Kapitel 12

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-Anna Snow-

Ich hatte es verbockt! Wie konnte ich nur von Saskia verlangen, den Anruf auf Lautsprecher zu stellen? Vielleicht hätte ich irgendwann noch herausbekommen, was genau bei Saskia zu Hause los war, doch jetzt würde sie sich mir gegenüber verschließen – oder hatte es bereits getan. Und ich konnte es ihr nicht verübeln. Unfreiwillig hatte ich meine Schülerin dazu gezwungen, mir ein Geheimnis preiszugeben. Jetzt wusste ich zwar, dass etwas bei Saskia zu Hause nicht stimmte, aber nicht genau was.

Ich konnte sehen, wie sich der Körper meiner Schülerin bei dem Anruf immer mehr verkrampfte, wie alle Farbe aus ihrem Gesicht wich und sie anfing zu zittern. Wie konnte Saskias Mutter nur so etwas zu ihrer Tochter sagen? Und das war wahrscheinlich nur ein Ausschnitt von dem, was bei Saskia zu Hause passierte. Saskia tat mir so schrecklich leid. Und sie hatte mir auch noch so unrecht getan. Verzweifelt seufzte ich auf und vergrub meinen Kopf in meinen Händen.

Saskia kam auch in der nächsten halben Stunde nicht zurück an ihren Sitzplatz. Auch nach weiteren zwei Stunden kam sie nicht. Erst als eine Ansage des Piloten die Passagiere bat, sich auf ihre Plätze zu begeben und sich anzuschnallen, kehrte sie zurück. Ich zuckte unmerklich zusammen, als ich die rot verweinten Augen meiner Schülerin erblickte. Diese wischte sich schnell eine letzte Träne von den Augen und setzte sich auf ihren Platz. Auch Phillipp kehrte kurz danach wieder zu seinem Platz zurück, und auch er erschrak, als er Saskias Gesicht sah. Sofort nahm er sie in den Arm und gab ihr einen Kuss auf den Scheitelansatz.

Mein Magen verkrampfte sich bei diesem Anblick schmerzhaft – vor Eifersucht, versteht sich. Saskia flüsterte ihm etwas zu, und noch in derselben Sekunde spürte ich den eiskalten und abwertenden Blick von Phillipp auf mich. Mein Magen krampfte sich noch mehr, wahrscheinlich hatte Saskia ihm gerade von dem Telefonat erzählt. Ich sah, wie nun auch Saskia mir einen wütenden Blick zuwarf, bevor sie sich wieder zu Phillipp umdrehte, um ihn beruhigend über den Arm zu streicheln. Vermutlich sollte diese Geste ihn davon abhalten, mir eine zu verpassen. Verübeln konnte ich ihm das nicht; ich hätte es verdient.

Die nächsten zehn Minuten, in denen sie landeten, hing eine unangenehme Stille über ihnen. Sobald das Flugzeug gelandet war und sie die Erlaubnis hatten aufzustehen, sprangen Saskia und Phillipp auf und verließen eilig ihre Sitzplätze. Da ich vorher mit meiner Klasse vereinbart hatte, dass wir uns bei der Gepäckausgabe treffen würden, stand ich seufzend auf, nahm mein Handgepäck und verließ das Flugzeug. Wenig später stand ich zusammen mit meiner Klasse bei der Gepäckausgabe, und jeder wartete auf seinen Koffer.

Eine weitere halbe Stunde später hatte jeder seinen Koffer, und wir liefen auf den Ausgang des Flughafens zu. Als wir hinaustraten, wehte uns die frische Seeluft entgegen, und einige Sonnenstrahlen fielen uns entgegen. Ich blickte sofort zu Saskia und musste schmunzeln, als sie sich eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Immer wieder löste sich diese, und Saskia klemmte sie sich gefühlt alle zwei Sekunden immer wieder hinter das Ohr. Das sah extrem süß aus. Wir liefen über einen steinigen und unebenen Boden. Plötzlich rutschte ich auf einem großen Stein aus, den ich nicht bemerkt hatte. Ich fiel nach hinten und machte mich schon auf einen harten Aufprall gefasst, als ich plötzlich in zwei starken Armen landete.

Verwundert blinzelte ich, doch noch bevor ich die Person erkannte, erkannte ich den Geruch der Person – diesen Geruch würde ich überall wiedererkennen: Saskia! Verwirrt sah ich in zwei ernste Augen, die mich ansahen. Saskia zog mich hoch und erkundigte sich, ob es mir gut gehe. Noch immer verwundert nickte ich. Wieso hatte Saskia mich aufgefangen? Sie hätte mich einfach hinfallen lassen können. Was sollte es Saskia schließlich scheren? Doch sie hatte mich aufgefangen. Blinzelnd lief ich weiter, und auch Saskia joggte wieder zügig zu Phillipp, der sie ebenfalls verwundert anschaute. Anscheinend konnte auch er nicht nachvollziehen, wieso Saskia mich aufgefangen hatte. Schweigend lief ich weiter und musterte Saskia immer wieder verstohlen, doch diese beachtete mich nicht weiter. Die Schülergruppe war laut, alle lachten und tratschten viel miteinander. Alle schienen glücklich – alle bis auf eine. Saskia trottete mit gesenkten Schultern hinter Phillipp her und schien allem nur mit halbem Ohr zuzuhören. Meine Schülerin tat mir so leid. Könnte ich doch bloß etwas für sie tun.

Ich war so in Gedanken vertieft, dass ich gar nicht merkte, wie die Klasse plötzlich anhielt. Verwirrt blickte ich auf und entdeckte, dass wir bei dem Strandbungalow angekommen waren. Der Bungalow wurde nur von ein paar kleinen Dünen mit Gräsern vom Strand abgetrennt. Die Sonne stand tief am Himmel und tauchte alles in ein angenehm warmes Licht. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Saskia ihre Augen schloss, tief ein- und ausatmete und dann mit einem breiten Grinsen die Augen öffnete. Verwirrt über den plötzlichen Stimmungswechsel beobachtete ich, wie Saskia sich an Phillipp lehnte und ihm durch seine verwuschelten Haare wuschelte. Ich beobachtete, wie Saskias Augen vom Meer nach links wanderten, bis sich ihre Augen plötzlich trafen.

Die Farben Des Herzens Where stories live. Discover now