Kapitel 4

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Die letzte Stunde verging wie in Trance. Um ehrlich zu sein, ich wusste nicht mal mehr wirklich wie ich in mein Zimmer gekommen war.

Nachdem die Polizei aufgetaucht war, den Tatort, wie sie ihn nannten, sicherten und Scott, Liam und mich befragt hatten, hatte mich ein junger Polizist freundlicherweise nach Hause gefahren. Scott war ich soweit es ging aus dem Weg gegangen, hatte ihm nicht in die Augen gesehen und so viel Abstand von ihm gehalten wie möglich. Ich wollte nicht wieder in rote Augen blicken müssen, wo sonst seine vertrauten braunen waren. Aber es war auch nicht schwer mich von ihm fernzuhalten, denn mich umringte eigentlich die ganze Zeit ein Ärzteteam oder die Polizei.

Mum hatte ich seit sie Liam am Nachmittag auf sein Zimmer gebracht hatte, nicht mehr gesehen. Aber das war auch ganz gut so. Ich wusste nicht ob ich ihr die Sache mit Scott erzählen sollte oder nicht. Sie würde mich sowieso für völlig verrückt erklären. Und vielleicht war ich das auch. Vielleicht erfand mein Unterbewusstsein gerade all diese Dinge um meinen Schock zu verarbeiten.

Doch tief im Inneren wusste ich, dass ich, was auch immer Scott gewesen war, nicht verleugnen konnte.

Verängstigt zuckte ich zusammen als ich unten die Tür aufsperren hörte und kurz darauf gepoltere und Scotts Stimme zu hören war. Von plötzlicher Panik gepackt, hechtete ich zur Tür und sperrte sie zitternd zu. Was ist wenn er sich wieder verwandelte? Was ist wenn er mich so gegen die Wand stieß, wie den Jungen vorhin?

Zitternd legte ich mich aufs Bett, rollte mich zu einer Kugel zusammen und lauschte dem Rumpeln ein Stockwerk unter mir, das immer leise wurde bis es schließlich ganz verschwand.

Kurz darauf hörte ich Schritte, die sich meinem Zimmer näherten. Sie verstummten direkt vor meiner Tür, und als ich schon dachte, ich hätte sie mir in meinem Zustand nur eingebildet, klopfte es zögerlich an der Tür. Ich zog meine Füße noch näher zu mir und hoffte, dass Scott einfach wieder verschwinden würde. Ich hoffte vergeblich.

„Sophia" Erneutes klopfen, das ich aber ignorierte. Mucksmäuschenstill lag ich auf dem Bett und lauschte dem hartnäckigen Klopfen.

Als er schließlich endlich einsah, dass ich ihm nicht öffnen würde, versuchte er es anders.

„Sophia ich weiß, dass du in deinem Zimmer bist." Stille. Vorsichtig stand ich auf und stellte mich direkt vor meine verschlossene Tür, ohne jedoch Anstalten zu machen, sie zu öffnen.

„Bitte mach auf. Ich... Ich will mit dir über heute auf dem Dach reden." Mein Herz schlug inzwischen mindestens zwei Takte schneller als ich die hölzerne Tür anstarrte hinter der mein Bruder stand. Ob ich wollte oder nicht, sah ich nur die wolfsartige Gestalt und nicht meinen Bruder, und das bereitete mir eine heiden Angst.

„Sophia bitte - ..." Plötzlich verstummte er, bevor er mit heiserer Stimme fortfuhr.

„Oh mein Gott du hast Angst vor mir." Diese Aussagte versetzte meinem Herz einen Stich und ich fühlte schon wieder die Tränen in mir hochsteigen. Ja, ja es stimmte ich hatte Angst vor ihm. Angst vor meinem eigenen Bruder. Ich schämte mich so. Aber was immer er war, es übertraf all meine bisherigen Vorstellungen von der Welt. Andererseits, hätte er mir wehtun wollen, hätte er schon längst Gelegenheit dazu gehabt.

„Bitte lass mich rein, ich tu dir nichts Soph, ich könnte dir niemals was antun." sagte er schwach. Soph. So nannte er mich zuletzt als ich 12 Jahre alt war.

Zitternd sperrte ich die Tür auf, wich aber gleich zurück sobald Scott in mein Zimmer trat. Mit einem verletzten Ausdruck im Gesicht sah er mich an.

„Ich weiß dass das was du vorhin gesehen hast sehr verstörend auf dich gewirkt haben muss, aber - "

„Verstörend? Du willst mir erzählen dass du Jungen, die plötzlich Fangzähne bekommen und ganz offensichtlich Kannibalen sind und versuchen einen unschuldigen Jungen zu töten, einen Bruder, der plötzlich wie Halb Tier -, halb Mensch aussieht und Superkräfte zu haben scheint als Verstörend bezeichnen würdest? Scott ich hatte Todesangst! Und das nicht nur um mich, um dich und Liam genauso! Gott meine ganze Welt hat sich gerade als völlig falsch rausgestellt und dir fällt zu dem ganzen nur Verstörend ein!" Aufgebracht fuhr ich mir durch die Haare und fing gleich darauf wieder an zu zittern. Woher ich diese plötzliche Wut hatte, war mir ein Rätsel, aber es fühlte sich gut an mal nicht nur weinend und verängstigt in einer Ecke zu sitzen, wie ich es die letzten 2 Stunden fast nur gemacht hatte.

When The Sun Goes Down (Liam Dunbar)Where stories live. Discover now