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„Erklären sie uns bitte noch ein letztes Mal, woran sie sich erinnern können und lassen sie dabei bitte kein Detail aus."

Ich seufzte. „Ich habe es ihnen doch schon zwei Mal erklärt."
Die Detektives, eine streng dreinblickende Frau mit zurückgebundenem Zopf und dunklem Haar und ein halb so ernster blonder Mann mit breiten Schultern, starrten auf mich herunter.
Auf den Wänden hinter ihnen hingen selbstgemalte Bilder von Kindern aus der Station und langsam bereute ich es, den Doktor nach den Tests darum gebeten zu haben, für die Befragung aus meinem Krankenhauszimmer, in einen anderen Raum gebracht zu werden.
Ich wollte nicht in meinem Bett liegen und hilflos wirken, während die Detektives mich befragten, doch zu mir an den Kindertisch hatten sie sich trotzdem nicht gesetzt. Dabei hatte ich sogar extra die Wachsmalstifte an die Seite geräumt.
„Wir wissen, dass ihnen die Erinnerungen, in Bezug zu dem Thema nicht leichtfallen...-"
Ich unterbrach die Detektivin, in dem ich die Hand hob. „Ich habe es schon dem Doktor und auch dem Psychologen gesagt, der gekommen ist, um mit mir sprechen. Und ich werde es ihnen gerne ein Drittes mal sagen, wenn sie das wollen." Ich ließ die Hand sinken und presste mir die Finger gegen die Schläfen. Ich hatte schreckliche Kopfschmerzen bekommen. „Ich weiß das ich Claire Anderson heiße. Ich weiß das ich vor kurzem 17 Jahre alt geworden bin und ich weiß das ich Pizza liebe." Beinahe hätte ich angefangen zu lachen, so bizarr war diese Situation für mich.
Der Detektiv, der bis jetzt noch nicht viel zur Befragung beigesteuert hatte, schob einen der Stühle zurück und setzte sich mit einem seufzen zu mir an den Tisch. Das er, so breit wie er war, auf den Stuhl passte, war so grotesk, dass ich tatsächlich kichern musste.
Er schmunzelte. „Sie wissen worüber die Entführer gesprochen haben, während der Woche in Gefangenschaft? "
Ich ballte die Hand unter dem Tisch zur Faust. Das Kichern war mir im Hals stecken geblieben.
„Ich habe ihnen schon gesagt, dass einer der beiden Jeffrey hieß. Er sprach über einen Mann namens Julio. Der war aber nicht da. Sie sagten, er wäre es gewesen, der mich betäubt hatte, und dass sie sich wundern, dass ich überhaupt noch lebe, so eine hohe Dosis hatte er mir verabreicht. Sie meinten, sie wollen nicht, dass ich noch einmal wach werde, bevor der Boss kommt und deshalb haben sie mich wieder betäubt. Ich habe keine Ahnung wie, wo oder wann sie mich entführt haben und wieso, weiß ich erst recht nicht."
Die Detektivin begann auf und ab zu laufen. „Und erkennen konnten sie die zwei Entführer nicht."
„Nein." Auch das hatte ich bereits erwähnt.
„Und alles vor der Entführung...?"
„Weg." Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Erinnerung."
Der Psychologe hatte gemeinsam mit mir ein Profil der Woche erstellt, an die ich mich erinnern konnte und gesagt, dass es sehr wahrscheinlich war, dass alle Erinnerungen dazu mit der Zeit wieder zurückkommen würden. Ich solle mir darüber jedoch nicht allzu viele Gedanken machen und versuchen mich auf das wesentliche zu Konzentrieren. Und das wesentliche war alles, was ich bereits wusste.
Ich war Claire Anderson, 17 Jahre alt und ich mochte Pizza.
„Haben sie... denn schon eine Spur?" Ich griff nach einem Wachsmalstift. Nervös spielte ich an ihm herum und zupfte das Papier ab, das um den Stift herumgewickelt war.
Die Detektivin regte sich nicht und der Detektiv lächelte aufmunternd „Wir könnten eine haben, wenn sie uns ein wenig auf die Sprünge helfen könnten."
Ich presste die Lippen aufeinander. „Ich weiß nicht was ich noch sagen soll."
Der Detektiv klang sehr nett, als er sagte; „Ich kann ihnen meinetwegen noch einmal auf die Sprünge helfen, wenn sie das wollen."
Ich zuckte bloß mit den Schultern, weil ich wusste was nun wieder kommen würde.
Aber letztendlich war es die Detektivin, die begann zu erzählen; „Sie wurden vor knapp drei Wochen in einem Katholischen Internat Namens St. Maria als vermisst gemeldet. Zu ihrem 17. Geburtstag haben sie sich mit einigen Freunden aus dem Internatsgelände geschlichen um eine Party in der Stadt zu Besuchen. Laut Angaben ihrer Freunde waren sie jedoch der Meinung gewesen, lieber tiefer in den Wald wandern zu wollen, um ein bisschen Spaß zu haben. Ein wenig Gruseln, sie erinnern sich?" Sie warf mir einen beinahe spöttischen Blick zu. „Sie waren also allesamt betrunken durch den Wald spaziert. Was auf Dauer wohl ziemlich anstrengend gewesen sein muss, denn ihre Freunde sagten, sie hätten keine Lust mehr gehabt und wollten zur Party. Als sie also den Kurs gewechselt und in Richtung Stadt gelaufen waren, weigerten sie sich auf die Party zu gehen und wurden aggressiv. Bevor ihr Freund-," Sie musterte mich eingehend, doch ich zuckte nicht einmal mit der Wimper. Die Geschichte war mir nicht mehr fremd. Mit meinem Psychologen war ich sie bereits durchgegangen, um meiner Erinnerung auf die Sprünge zu helfen. Zwar nicht so detailliert, aber dennoch, ich zuckte mit keiner Wimper.
„-Sie beruhigen konnte, waren sie bereits in die andere Richtung gelaufen und hatten ihren Freunden viel Spaß gewünscht. Diese gingen also davon aus, dass sie sich zurück auf ihr Zimmer begeben würden. Das sie dort jedoch nicht eintrafen bemerkte man erst am späten Abend des nächsten Tages."
„Okay." Ich nickte und sagte das, was ich schon die ganze Befragung über lang gesagt hatte „Ich erinnere mich aber nicht mehr daran."
Sie musterte mich schweigend.
Der Detektiv seufzte. „Da kann man wohl nichts machen." Er streckte die Arme in die Luft, wie als wäre er gerade aus dem Bett gekommen, und ich wurde wütend. Nahm er mich nicht ernst?
„Das was sie mir da erzählen, klingt für mich wie eine Erzählung, die genauso gut die, einer anderen Person hätte sein können, und nicht meine eigene." sagte ich und kniff wütend die Augen zusammen. „Ich erinnere mich an kein Internat, an keine Freunde und auch an keinen..." Ich stockte kurz „und auch an keinen Freund. Wenn ich es wüsste, würde ich es ihnen erzählen!"
Kurzes Schweigen. Dann wieder die Detektivin. „Sie haben gesagt, sie wüssten, dass sie vor kurzem 17 Jahre alt geworden sind...?"
„Das ich 17. geworden bin weiß ich, weil vor kurzem der 05.05 war und ich an dem Tag nun mal Geburtstag habe. Außerdem habe ich einen Psychologen, mit dem ich über solche Sachen spreche."
„Verstehe." Der Detektiv gähnte. „Gretchen, haben wir hier dann genug?"
Sie sah überhaupt nicht aus wie eine Gretchen, dachte ich. Und besonders zufrieden über die Entwicklung des Gesprächs war sie auch nicht. „Das sie in dieser Nacht unbedingt tiefer in den Wald wollten, und sich mitten in der Nacht von ihren Freunden getrennte haben, das scheint ihnen nicht etwas... suspekt?" Ganz beiläufig packte sie ihren Hefter in die Tasche, während der Detektiv sich erhob.
„Suspekt?" wiederholte ich verwirrt und sie lächelte.
„Ja genau. Das jemand sie aufschnappt, bereit sie zu betäuben, genau in der Nacht, in der sie sich selbst dazu bereit erklärt haben, durch den Wald zu schlendern. Allein und betrunken."
Ihr lächeln machte mich nervös und ich brach versehentlich den Wachsmalstift in meiner Hand in Zwei. Schnell ließ ich die Teile auf den Tisch fallen.
Dann streckte sie mir ihre Hand entgegen und musterte mich eindringlich. Ich nahm sie verwirrt in meine eigene und schüttelte sie ganz leicht. „Ich danke ihnen für ihre Zeit und ihre Ehrlichkeit Miss Anderson."
Genug Zeit, um mir über ihre Worte Gedanken zu machen, und wie ernst sie sie meinte, hatte ich jedoch nicht, denn der Detektiv stand bereits an der Tür und nickte mir einmal zum Abschied entgegen. „Bei weiteren Fragen, melden wir uns bei ihnen."
Und als die beiden endlich verschwunden waren und ich längst wieder im Bett lag, wurde ich das dumpfe Gefühl nicht los, das die beiden Detektives mich an dem Abend nicht nur routinemäßig befragt hatten. Ich fragte mich, ob es einen Unterschied zwischen Befragen und Verhör gab.
Vielleicht hätte ich doch lieber im Bett bleiben sollen, waren meine letzten Gedanken an dem Abend.
Und dann schlief ich ein.

Lost in a Perfect NightmareWo Geschichten leben. Entdecke jetzt