LXXXIV

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Ich wusste nicht wie, aber ich hatte es geschafft. Ich war dem engen stickigen Verließ entkommen das mich die Tage über gequält hatte. Der Raum lag weit hinter mir, als ich erst zu humpeln und schließlich zu rennen anfing. Auch wenn der Gang unendlich lange wirkte und ich an einigen Abzweigungen an erstarrten Jägern vorbei sprintete, so erreichte ich doch endlich die letzte Tür.
Der letzten Sicherheitsvorkehrung des Clans, der mich daran hindern sollte zu entkommen.
Mir entfuhr ein kehliges hohes Lachen als ich mich umwand und ihnen allen Adieue zuschrie. Manch einer würde es als Hysterie bezeichnen, ich jedoch sah es als Austiegsschrei aus meinem alten Leben hier. Die Wucht und Intensität meiner Stimme klang in meinen Ohren, versicherte mir so das ich am leben war.
Mit all meiner Kraft stemmte ich mich gegen den Hebel, die Tür schwang gerade noch rechtzeitig auf. Die Hände die sich hinter mir ausgestreckt hatten, schlug ich beiseite.
Erst jetzt nahm ich war das meine Füße nackt waren. Kleine Steine bohrten sich in sie hinein als ich über den Schotter rannte um in den Wald zu gelangen. Vergessen war das Auto, das meiner Flucht hätte dienlich sein können. Es zählte nur das meine Füße das nasse grüne Gras und Moos berührten das so herrlich roch. Die Fichten, Kiefern, Tannen, sie alle lockten mich zu sich durch ihren herrlichen Duft.
Wie benebelt blendete ich die Rufe hinter mir aus. Es war mein Name der immer wieder gerufen wurde. Vermutlich um mich abzulenken, einzufangen. Doch ich würde nicht reagieren. Nein, meine Zukunft lag vor mir. Alles hinter mir war unwichtig und vergangen sobald ich aus der Tür getreten war. Meine Knochen schienen hier draußen nicht mehr zu schmerzen, alle Wunden waren oberflächlich. Das Adrenalin kickte mich in eine andere Welt, doch ich hätte es vermutlich gerade nicht anders gewollt.
Meine Füße wirbelten eine Weile über den Waldboden bis sie endlich zum stehen kamen. Ruhig blieb ich inmitten des Waldes stehen. Saugte gierig die klare Luft in meine Lungen, von der es mir vor kam als hätte ich sie Wochen nicht einatmen können. Jeder Atemzug wirkte wie eine Erleichterung. Genießerisch lehnte ich meinen Kopf in den Nacken und blickte in den wohl Wolkenlosesten Himmel den ich je gesehen hatte. Klar, hellblau unausweichlich weit und offen für jeden.
Sogar für mich schien der Himmel etwas übrig zu haben. Die Energie und Wärme der Sonne verbreitete Wärme mit jedem strahl der auf meine Haut traf.

"Alicia?" Ich senkte meinen Kopf und drehte mich halbwegs nach hinten um. Dort stand Dean. Ohne die anderen, alleine und ohne Waffen. Ich wollte ihn fragen was er hier wollte. Warum er mir nach gegangen war, wenn er mich doch seit neustem so sehr Hasste. Doch ich schwieg, sah ihn einfach nur missbiligend an. Ich wollte das er weg ging. Er sollte gehen und nicht wieder kommen. Doch aus irgendeinem Grund konnte oder wollte ich dies nicht so recht aussprechen.
Als er stattdessen auf mich zu kam und er leicht  leicht meine Schulter berührte erstarrte ich wie zu einer Salzsäule. Er erklärte sich nicht, stand einfach nur da mit traurigem Blick und sprach meinen Namen aus.
Da konnte ich nicht anders, Wut kann in mir hoch gemischt mit unendlicher Trauer.
Also übernahm ich das sprechen. "Geh!" Fuhr ich ihn an. "Lass mich los!" Doch er tat keinen Schritt von meiner Seite. Verzweifelt darüber das er keine Anstalten machte zu gehen, wand ich mich ganz ihm zu.
Als ich schwer ausatmete kräuselten sich kurz seine Haare. Wir standen uns wieder einmal viel zu nahe. Nasenspitzen an Nasenspitze. Daher wollte ich einen gewissen Abstand zwischen uns bringen, doch er ließ mich einfach nicht los. Er schien ohne Worte darum zu kämpfen das ich in seiner Nähe bleiben sollte. "Hau ab!" Schrie ich ihn schließlich an, da ich nicht wusste wie ich mir sonst noch Helfen konnte.

"Es tut mir leid. Ich hätte etwas sagen sollen." Bricht es da plötzlich aus ihm heraus. "Das hättest du wohl." Murmele ich leise und sehe zu Boden. Seine Fingerspitzen fahren unter mein Kinn und heben es an. "Es tut mir Leid Maus." In seinen Augen liegt tiefes ehrliches bedauern, er sieht aus als würde er es wirklich bereuen. Ohne es wirklich zu wollen nehme ich seine Entschuldigung an und verzeihe ihm. Lächelnd sieht er mir in die Augen. Sein nun wieder warmer Blick fängt mich ein.
Sanfte warme Lippen legen sich im Nu auf meine. Arme Schlängeln sich um meine Hüften. Der Kuss fühlt sich gut an, weich. Er schenkt mir Vertrauen. Doch noch im Kuss selbst spüre ich das da etwas nicht stimmt. Etwas fehlt.
Da höre ich es. Ein leises Geräusch. Das herannahen mehrerer Federleichter Schritte, die plötzlich stoppten. Der Wald flüsterte etwas, die Blätter rauschen aufgeregt. Ich wollte mich aus Deans Kuss lösen, doch er hielt meine Hüften leicht fest, als wollte er nicht das ich nachsah was da hinter uns war.
Ein leises Knurren drang an mein Ohr. Kein bedrohliches,  es klang eher wie ein verletztes schluchzen. Wie ein Tier das sich verletzt hatte. Es setzte meinem Herzen schmerzensstiche zu, das ich dieses Tier so hörte. Ich wollte mich umdrehen und nach ihm sehen, vielleicht war es verletzt.  Doch er ließ mich einfach nicht gehen. Irritiert sah ich zu ihm auf. Sein Gesicht war besitzergreifend, dabei lag sein Blick hinter mir. Als würde er über jemanden triumphieren.
Ein letztes Mal hörte ich das leise gebrochene jaulen, dann knackte es einige Zeit später mehrfach. Als würde jemand die dicksten Zweige durchbrechen auf seinem Weg zu mir.
Als die Geräusche hinter uns verebten breitete sich eine Gänsehaut auf meinem Körper aus. Eine starke anziehende Präsenz befand sich hinter meinem Rücken.
Immer noch in Deans Kuss gefangen, spüre ich einen plötzlichen Lufthauch an meinem Ohr vorbei zischen.
Eine starke Hand Schoss aus dem Nichts hervor und packte mich im Nacken. Mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung reist mich die Männerhand von Dean los und dreht mich um. Mir bleibt nur der Bruchteil einer Sekunde um zu begreifen das Ace mir nun gegenüber stand. Sein Blick war finster, lüstern. Aber dennoch Wut verzerrt.
Aus dem Schwung heraus, seine Hand immer noch in meinem Nacken vergraben, presste er seine Lippen auf meine. Unsere Lippen schlugen mit etwas mehr Wucht zusammen als wie es normal gewesen wäre, doch die Art wie er mich küsste glich dies um Welten wieder aus. Er war so vereinnahmend, fast schon dominierend, wie nie zuvor. Als wollte er beweisen das ich nur zu ihm gehörte. Das niemand es wagen sollte mich ihm weg zu nehmen.
Es war ein berauschendes Gefühl das einfach nicht abnehmen wollte. Ich verlor mich schneller in seinen Lippen als ich blinzeln konnte. Alles an mir schrie nach mehr.
Als Ace sich dann langsam löste und meinen Nacken losließ war ich enttäuscht. Mit dem Daumen malte er mein Kinn bis zu den Mundwinkeln nach. Ich beobachtete ihn dabei aus den Augenwinkeln, solange bis er mich eindringlich ansah. "Alicia, Alicia." Es kostete mich all meine Kraft seinen Worten gehör zu schenken. "Hörst du mich?" Ich nickte, mit einem Mal war ich müde. Erschöpft. Wahrscheinlich von diesem ganzen Chaos in meinem Körper. "Alicia, tu mir einen Gefallen, ja?" Warmer Atem kitzelte meinen Hals. "Jeden." Hauche ich sofort. "Wach auf."

Wie bitte? Verständnislos Blicke ich ihn an. Er lächelte nur leicht und plötzlich beginnt er zu verschwimmen. "Ace!" Aufgebracht greife ich nach seiner Hand, die sich leicht in meiner zu auflösen beginnt. "Ace, bleib bei mir!" Eine Träne verließ mein panisches Gesicht. "Bitte!" Doch er schüttelte nur schief lächelnd den Kopf.
Er löste sich einfach hier vor meinen Augen auf. Egal wie sehr ich dagegen anschrie. Ich blickte mich um, alles verschwand. Dean hatte es ihm gleich getan und sich ebenfalls aufgelöst. Panisch schrie ich ihnen nach. Ich wollte keinen der beiden verlieren. Dean nicht als einen Freund und Ace nicht als den Mann den ich unbedingt brauchte um zu existieren. Mein Kopf schmerzte.

"Ace!" Ein letztes Mal schrie ich seinen Namen bevor alles um mich herum grell weiß wurde. Aus Angst presste ich meine Augen zusammen. Ich wollte nicht sehen wie auch ich mich auflösen würde.

"Da ist sie wieder." Mein Atem ging schwer und leise. Blinzelnd öffnete ich meine Augen einen Spalt breit. Eine graue Decke rückte in mein Sichtfeld. Was geht hier vor? Wo ist mein ruhiger Wald, wo Ace?  Was passiert hier?

"Wo ist er?" Murmle Ich daher immer wieder vor mich hin. "Wo ist er?" Mein Verstand Begriff nicht was vorgefallen war. Er wollte in seiner scheinwelt verharren. Nur noch einen Augenblick länger. Doch es wurde mir nicht vergönnt. Ich war wieder zurück. In dem Raum. Dabei wollte ich nur an diesem Ort sein, mit ihm.

"Ich bin hier." Ein raue Männerstimme taucht an meinem Ohr auf. Ace?
Sachte lasse ich meinen Kopf beiseite rollen um den Sprecher anzusehen. Eine Hand streicht zart über meine Wange. Die andere drückt meine Hand fest. "Bleib ja bei mir." Ich werde es versuchen Ace. Dir zu liebe. Bleib nur bei mir. Waren diese Worte wahr, oder dachte ich sie nur ohne sie auszusprechen?

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