71: Fehler der Vergangenheit III

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"Also, warum bist du hier?", fragte Jin und nippte an seinem Orangensaft, stützte nachdenklich den Kopf in die Hände.

Namjoon saß ihm gegenüber am Küchentisch, seine Finger zitterten, während er die Tasse Kaffee mit hektischen Bewegungen zum Mund führte und einige Schlucke trank.

Jin hatte Hoseok bereits zur Schule gebracht, deshalb konnte die beiden niemand mehr belauschen - dennoch hatte der Hexenjäger kurzerhand einen magischen Ring um das Haus gelegt, der es unmöglich machte, dass sie vielleicht doch jemand hörte.

In diesen Zeiten war die oberste Sicherheit eben Gang und Gebe.

Namjoon wischte sich über die mit Milschschaum verzierten Lippen und entgegnete:

"Ich bin gekommen, um dich zu warnen. Euch zu warnen. Es ist, wie ich bereits erwähnt habe - eine dunkle, zerstörerische Macht wird kommen und alles vernichten, was sich ihr in den Weg stellt. Ihr seid hier nicht mehr sicher, weder du noch Hoseok noch Jungkook...bitte, kommt mit mir und ich suche uns ein geeignetes Versteck - "

Jins Miene zuckte verärgert.

"Und das soll ich dir glauben?", zischte er und beugte sich so nah an Namjoons Gesicht heran, dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten.

"Nach allem, was du getan hast? Nach allem, was du mir angetan hast, meiner Familie? Nach allem, was du Yoongi und Jimin angetan hast? Du bist immer noch ein seelenloses Monster, Namjoon, genau wie dein Vater und das wird sich niemals ändern..."

Namjoons Blick ruhte bedächtig auf seinem besten Freund, ließ die ganzen Vorwürfe über sich ergehen und fühlte sich schrecklich.

Schließlich erhob er sich und ging aus der Küche, nach oben in Sugas Zimmer.

Dort setzte er sich auf den gepolsterten Hocker vor dem Klavier, lockerte die Hände und begann zu spielen - eine längst vergessene und dennoch so kraftvolle Melodie, wie nicht von dieser Welt.

Während er so spielte, begann die Sanduhr plötzlich von innen heraus zu glühen und zu funkeln.

Feine Risse bildeten sich in dem Glas und die Körnchen pulsierten wie ein Herzschlag, erst sehr langsam, dann immer heftiger.

Namjoon spielte weiter und weiter, ließ seine Finger nur so über die Tasten huschen.

Er schloss die Augen und ließ sich treiben, vom unendlichen Zauber der Musik und davon, was diese Klänge in ihm auslösten.

"Erwecke Shin - La!", wisperte Namjoon über die zarten Töne hinweg, die er dem Instrument entlockte und hörte nicht auf zu spielen.

Seine beschwörerische Stimme fuhr in die Sanduhr hinein, zerbarst das Glas endgültig und ein grelles Licht ergoss sich über den Boden, die Wände und Namjoons Gestalt am Klavier.

Im selben Moment erschien Jin am oberen Fuß der Treppe und starrte fassungslos in den Raum hinein.

Starrte erst auf Namjoon, dann auf die zerbrochene Sanduhr und schließlich auf die blasse, geisterhafte Frau in der Ecke des Zimmers.

Sie schwebte wenige Zentimeter über dem Boden, ihr wallendes, schneeweißes Kleid umfing sie in einer ewigen Umarmung.

Es war das Kleid, in dem sie begraben worden war.

Und es war das Kleid, in dem sie ihn zum allerersten Mal gesehen und sich unsterblich verliebt hatte.

Es war das Kleid, in dem sie einfach wunderschön aussah.

Shin - La streckte eine blasse Hand nach Jin aus und er schritt langsam auf sie zu, wisperte:

"Du...du bist es wirklich...du bist zurück gekommen..."

Stille Tränen liefen ihm über die Wangen, während er genau vor ihr stehen blieb und ihre Hand nahm.

Sie war so kalt und warm zugleich, erfüllt mit Leben und Tod.

Erfüllt mit seiner unendlichen Liebe zu ihr.

"Weine nicht, Kim Seokjin!", wisperte die junge Königin und hauchte einen zarten Kuss auf seine Lippen, jener Kuss, der das Feuer damals in ihm entfacht hatte.

"Ich habe nicht viel Zeit, mein Sohn schwebt in großer Gefahr. Ich vertraue darauf, dass du ihn findest, gemeinsam mit deinem Freund und dass ihr auf diesem beschwerlichen Pfad wieder eins werden könnt. So hätte es auch mein Diener gewollt, Kim Seokjin - möge er in Frieden ruhen und all die aufgestaute Last in seinem Leben vergeben sein!"

Jin schluckte, er wollte ihr noch so viel sagen - so viel, wofür es damals leider zu spät gekommen war.

Mit zittriger Stimme fuhr er fort:

"Es...es tut mir so leid, meine Geliebte...ich hätte dich und deinen Kleinen mehr beschützen sollen...stattdessen...habe ich ihn verlassen...oh, Shin - La, es tut mir so schrecklich leid..."

"Du trägst keine Schuld, Kim Seokjin!", lächelte sie und strich ihm sanft über die dunklen Haare.

"Er wird es verstehen, wenn du ihn erst einmal gefunden hast...das spüre ich. Doch sei auf der Hut: Ein finsterer Dämon sucht ebenfalls nach ihm, wird alles und jeden verzehren, die sich ihm nähern. Es gibt vier mutige Knaben, einst zu großen Taten auserkoren, die sich dem Dämon in den Weg gestellt haben. Doch wer weiß, welche Gefahren als nächstes auf sie lauern werden? Finde diese vier Helden und finde meinen Sohn, besiege die alles verschlingende Dunkelheit und räche meinen Tod. Das ist meine Aufgabe an dich!"

Jin nickte, ballte die Fäuste:

"Ich werde dich rächen, so wahr ich Kim Seokjin heiße. Soll dieser Dämon nur kommen, ich werde ihn in Stücke reißen und seine ekelhafte Substanz an die ewige Finsternis verfüttern - ich gebe dir mein Wort, meine Geliebte!"

Shin - La verblasste allmählich, nur der zarte Klang ihrer Stimme war noch zu vernehmen.

"Ich werde auf dich warten, Kim Seokjin. Am anderen Ende des Schleiers werde ich auf dich warten. Viel Glück auf eurer Reise, mein Geliebter!"

Dann war sie fort und das gleißende Licht entschwand aus dem Raum, die zerbrochene Sanduhr fügte sich wieder zusammen.

Namjoon hörte auf zu spielen und kniete vor Jin nieder, streichelte ihm behutsam über den Rücken:

"Wir finden einen Weg, Jin. Das schwöre ich dir!"








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