!", rief Kenja. Er machte einen Schritt auf sie zu - aber Arx packte ihn am Handgelenk und hielt ihn fest. Er schüttelte leicht den Kopf.

Mavie ertrug es nicht, länger hinzusehen. Sie wandten sich der Menge zu, ohne eine Idee, was sie sagen sollte. Aber als sie den Mund öffnete, strömten die Worte wie von selbst heraus.

Die Legende der Nachtigall 2 - Das Vermächtnis der ZwergeWhere stories live. Discover now