Kapitel 9 - Dunagar

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"Wie viele?"

Dunagar ließ den Blick über die verkohlten Überreste des Kanalspeichers vor sich schweifen. Die Verluste waren nicht zu leugnen.

Was also bedeutete schon eine Zahl?

Stundenlang hatte er das Feuer und das dadurch entstandene Chaos beobachtet. Wie die Flammen sich langsam durch das Holz gefressen, ein Lichterschauspiel auf den Kanal geworfen und schließlich alles niedergebrannt hatten.

Erst mit der roten Morgensonne hatte sich der Brand gelegt, noch immer stieg vereinzelt Rauch aus der Ruine. Nun räumten die magielosen Arbeiter unter großen Kraftanstrengungen die Trümmer beiseite.

Die meisten von ihnen wirkten abgeschlagen und verausgabt; eben wie Menschen, die unter sklavenähnlichen Bedingungen ihren täglichen Verrichtungen nachgingen, während die Rote Garde sie unermüdlich antrieb. Sicherlich würden einige von ihnen die Trümmerarbeiten nicht überleben - entweder wegen der nicht existenten Sicherheitsmaßnahmen oder wegen den Schlägen der Gardisten, die jeden zu Tode prügelten, der von allein nicht mehr aufstand.

Aber auch dieser Verlust war nur eine weitere Zahl.

„Justikar Dunagar?"

Der junge Hämomant neben ihm schaute ihn perplex an und hielt seine Schreibutensilien bereit, ganz so, als hatte er sich einige Notizen machen wollen.

Wie für einen Blutmagier üblich trug er eine enggeschnittene, blutrote Robe mit weitgefächerten Ärmeln und den Insignien Rubans - dem sichelförmigen Blutmond. Die Stickereien auf seinem gepolsterten Wams wiesen ihn als Lapis aus - ein Adept, der seine Ausbildung abgeschlossen und sich eigenen Studien gewidmet hatte, aber in den Diensten eines höherrangigen Magiers, eines Scopulus, stand.

„Habt Ihr... gehört, was ich gesagt habe?", fragte er unsicher und ließ die Schreibutensilien langsam sinken. „Das Prätorium will Euch dringend zu der Angelegenheit sprechen."

Dunagar dachte einen Augenblick nach, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, während er die Ruine betrachtete. Seine weiße Richterrobe flatterte im Wind und zog die umherwehende Asche auf sich.

„Später. Ich habe gerade Wichtigeres zu tun."

Der Lapis rührte sich nicht, sondern starrte den Richter unablässig an. Es dauerte einen Moment, bevor seine Lippen begannen, leise Worte zu formen.

"Bei allem Respekt, ich glaube nicht, dass die Aufforderung der Prätoren eine Bitte ist, die Ihr einfach so aufschieben könnt. Ganz besonders in Anbetracht dieses... heiklen Todesfalls."

„Mit Aufschieben hat das nichts zu tun", erklärte Dunagar gepresst. "Ich habe nur bereits alles veranlasst. Wenn die Prätoren schneller gehandelt hätten, hätte ich es nicht in die Hand nehmen müssen. Es besteht kein Grund, mich nun vor den Rat zu zitieren."

Sein Gegenüber blinzelte nervös. "Was habt Ihr in die Hand nehmen müssen?"

"Ich habe die Schwarzen Schnitter beauftragt", antwortete er, ohne den Mann eines Blickes zu würdigen. "Von jetzt an werden sie sich um die Angelegenheit kümmern."

"Ihr habt was?" Der Adept stand da wie versteinert. "Ich verstehe, dass der Tod von Meister Cykalis drastische Maßnahmen erfordert, aber das Prätorium wird nicht sonderlich erfreut sein, dass Ihr über ihren Köpfen hinweg entschieden habt."

"Und ich bin nicht erfreut, wenn man mich infrage stellt."

Wie zur Untermauerung seiner Worte hefteten Dunagars blinde Augen sich auf ihn. Auch wenn der Hämomant ihnen nicht begegnen konnte, da die Obsidianmaske das Gesicht des Richters von der Stirn bis zum Nasenrücken verbarg, so schien er dennoch seinen starren Blick auf sich zu spüren, denn er wirkte ob der ungewollten Aufmerksamkeit plötzlich angespannt.

SchattenkinderWhere stories live. Discover now