Kapitel 12 - Wenn Tränen sich mit Blut vermischen... - Part 2

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„Hilfe." Sie flüsterte das Wort, bevor sie wirklich wahrnahm, dass sie wieder wach war.

Es war ziemlich dunkel geworden. Der Sonnenuntergang war fast vorbei, aber Leya war sich sicher, dass sie höchsten fünf Minuten weg gewesen war.

Verzweiflung machte sich in ihr breit. Auch wenn ihr Wille keine Grenzen kannte, ihr Körper tat es. Wie sollte sie es nur schaffen ihre Familie zu retten?

Sie vergrub ihr Gesicht kurz in dem zerfledderten, schneebedeckten Boden. Die Luft, die sie einatmete, war eiskalt, wie ihr plötzlich auffiel. Wenn sie schon diesen Fakt bemerkte, wie schlimm musste die Umgebungsluft dann für ihre Familie sein? Oh Gott! Jetzt konnten sie auch noch erfrieren!

Die neue Gefahr verleitete Leya dazu weiterzumachen. Sie streckte ihre Hand aus um sie im Boden zu verkrallen und sich weiterzuziehen, aber statt Boden war da etwas anderes. Etwas festes, schweres, das bei Berührung leuchtete. Nachdem was sie im wenigen Licht sehen konnte, war der Bildschirm gesprungen. Aber ihr Handy funktionierte noch! Und sie hatte sogar zwei Balken!

Mit zitternden Händen zog sie es näher zu ihrem Kopf. Vor Erleichterung fing sie an mit kratziger Stimme zu lachen. Sie tippte trotz der tauben Fingerspitzen die Notrufnummer in ihr Telefon: 112. Diese Zahlen würden Rettung versprechen.

Der Anruf baute sich den Zeichen auf dem Bildschirm nach auf und dann erschienen die Zahlen, die anzeigten, dass der Anruf angenommen worden war. Leya bezweifelte, dass die Notrufstelle einen Anrufbeantworter hatte, also redete sie so gut es ging los.

„Hilfe. Wir hatten einen Unfall. Wir sind über den Vivionebergpass gefahren und dann war da jemand und wir mussten ausweichen. Wir sind einen Abhang heruntergefallen mit dem Auto. Ich kann sie nicht verstehen, falls sie etwas sagen, aber wir waren insgesamt vier Personen. Die anderen drei sind bewusstlos. Wir brauchen Hilfe. Es ist kalt und überall ist Blut. Bitte helfen sie uns. Bitte. Bitte. Wir brauchen Hilfe. Beeilen sie sich. Hilfe. Hilfe. Bitte...." Leyas Stimme war heiser und nicht besonders laut und wurde im Laufe des Gesprächs immer leiser, aber das war egal. Sie hatte es geschafft! Sie hatte einen Notruf gesendet. Jemand würde kommen und helfen. Sie würde nicht mehr zusehen müssen, wie ihre Familie starb. Alle würden überleben. Sie war sich sicher. Ganz sicher. Ihre Augen fielen zu. Sie würden leben. Zusammen.

„Danke." flüsterte sie noch.

„Da unten! Da unten sind sie!" Die Worte durchbrachen dumpf, aber hörbar den Pfeifton in ihren Ohren. Sirenen kamen dazu, dann Schritte. Immer mehr Rufe und Stimmen.

Jemand drehte Leya auf den Rücken, fasste an ihren Hals, rief etwas. Dann zog jemand ihr Augenlid nach oben und leuchtete ihr direkt in die Augen. Das Licht tat weh. Darum stöhnte Leya auf und wollte ihre Augen wieder schließen. Die Stimme rief noch einmal etwas, dann fühlte Leya, wie sie hochgehoben, auf etwas gelegt und festgeschnallt wurde. Sie fühlte Schritte und hörte immer wieder Worte, die sie nicht verstand. Langsam wurde ihr wieder warm. Sie wollte schlafen. Sie konnte nicht mehr. Jetzt lag nichts mehr in ihrer Verantwortung. Jemand rammte ihr eine Nadel in den Arm, dem Gefühl nach. Etwas floss in ihren Kreislauf. Das war egal. Jetzt war alles egal. Schlafen...

„Schwerer Autounfall. Ungeklärte Ursache"

„Drei Schwerverletzte. Eine Leichtverletzte."

„... Intensivstation. Schnell."

„Schädel – Hirn – Verletzung vermutlich. Keine Reaktion. 1 auf der Skala."

Einzelne Satzfetzen hakten sich in ihrem Kopf fest. Sie öffnete die Augen und sah weiß. Nichts als weiß.

„Sie ist wach!"

Ihr Körper tat so weh. Das Weiß rollte an ihren Augen vorbei. Da waren kleine schwarze Punkte in dem Weiß. Alles tat so weh. Sie schaffte es nicht mehr den Schmerz beiseitezuschieben, wie zuvor. Leya stöhnte auf und fühlte die Tränen auf ihrer gerissenen Haut.

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