Kapitel 7

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-Saskia Winter-

„Würdest du bitte mit mir ins Sekretariat kommen?", fragte Frau Adler, die Sekretärin. Ich nickte verwirrt, während Phillip genauso ratlos wirkte. Mit einer leichten Schulterzuckung folgte ich Frau Adler, die mich ins Sekretariat begleitete. Sie begann: „Deine Mutter hat vorhin angerufen. Da sie beruflich in Paris ist und dich nicht erreichen konnte, bat sie mich, dir eine Nachricht zu übermitteln. Hör zu, Saskia, raste jetzt nicht aus, es wird alles gut, ja?" Fragend sah ich sie an. Was war passiert? Die Angst kroch in mir hoch.

„Es tut mir sehr leid, dir das sagen zu müssen, Saskia, aber dein Vater... er ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen." Mit mitfühlenden Augen sah sie mich an. „Was? Nein, das kann nicht sein! Er kann nicht tot sein! Ich brauche ihn doch! Er muss noch am Leben sein! Das kann doch nicht sein! Das muss ein Fehler sein!", schrie ich Frau Adler an. „Es tut mir leid, aber es ist keiner."

„Nein! Das kann nicht sein?! Er kann nicht tot sein! Er darf nicht tot sein! Ich brauche ihn doch! Er muss noch am Leben sein! Er kann nicht tot sein! Das kann doch nicht sein! Das muss ein Fehler sein!", schrie ich Frau Adler an, voller Verzweiflung. Sie nahm mich stumm in den Arm, und die Tränen schossen mir in die Augen. Mein Vater, der Mann, der mich immer unterstützt hat, der immer für mich da war, der mich großgezogen hat und mich geliebt hat, war tot. Einfach tot. Er war weg für immer! Nie wieder würde er mich in den Arm nehmen! Ich schluchzte hemmungslos. Nie wieder würde ich ihn sehen! „Ahhh!", schrie ich und sank auf die Knie. Die Welt brach um mich zusammen. Mein Vater, der Mensch, der immer für mich da war, war nicht mehr da.

Nach weiteren 20 Minuten weinen versuchte Frau Adler verzweifelt, mich zu beruhigen. Nach knapp einer halben Stunde hatte ich mich etwas gefasst, doch mein Herz schmerzte immer noch. Mit rot verquollenen Augen ging ich mit hängenden Schultern durch die Korridore in Richtung Klassenzimmer. Die Stille um mich herum war erdrückend, als würde ich unaufhörlich in ein riesiges Loch fallen. Die Welt fühlte sich unwirklich an. Ich klopfte an der Klassenzimmertür. Frau Snow öffnete, erschrocken, als sie mein verquollenes Gesicht sah. Sanft, aber bestimmt, wurde ich von ihr zurück auf den Flur gedrückt. Sie schloss die Tür hinter uns. „Saskia, was ist passiert? Alles in Ordnung?", wollte sie wissen. Ich nickte, obwohl es nicht stimmte. „Saskia, was ist los? Was wollte Frau Adler von dir?" „Das geht Sie nichts an. Es ist nichts im Sekretariat passiert!", schrie ich meine Lehrerin an. Sie zuckte kurz zurück, nickte dann, und wir betraten wieder das Klassenzimmer. Phillip blickte mich besorgt an. Ich ging zügig in seine Richtung und setzte mich neben ihn.

„Saskia, was in aller Welt ist passiert? Du siehst schlimmer aus als fünf Tage Regenwetter!", fragte er flüsternd, seine blauen Augen besorgt. „Mein Vater ist gestorben.", flüsterte ich zurück, meine Stimme bebend und Tränen in den Augen. „Was? Omg! Es tut mir so leid, Süße", flüsterte Phillip erschrocken und zog mich in seine starken Arme. Sofort fühlte ich mich geborgen. Ich kuschelte mich an ihn, und meine Tränen flossen hemmungslos. Frau Snow räusperte sich, und wir trennten uns schnell. Verlegen wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht. Der Rest der Stunde verging für mich wie im Flug.

In der nächsten Stunde hatten wir Biounterricht. Die Lehrerin sprach über Mikroplasten, aber vor meinen Augen zogen Erinnerungen an vergangene Tage mit meinem Vater vorbei. Die Tränen stiegen erneut in mir auf. Nie wieder würde er mich in den Arm nehmen oder sagen, wie sehr er mich liebte. „Ahh!", schrie ich auf und rannte schluchzend aus dem Klassenraum. Ich ignorierte die Rufe meiner Lehrerin, die verwirrten Blicke meiner Mitschüler oder den Knall der Tür, als ich sie ins Schloss knallen ließ. Am anderen Ende des Korridors ließ ich mich erschöpft an einem der Spinde hinunterrutschen. Ich zog die Knie an meinen Körper und legte meinen Kopf darauf. Hemmungslos schluchzte ich. Mein Vater war weg. Für immer! Ich konnte ihn nie wieder sehen! „Ahh!", schrie ich und sackte auf die Knie. Es war vorbei. Alles war vorbei.

Nach einer Weile versuchte ich mich zu beruhigen, aber mein Herz tat immer noch weh. Ich stand auf, ging zum Ausgang der Schule und lief mit zügigen Schritten nach Hause. Mit zitternden Händen schloss ich die Wohnung auf. Stolpernd ging ich in die Küche, machte mir einen Tee und schnappte mir eine große Packung „Ben & Jerry's" Eis, einen Löffel und ließ mich auf meine Couch fallen. Der restliche Tag und die ganze Nacht verbrachte ich mit Netflix, Eis essen, weinen und boxen. Ja, ich boxte. Ich liebte es zu boxen und hatte einen Boxsack in meiner Wohnung. Gegen 5 Uhr morgens stand ich wieder vor dem Boxsack. Ich schlug mit voller Wucht dagegen, aber der erhoffte Schmerz blieb aus. Entschlossen streifte ich mir die Boxhandschuhe ab und schlug mit bloßen Fäusten darauf ein. Immer weiter, als wäre ich in einem Rausch. Ich konnte nicht aufhören, ich schlug und schlug. Mein Vater wandelte durch meine Träume.

Nach einer Stunde unruhigem Schlaf wachte ich gegen 7 Uhr morgens auf. Ich sprang unter die Dusche. Das Wasser prasselte auf meine verwundeten Hände und es brannte höllisch. Doch mir war es egal, mir war alles egal.

Müde lief ich die Straße in Richtung Schule entlang und bog dann auf den Pausenhof. Sofort kam Phillipp auf mich zu und nahm mich stumm in den Arm. Die Umarmung fühlte sich gut an und nahm mir für einige Sekunden den Schmerz. Doch nur kurz, denn dann sank ich wieder in die Trübe leere die mich seit gestern morgen umgab. Wir hatten jetzt als erstes Sportunterricht. Mit müden Augen zog ich mich in der Umkleide um und trat dann in die Sporthalle. Die Halle roch nach Gummiboden und Schweiß. Wir sollten die Stunde über joggen. Ich lief die ganze Zeit vor den anderen und war viel schneller als ich es sonst eigentlich war. Der Frust trieb mich an und machte mich ehrgeizig und bissig. Ich sprintete die letzten Meter bevor ich vor der Bank zum stehen kam. Die Luft brannte in meinen Lungen und ich probierte meinen schnellen Atem zu kontrollieren. "Saskia! Würdest du bitte einmal zu mir kommen!" hörte ich die Stimme von Frau Snow und zügig ging ich zu meiner Lehrerin. Diese Trug ein enges T-Shirt und eine kurze Sporthose. Die wunderschönen grünen Augen meiner Lehrerin empfingen meinen Blick als ich nach oben schaute. Ich hätte mich sofort wieder in diesen Augen verlieren können, doch ich riss mich zusammen und fragte Frau Snow was sie von mir wolle.
"Ich mache mir Sorgen um dich Saskia! Hör zu, ich weiß das du nicht mit mir reden möchtest, aber ich bin deine Klassenlehrerin! Dein Wohlergehen hat mich zu interessieren. Ich könnte dich zum Beispiel fragen was mit deiner Hand ist! Es sieht so aus als hättest du durch Frust auf etwas eingeschlagen? Vielleicht einen Boxsack?", Frau Snow kniff ihre Augenbrauen zusammen und sah mich forschend an. Ich nickte zaghaft und wurde sofort wieder rot. "Wieso bist du so wütend und frustriert Saskia? Seit gestern morgen. Was ist passiert? Wenn es nichts mit deinem Besuch im Sekretariat zu tuen hat, was ist dann los? Hast du Kummer?", wollte meine Lehrerin wissen. Ich nickte wieder vorsichtig und senkte meinen Blick. In meinen Augen bildeten sich wieder ein paar Tränen, welche ich schnell aus meinem Augenwinkel wegwischte. "Rede mit mir Saskia!", forderte Frau Snow mich auf. "Ich möchte nicht!", bissig antworte ich der Lehrerin, drehte mich um und verschwand in der Umkleidekabine, da der Unterricht eh in 3 Minuten zu Ende sei.

Ja, ich hatte Kummer... mein Vater war tot!

Die Farben Des Herzens Onde as histórias ganham vida. Descobre agora