z w a n z i g

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Die kindliche Stimme von Justin Bieber dringt durch die alten Lautsprecher und ich erwische mich immer öfter dabei, wie ich genervt Luft ausstoße. Es ist nicht die Detailarbeit, die mich seit Stunden verrückt macht, sondern der Lärm aus den Lautsprechern.

Vor zwei Stunden habe ich die wunderschönen Weihnachtslieder gegen Songs von ihm von vor zehn Jahren eingetauscht. Seitdem wünsche ich mir nichts lieber, als die Lautsprecher auf die Straße zu werfen. Aber alle Klage bringt nichts. Seine Lieder gehören dazu und wenn ich endlich den erlösenden Knopf drücken kann, werde ich das richtig feiern können.

Ich husche durch die Backstube und platziere Zimtteig auf einem Backblech. Es ist das zweite und letzte seiner Art, bevor ich mich den übrigen Sorten für diesen Abend widmen kann. Schnell nehme ich einen Bissen von der Banane, die ich mir vor einiger Zeit geschält habe und die mich hoffentlich über Wasser hält, bis ich mir zuhause etwas kochen kann.

Der heutige Tag ist anstrengend gewesen, aber ich habe mich nicht beschwert. Im Gegenteil. Ich habe es genossen, durch das Café zu rennen und die Gäste zu bedienen, Geschichten zu teilen und ihnen von den neusten Kreationen zu erzählen. Gleich mit dem Öffnen der Ladentür ist alles wieder so gewesen, wie ich es in Erinnerung hatte.

Die Nachricht darüber, dass ich wieder geöffnet habe, hatte sich am Anfang der Woche wie ein Lauffeuer verbreitet, und dementsprechend viele Gäste hatte ich an den ersten Tagen schon zu verzeichnen gehabt. Ich merke nichts davon, dass sich einige meiner Kunden in den Tagen, in denen ich gezwungenermaßen geschlossen hatte, umorientiert haben. Wenn, dann sind sie alle wieder zurückgekommen – und haben weitere Kunden mit sich gebracht.

Leah hat angefangen, uns daraufhin auch unter der Woche zu unterstützen, während sie gleichzeitig immer noch ihre Schichten auf dem Weihnachtsmarkt übernimmt und in die Schule geht. Ich bin ihr wirklich dankbar für die Opfer, die sie auf sich nimmt. Ich glaube kaum, dass sie weiß, wie sehr sie mir eine Stütze ist, auch, wenn ich ihr das in den vergangenen Tagen mindestens hundert Mal gesagt habe.

Als die Backstube und das Atelier vor einer Woche fertig geworden sind, war ich gerade bei Rafael gewesen. Er hatte für uns gekocht und wir hatten es uns in seinem Wohnzimmer mit einer Flasche Wein und einem schlechten Weihnachtsfilm gemütlich gemacht. In den letzten Tagen ist es nicht selten vorgekommen, dass wir zusammen gegessen, oder auf anderem Wege Zeit miteinander verbracht hatten. Beinahe jeden Tag hatten wir uns gesehen. Jetzt besucht er mich immer noch täglich im Café, obwohl seine Aufgabe mit dem Abschluss der Arbeiten eigentlich erledigt ist. Aber ich möchte mich nicht beklagen.

In den letzten anderthalb Wochen habe ich so vielen Neues über ihn aber auch über mich gelernt. Ich habe mich ihm geöffnet und mir eingestanden, dass es in Ordnung ist, Gefühle für jemanden zu entwickeln. Vor allem, weil ich mir mittlerweile sicher bin, dass der Rafael, den ich kennengelernt habe, nichts mit dem gemein hat, den Nolan noch vor Augen hat. Sie sind zwei vollkommen unterschiedliche Personen. Zwar erwische ich Rafael noch immer bei dem ein oder anderen arroganten Kommentar, aber dieser schmälert mein Interesse an ihm nicht im Geringsten. Was mir noch ein wenig schwer auf dem Magen liegt, ist die Tatsache, dass er noch immer nicht zu wissen scheint, wo ihn sein Weg hinführt. Ich kann ihm ansehen, dass er sich schwer damit tut mich zu sehen, wie ich meinen Traum lebe und arbeiten gehe. Aber wir befinden uns beide auf einem guten Weg, uns anzupassen. Und es gefällt mir. Sehr sogar.

Ich nasche ein wenig von dem übrigen Teig und tausche im Ofen das alte gegen das neue Backblech. Wunderschön aussehende Plätzchen kommen zum Vorschein, die meinen Magen zum Knurren, und mich zum Lächeln bringen. Leah und ihre Stufenkameraden werden sich über die zusätzlichen Plätzchen freuen, da bin ich mir sicher.

Zimtherzen ₂₀₂₁ | ✓Where stories live. Discover now